Süddeutsche Zeitung

Kafeehauskultur:Weil so schön prickelt in meine Bauchnabel

Die effiziente amerikanische Coffeeshop-Kette "Starbucks" verheißt Erlösung. Und zwar all jenen, denen die alte Kaffeehaus-Kultur zu lahm und zu unfreundlich ist. Dafür nimmt man offenbar sogar den Verlust des klassischen Gabelfrühstücks mit "Piccolo" in Kauf.

HILMAR KLUTE

Die Liebe zu den alten Wiener Kaffeehäusern ist oft von seltsamer Erbötigkeit. Warum ist es schön, in schäbigen Lokalen wie dem ¸¸Hawelka" zu sitzen und von einem alten gehetzten Mann an einen Tisch geführt zu werden, an dem schon zwei australische Touristen warten und ratlos sind? Was ist charmant an den kriminell arroganten alten Oberkellnern im ¸¸Bräunerhof", die ihre ganze Verachtung in einen Kaffee legen, der wie ein Indianerhäuptling Großer Brauner heißt?

Und warum empfiehlt Senta Berger die anstrengend verschmitzten Caféhaustexte von Alfred Polgar, in denen ständig ¸¸die Zeit stehen bleibt" oder man ¸¸alleine und doch unter Menschen ist". Obwohl - einen sehr interessanten Satz hat Polgar tatsächlich geschrieben, und zwar über das ¸¸Café Central": ¸¸Wenn man alle Anekdoten, die von diesem Kaffeehaus erzählt werden, zerstampft, in die Retorte gibt und vergast, wird sich ein trübes, irisierendes, leicht nach Ammoniak riechendes Gas entwickeln; die sogenannte Luft des Café Central."

Im Klartext heißt das: Das Café ist ein deprimierender Problemerörterungsschuppen, in dem Heißgetränke gereicht und exzentrisches Mittelmaß gepflegt werden. Was zusammengenommen eine eigentlich völlig indiskutable Atmosphäre ergibt, die aber im Soziotop der Kaffeehausliebhaber wieder als unkonventionell, liebenswert und erholsam gilt. Dass diese Kultur unterzugehen droht, liest man immer wieder, wenn in einer Stadt ein altes Café schließen muss. Die traditionsreichen Stätten des Genusses und der Kontemplation müssten sterilen Konsumierungstempeln weichen, in denen laute Musik gespielt werde. Und als eine Art Kaffeehaus-Killervirus gilt neuerdings die amerikanische Coffeeshop-Kette ¸¸Starbucks", die immer aggressiver in die Kaffeehaus-Domänen einrücke.

Eine Fernsehwerbung führt zur Zeit einen Mann in den Vierzigern vor, der in eine ¸¸San Francisco Coffee Bar" kommt und von der Bedienung eine Reihe von Kaffeespezialitäten aufgesagt bekommt: Latte, Amaretto, mit Schaum ohne Schaum. Die junge Frau verheddert sich in der Aufzählung, und der Mann fragt am Ende: ¸¸Gibt es denn hier keinen normalen Kaffee?" Die Vielgestaltigkeit des Kaffees ist hier Ausdruck einer großen Orientierungslosigkeit. Die Menschen brauchen immer mehr Reize. Schaum, Milch, Vanillesirup. Wo soll das eigentlich hinführen? Der eingeforderte normale Kaffee hieß früher auch anständiger Kaffee, so als würde man sich mit dem Getränk eine Art moralische Festigkeit einverleiben.

Der Kaffee ist ein Getränk von früher. Deshalb sitzen manche Menschen gerne in Cafés mit einer irgendwie gearteten Vergangenheit, am besten einer, die den ¸¸verblassten Charme des untergegangenen Kakanien" in den Tapeten hat. Dabei sind das meist Lokale, in denen die Kellner ungewöhnlich schlechte Manieren haben. Eine Begegnung mit der österreichischen Schriftstellerin Ilse Aichinger fand 2001 im gedämpften Licht des Wiener Cafés Imperial statt. Frau Aichinger, die immer mit hoch gezogenen Augenbrauen spricht, bekam sehr lange kein Getränk. Vielleicht mochte das Personal es nicht akzeptieren, dass Ilse Aichinger zwar den Roman ¸¸Die größere Hoffnung" und darüber hinaus klassisch gewordene Erzählungen und Gedichte vorgelegt, das Café hingegen in einem schäbigen Mantel betreten hatte und eine Plastiktüte mit Frauenzeitschriften bei sich trug.

Um etwas zu trinken zu bekommen, musste man nach ein paar Minuten aufstehen und die Kellner bitten, an den Tisch zu kommen. Die Dichterin erzählte, dass die Gleichgültigkeit der Kellner in diesem Lokal Tradition hätte, so wie sie nach Ansicht Frau Aichingers in ganz Wien Tradition hat. Eine Gleichgültigkeit, die für den Kaffeehausgänger und Satiriker Friedrich Torberg (¸¸das Caféhaus ist der geistige Raum eines untergegangenen Lebensstils") tödlich endete. Im Jahr 1979 brach er an seinem Tisch im ¸¸Imperial" zusammen. Erst Minuten später wurde von ungerührten Kellnern ein Rettungswagen verständigt. Wenige Tage darauf starb Torberg.

