Theater in München:Ich, Thomas

Theater in München: Thomas Melle, der echte, hat sich für die Produktion bereitwillig mit Silikon übergießen und ausmessen lassen. Mit Hilfe von 3-D-Druck und viel Technik entstand dann ein Roboter, der ihm tatsächlich sehr ähnlich sieht.

Thomas Melle, der echte, hat sich für die Produktion bereitwillig mit Silikon übergießen und ausmessen lassen. Mit Hilfe von 3-D-Druck und viel Technik entstand dann ein Roboter, der ihm tatsächlich sehr ähnlich sieht.

(Foto: Gabriela Neeb)

Ist das noch Theater, wenn statt einem Schauspieler ein Roboter auf der Bühne sitzt? Diese Frage stellt "Uncanny Vally" in den Münchner Kammerspielen.

Von Christiane Lutz

Theaterabende, die den Zuschauer mit einer langen Liste an Fragen nach Hause schicken, sind schon mal nicht die schlechtesten. Im Falle von "Uncanny Valley" geht das mit der Frage los, ob dies überhaupt "Theater" ist, wenn da statt einem Schauspieler ein Roboter auf der Bühne der Kammerspiele sitzt. Im Laufe der einstündigen Produktion kommen unter anderem noch hinzu: Wie entsteht Empathie? Was wirkt echt und was künstlich? Und wäre künstlich schlechter? Warum? Wie schön ist Berechenbarkeit?

Auf der Bühne sitzt ein Roboter in Gestalt des Autors Thomas Melle. Er trägt einen Anzug, hat ein Bein lässig auf dem anderen Knie abgelegt. Er sieht Melle sehr, sehr ähnlich. Wenn er spricht, kommt Melles Stimme aus einem sich bewegenden Silikon-Mund. Die Hände heben sich, gestikulieren beinahe. Nur am Hinterkopf ragt ein großes Loch, drinnen Kabelsalat. Eine unübersehbare Erinnerung daran, dass hier Niemand Perfektion behaupten will. Stefan Kaegi von Rimini Protokoll hat diesen Roboter bauen lassen. "Wenn Sie gekommen sind, um hier einen Burgschauspieler zu sehen, dann sind Sie falsch", sagt der Melle-Roboter mit Melles Stimme. "Aber wenn Sie gekommen sind, um das Authentische zu sehen, dann sind Sie hier auch falsch." Roboter-Melle hebt den Fuß und das Publikum lacht.

Da lässt sich zumindest die Frage nach der Theatralität des Abends schon beantworten. Natürlich ist das Theater. Auch, weil "Uncanny Valley" immer wieder spielerisch die Rolle des Zuschauers im Theater hinterfragt. Wem nutzt Applaus eigentlich mehr? Dem Zuschauer oder dem schauspielenden Roboter?

Als Zuschauer lässt man sich schnell von der Melle-Maschine einwickeln, akzeptiert sie, das ist vor allem Melles Stimme zu verdanken - als Hauptfigur. Als der Roboter auf den Zuruf - "Können Sie mit uns interagieren?" - nicht reagiert, ist das beinahe enttäuschend.

Von dem Geräusch leise klingender Mechanik begleitet, erzählt der Roboter dann von Melles Leben als manisch-depressiver Autor. Der Roboter, sagt Melle erleichtert, könne jetzt seine Mängel ausgleichen, ja vielleicht für ihn auf Lesetour gehen. Berechenbarkeit und zuverlässige Wiederholbarkeit seien etwas Schönes.

In einem Video berichtet ein Gehörloser, wie schön es sei, bei Bedarf nach Ruhe sein Hörgerät einfach auszuschalten. Melle erzählt auch von Alan Turing, einem Pionier der Computertechnik. Turing nahm sich 1954 kreuzunglücklich das Leben, weil er als Homosexueller zwangsmedikamentiert worden war. Der Fehler im System Turing sollte behoben werden.

Und das ist wohl die wichtigste Frage des Abends: Sind die Fehler das, was Mensch und Maschine unterscheiden? Wenn ja, wer macht eigentlich die blöderen Fehler? Der Mensch, wenn er nicht funktioniert? Oder die Maschine, wenn sie nicht zurücklächelt? "Uncanny Valley" ist eine fast liebevolle Betrachtung von beidem: von den Wundern der Technik und vom Menschen. Und davon, dass die Existenz des einen die des anderen nicht negiert. Ein leiser, aber sehr ausgefuchster Saisonstart.

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