Vor fast 300 Jahren schrieb Johann Sebastian Bach in ein Klavierübungsbuch "Explication unterschiedlicher Zeichen, so gewisse manieren, artig zu spielen, andeuten". Auch er, der Nationalheld, kannte also wenig Gnade mit dem Deutschen. Wenn man sich so anschaut, was sie alles erlebt hat, so kommt einem die deutsche Sprache vor wie eine zarte schöne Frau. Jeder meint, er müsse sie beschützen, dabei ist sie zäher als alle glauben.
Die Vorstellung, dass alle von klein auf astrein Deutsch lernen und es später ein Leben lang in Beruf und Familie vollstrecken, hat etwas Beklemmendes. Mir ist es lieber so, wie es ist: Eine sprachliche Elite spricht astreines Deutsch und drumherum wuchert eine Wildnis von Dialekten, Mixturen aus gebrochenem Deutsch und Fremdsprachen, Fachchinesisch vom Installateur bis zum Hirnchirurgen, und dazwischen wuseln die Journalisten mit permissiver Orthographie.
Sprachliche Unbeholfenheit ist kein eindeutiges Merkmal, aber sie macht es einem immerhin einfacher zu erkennen, wen man vor sich hat. Früher, als man den Herrn oder die Dame körperlich vor sich hatte, kamen einem Kleidung, allgemeiner Pflegezustand, sogar geruchliche Faktoren bei der Beurteilung des anderen zuhülfe. Heute dagegen, wo die meisten Kontakte über Telefon, SMS oder E-Mail geschehen, ist die Sprache das einzige Kriterium zur Einschätzung des Gesprächspartners. Willst also nicht übel auffallen Du, bemüh' Dich um ordentlichen Ausdruck.
Verona Feldbusch als Retterin der Sprache
Ernsthafte Gefahr droht der Sprache eigentlich nur von ihren berufsmäßigen Wächtern. Vermutlich hat Verona Feldbusch mit ihrem "Hier werden Sie geholfen" dem Deutschen mehr geholfen als jene Literaturkritiker, die einen Edelverlag solange in den Schwitzkasten nehmen, bis er ihren Roman veröffentlicht, darin sich dann über hunderte von Seiten schön formulierte Trostlosigkeit verbreitet. Hätte man mich als Gymnasiast gezwungen, so etwas zu lesen, wäre ich für die deutsche Sprache verloren gewesen.
Georg R., dessen Eltern nur insgesamt vier Bücher besaßen, hatte aber das Glück von Deutschlehrern, die es verstanden, in dem Unterschichtsbuben eine Begeisterung für die Lyrik von Trakl und die Prosa Wolfgang Borcherts zu wecken. Auch wenn es altklug klingt, gut ausgebildete Germanisten gibt es nicht ohne eine gewisse Zahl hochkarätiger Institutionen, in denen, abgeschieden vom Lärm der Öffentlichkeit, ernsthafte Wissenschaftler sich mit der Sprache auseinandersetzen.
Egal, ob man Musil und Kafka, Heinz Erhardt und Tucholsky oder alle viere verehrt, diese Meister sind nun mal nicht zu haben ohne die ungeheure Menge von Kitsch und trivialem Geschreibsel außenherum. Bei der sprachlichen Produktion ist es wie in einer Autofabrik, es gibt gute Ware und Ausschuss. Ohne Ausschuss keine Qualität. Und dann ist ja noch die Frage, was bitte ist denn 1A und was ist Ausschuss?
Die deutsche Sprache ist durch einen Libanesen aus Neukölln, der in gebrochenem Deutsch rappt, genauso wenig gefährdet wie die Kunst des Automobilbaus durch ein paar Rumänen, die in der Garage eine S-Klasse zu einem Pickup umschweißen. Die Kunst, sie ist ein amöboides Gebilde. Es wabert, wie Wagner sagte. Keiner weiß, woher der nächste Thomas Bernhard kommen wird. Sicher ist nur: vermutlich nicht aus dem germanistischen Seminar.
Poetryslam mit Brecht und Novalis
Man kann sich über poetry slammer aufregen, die, von einer gängigen Mode angelockt, mehr oder minder klapprige Texte zusammenklopfen. Aber immerhin handelt es sich hier um jemanden, der mit Sprachbegeisterung infiziert ist. Es kann gut sein, dass er in ein paar Jahren auf die Texte von Brecht stößt, Novalis und Hölderlin entdeckt und dann dauert es nicht mehr lang und er ist bei Andreas Gryphius.
Nick Woodland, ein englischer Gitarrist, der seit Jahren in München lebt und in seinem Bayerisch-Deutsch sich weder um Artikel noch Fälle schert, studierte lange die Songs von Bob Dylan. Von Dylan gelangte er über Emmylou Harris zu Dolly Parton und entdeckte auf einer ihrer Platten den deutschstämmigen Mandolinenvirtuosen Chris Thile, der mit seiner Band Nickel Creek später einen Robert-Burns- Text vertonte. In den Gedichten von Burns erkannte Nick Einflüsse auf Dylans Lyrik, und kurze Zeit später landete er bei Shakespeare, von wo es nicht mehr weit zu den Griechen war.
Die Klassik ist also nicht so leicht totzukriegen. Sie wurde ja auch nicht überliefert, damit misslaunige Lehrer unschuldige Kinder quälen, sondern weil es über mehr als zweieinhalb Jahrtausende immer wieder Menschen gab, die von bestimmten Werken fasziniert waren. Eines hatte allerdings nie eine Bedeutung: der Appell an die sprachliche Moral.
In dieser kleinen Realitätsrundschau hoffte ich zu zeigen, dass die Aktion Lebendiges Deutsch schon seit der Völkerwanderung läuft. Also, liebe Sprachwächter, das Haus der Deutschen Sprache kann vom Netz genommen und die Stiftung geschlossen werden.