Kafka und Brod:Den Menschen entdecken

Kafka und Brod: Einige der Skizzen Franz Kafkas, die in der israelischen Nationalbibliothek vorgestellt wurden.

Einige der Skizzen Franz Kafkas, die in der israelischen Nationalbibliothek vorgestellt wurden.

(Foto: Menahem Kahana/AFP)

Nach langem Rechtsstreit wurde nun der Nachlass Max Brods mit bisher unbekannten Texten und Zeichnungen Franz Kafkas aus einem Bankschließfach in der Schweiz in die israelische Nationalbibliothek überführt.

Von Alexandra Föderl-Schmid

In zwei Handkoffern haben der Direktor der israelischen Nationalbibliothek, Oren Weinberg, und der Archivar Stefan Litt vor zwei Wochen die wertvolle Fracht aus der Schweiz nach Israel gebracht: 60 beige Flügelmappen mit Tausenden Seiten. Der Nachlass von Max Brod. Darin befinden sich Handschriften des Schriftstellers Franz Kafka und überraschenderweise auch Zeichnungen. Litt, der aus Deutschland stammt, war auch beim Öffnen der Safes in der UBS-Bank in der Schweiz dabei. "Berührend" sei es gewesen, Kafkas Schrift wiederzuerkennen, so Litt am Mittwoch bei der Präsentation der Dokumente in Jerusalem.

Es war Brod selbst, der die Hinterlassenschaft Kafkas in die Schweiz gebracht hatte - "aus Sicherheitsgründen", wie Litt vermutet. Es ist Brod zu verdanken, dass Kafkas Schriften überhaupt erhalten geblieben sind. Denn er ignorierte dessen testamentarisch verfügten Wunsch, seinen gesamten Nachlass zu verbrennen. Kafka wurde durch ihn posthum berühmt.

Überraschend ist, dass sich unter den Papieren bisher nicht bekannte Zeichnungen Kafkas befinden. Mit klaren Strichen hatte er Personen skizziert. "Manchmal kann man den Menschen in Bildern mehr entdecken als in Texten", meint Litt. Die Zeichnungen mit Tinte und Bleistift müssen nach 1920 entstanden sein, denn sie enthalten hebräische Schriftzeichen. Sieben Jahre vor seinem Tod hatte Kafka begonnen, Hebräisch zu lernen. Vermutlich seinem Freund Brod zuliebe, der ein glühender Zionist war. Auch ein Vokabelheft und eine autobiografische Skizze Kafkas lagerten noch im Schweizer Safe.

Litts Einschätzung nach handelt es sich um den "wertvollsten Teil" des Brod-Nachlasses. Bereits bekannt war, dass sich in der Schweiz drei Versionen von Kafkas Erzählung "Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande " befanden. Die erste hatte er noch in Kurrent geschrieben. In dem Nachlass befinden sich auch Briefe und Postkarten, die Kafka mit zittriger Schrift noch kurz vor seinem Tod 1924 aus dem Sanatorium im österreichischen Kierling an Brod geschickt hat.

Brod, 1968 in Tel Aviv gestorben, hatte seiner Sekretärin Ilse Ester Hoffe zu Lebzeiten die bei ihm verbliebenen Kafka-Handschriften geschenkt. Hoffe begann in den Siebzigerjahren, Teile zum Verkauf anzubieten: zuerst Kafkas Briefe an Brod, dann Manuskripte. Das "Prozess"-Manuskript ersteigerte das Deutsche Literaturarchiv in Marbach 1988 für 3,5 Millionen Mark.

Die juristische Auseinandersetzung um den Nachlass begann 2008, als Ilse Ester Hoffe im Alter von 101 Jahren starb. Die israelische Nationalbibliothek focht ihr Testament an, in dem sie ihre Töchter Eva Hoffe und Ruth Wiesler als Erbinnen eingesetzt hatte. Die Nationalbibliothek argumentierte, Hoffe habe das Testament Brods missachtet. Das Oberste Gericht in Israel und ein Schweizer Gericht legten das Testament zu Gunsten der Nationalbibliothek aus. Denn Brod hatte verfügt, dass Hoffe den Nachlass einer Bibliothek in Israel übergeben soll. Litt ist "erleichtert, dass der juristische Prozess nach elf Jahren abgeschlossen ist". Er zeigte auch einige Dokumente, die im Mai in Berlin vom Bundeskriminalamt Vertretern der israelischen Nationalbibliothek übergeben wurden. 5000 Seiten aus Brods Privatarchiv, das fast ausschließlich aus seinen Schriften bestand, waren nach einem Diebstahl vor zehn Jahren in Berlin gefunden worden.

"Möglichst bald", so Litt, sollen die nun in Jerusalem lagernden Schriften Kafkas digitalisiert und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. In Jerusalem und in Marbach befindet sich ein Teil von Kafkas Nachlass, der Großteil ist laut Litt in Oxford in der Bodleian Library.

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