Es ist ein Wahnsinn, was die deutsche Sprache schon alles überlebt hat. Tausend Jahre Dialektdurcheinander, Jahrhunderte, in denen die Oberschicht Lateinisch oder Französisch gesprochen hat und dann nochmal 1000 Jahre die regierungsamtliche Strapaze seitens Adolf Hitlers und Konsorten. Jetzt aber droht der Todesstoß aus den Tiefen des world wide web: die Aktion "Lebendiges Deutsch". Wir sollen künftig Klapprechner sagen statt Laptop, Prallkissen statt Airbag, meuten statt mobben, und wenn dich die Pubertät heimsucht, sollst du auf keinen Fall chatten, sondern netzplaudern.
Vereint hinter dem "Klapprechner" beim "netzplaudern". Stilblüten einer deutschen Sprache ohne Anglizismen.
(Foto: Foto: ap)Das ist kein Witz, sondern eine Initiative aus dem "Haus der Deutschen Sprache" (HDS), erbaut von einem Fähnlein sprachbesorgter Käuze, die unerschrocken der Anglizismenflut entgegentreten. Noch ist das HDS nur eine Homepage, aber wenn sich genügend Sprachschuhplattler finden, und das steht beim nächsten Anstieg der Arbeitslosenzahlen zu befürchten, so wird daraus bald ein richtiges Haus mit Schild außen und Ausstellungen innen drin, wo zeigen wie fuckin inglish unsere Sprach fertig macht.
Appelle gehören seit je her zur Folklore der deutschsprachigen Siedlungsgebiete. Alle Daumenlang steigt ein Apostel auf den Stuhl und predigt, wir sollen unser Haus warm einpacken, mal diesel-, mal benzin-, mal gas-, mal überhaupt keine und dann plötzlich batteriegetriebene Autos kaufen, nicht rauchen, uns ballastreich ernähren, Müll trennen und dann wieder nicht, immer gibt's jemanden, der weiß, wie es sein müsste.
Bedrohung von allen Seiten
Man fragt sich nun, welche Zielgruppe diese Sprachwächter im Visier haben. Es können ja nur die sein, die bekehrbar sind zum manierlichen Deutsch. Die brauchen aber keine Nachhilfe mehr, sie kaufen schon seit Jahren die freundlich geschriebenen Sprachverbesserungsbücher von Bastian Sick und Epigonen. Bei der Masse derer aber, die bzgl. dass/das-Unterscheidung schmerzfrei sind, pocht der Sprachsittenwächter vergeblich an eine fest verrammelte Tür. Drinnen sitzen Erna und Herbert im Jogginganzug auf dem Sofa und sehen fern.
Die Verhunzung des Deutschen droht von allen Seiten. Und das Problem sind aber nicht ein paar angstgebeutelte Industrieangestellte, die versuchen, ihr Gestammel mit englischen Brocken aufzumöbeln; die gefährlichste Art der Sprachverstümmelung kommt vielmehr direkt von der Regierung: Job-AQTIV-Gesetz oder Berufenet-Team sind amtlich verordnete Sprachgrausamkeiten, die mit verschärftem Kerker geahndet werden sollten.
Während die Verantwortlichen aber nach getaner Untat mit fett bezahlten Stellen bei einem russischen Gaskonzern oder einem deutschen Energieversorger belohnt werden, streicht man unschuldigen Schülern Rechtschreibfehler an, die ihnen selbst der Kultusminister nicht erklären kann. Gottseidank sind die Kinder noch nicht so ausgefuchst, dass sie den Lehrer fragen, wie jemand Kanzler werden konnte, der so sprach wie Kohl. Oder Ministerpräsident, obwohl er so sprach wie Stoiber. Und wie ist Schröder durchs Abi gekommen, wo er doch selbst bei englischen Politikern einen Dolmetscher brauchte?
Agentur für Arbeit heißt es statt Arbeitsamt, liebe BürgerInnen und Bürger, Gleichstellungsstelle, Genderkompetenz, verhaltenskreative Kinder, Förderschule und so weiter, all dies sind nicht anglizistisch "durchrasste", aber absolut hinterfotzige Wortklingeleien. Ist diese Art heimtückischer Schönsprech der sprachliche Ausdruck zunehmend geschickterer Ausübung von Herrschaft?
Das wird einem in der Schule so nicht gesagt, aber wenn der Bachelor für Kommunikationswissenschaft hört, wie ihm ein Abteilungsleiter in leisen, wohlgesetzten Worten mitteilt, dass er als Praktikant gerne gratis schuften darf, die festen Stellen aber anderweitig gebraucht werden, lernt der zutrauliche Jungwähler, dass die Beherrschung der Sprache keine Marotte weltfremder Schullehrer ist, sondern eine bewährte Waffe für den Überlebenskampf im modernen Dschungel. Und so schickt der gewiefte Personalchef sprachlich ungelenke BewerberInnen auf die Stellen, wo Nicole putzt und Kevin Regale einräumt. Wahrscheinlich also tun Ehrgeiz und das Gerangel um die besseren Stellen mehr für die Pflege der deutschen Sprache als die Appelle der Deutschbewahrer.
Wer setzte denn noch vor kurzem auf eine Renaissance (sic!) deutscher Texte in der Popmusik? Keine zehn Jahre ist es her, da signten (doch so sprachen sie) die Intelligenzbolzen der Plattenindustrie jede Menge deutscher Idiotenbands, die das Publikum mit erbärmlich zusammengeschusterten englischen Texten anbrüllten. Globalisierung hieß es, die Sprache der Popmusik sei nun eben mal Englisch.
Ein paar Jahre später, als die Plattenfirmen ihrem wohl verdienten Siechtum anheimfielen, kamen Judith Holofernes mit der Band Wir sind Helden, Jan Delay und andere deutschsprachige Künstler mit hervorragenden Texten, und heute nehmen die Überreste jener Firmen keinen mehr unter Vertrag, der die Welt von hier aus mit englischen Texten beglücken will. Wer eine saubere Brille hatte, sah schon lange vorher, dass Grönemeyer, Lindenberg und die Ärzte mehr Platten und Konzertkarten verkauften als die meisten der hochgejubelten Ausländer, aber das passte nicht in die Lesart der Branche. Auch diesen Krampf hat die deutsche Sprache also überstanden.
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