Gelebte Geschichte - dieses Prädikat ließ sich auch auf ein Kaffeehaus münzen, das es bis in die frühen 90er Jahre hinein in der Fußgängerzone von Wanne-Eickel gegeben hat: das ¸¸Café Profittlich". Freche Kinder nannten das Lokal ¸¸Profottloch", und sie hatten recht.: Es war dort so dreckig, dass man am liebsten wieder gehen wollte.. An den Tassen Spuren von Lippenstift, Kuchenreste zwischen den Gabelzinken. Aber kaum saß man, kam der greise Karl-Heinz Profittlich und fragte ahnungslose Gäste, ob sie ¸¸ein Gespräch wünschten". Dann erzählte er von den Judentransporten, die er durch das Fenster des Cafés beobachtet habe, und belästigte den Gast mit schwer erträglichen Ausführungen zur jüngeren deutschen Geschichte. Einer der Stammgäste, Herr Wolf, rief aus seiner Ecke: ¸¸Herr Profittlich, Sind Sie denn ein Antisemit?" ¸¸Herr Wolf, bitte schweigen Sie, wenn ich ein Gespräch führe." So hat sich die alte Kaffeehauskultur im längst verschwundenen Profittlich als Schmierentheater inszeniert.

Das Café war einmal ein Ort des Träumens, Lauschens, Schnorrens und Dichtens, des Charmes, einerseits und des beseelten Rückzugs aus der Banalität des Alltäglichen andererseits. Vielleicht sind manche Cafés deshalb auch eingerichtet wie die Oberstübchen von Menschen, die mit dem richtigen Leben nichts mehr zu tun haben. In Bochum gibt es zum Beispiel die ¸¸Katzenstube" von Horst Rybka, der hier seit den 80er Jahren ein vorwiegend posttherapeutisches Publikum versorgt. Einer, Rainer, saß den ganzen Tag an einem Tisch und fertigte Rauten an. Es waren Rauten von unbeschreiblicher Schönheit, aber am Ende des Tages schmiss er sie weg. Warum? Wenn man das fragte, warum, zeigte er an seinen Kopf und sagte: ¸¸Weil alles hier drin ist."

Weil alles hier drin ist, findet man in der ¸¸Katzenstube" nur selten Platz. Das Lokal ist voller Keramikkatzen und Pflanzen, es ist mit den Jahren ein begehbares kleines Krankheitsbild geworden. Aber der Besitzer möchte es um keinen Preis der Welt hergeben. Er würde es nur ¸¸mit den Füßen vorneran verlassen", sagt er. Horst Rybkas Café ist mittlerweile derart verkünstelt, dass Gäste darin eher störend wirken. Gleich um die Ecke stand früher das ¸¸Café Sorglos" das von einer Frau aus Bayern betrieben wurde. Es war die gesunde Alternative zur Katzenstube, musste aber bald schließen, weil die penetrante Sorglosigkeit nicht zum Anblick der vielen grauen Menschen des Ruhrgebiets passte, die tagaus, tagein mit bitteren Mienen aus dem Straßenbahndepot gegenüber kamen.

¸¸Nur die Mumien hielten dem alten Haus die Treue", möchte man mit Anton Kuh sagen. Vielleicht wollen deshalb viele Menschen gar nicht mehr in die Verlegenheit kommen, Teil solcher trostlosen Soziotope zu werden. Höchstens vielleicht als Tourist. In Paris hatten die Cafés bis vor wenigen Jahren noch eine Abgewetztheit, die manche Menschen ¸¸zum Niederknien" fanden. Heute sind die Brasserien sauber, die Tische neu, die Vitrinen geputzt. Man kann niederknien, ohne sich zu beschmutzen. Aber der alte Charme ist natürlich weg, die kurz aufflackernde Vorstellung, ein Bruder Verlaines zu sein, während man in Wirklichkeit nur ein Komparatistik-Student an einer deutschen Massenuniversität ist.

Mittlerweile gehen die Brasserien in Frankreich zugrunde. Aber nicht an ¸¸Starbucks", sondern an der Abkehr der Franzosen vom Caféleben. Die hat auch schon eine wirtschaftliche Konsequenz darin, dass sich viele Lokale wie ¸¸La Coupole" oder das ¸¸Flo" zu Brasserie-Ketten zusammen geschlossen haben.

Die alten europäischen Cafés gehen zugrunde und aus ihrem Schutt entstehen die modernen neuen Coffee-Shops. Über die beiläufig eingerichteten Espressobars in Italien mit ihren Resopaltheken verliert niemand ein böses Wort. ¸¸Starbucks" hingegen gilt als primitiv, weil es die ehrwürdige Kaffeekultur zum Fast-Drink degradiere. In Wirklichkeit ist es eher lustig, dass man mit Kaffee anscheinend noch richtige Tabubrüche begehen kann. Der österreichische Literaturwissenschaftler Roberto Simanowski warnt sogar ernsthaft vor der ¸¸Seattlelisierung" Wiens, sieht in der Eröffnung eines ¸¸Starbucks"-Cafés in der Kärnterstraße eine Kulturrevolution und findet folgendes Szenario beklagenswert: ¸¸Bei Starbucks liest man eher seine mitgebrachten Schulbücher und Seminarunterlagen und tippt das fällige Essay in den Laptop oder erledigt ein paar Geschäftstelefonate. Da ist soviel zu tun, so viele Dead Lines, so viele Pläne, soviel Zukunft ringsum." Das ist doch großartig. Zudem bekommt man dort den Kaffee, kaum dass man ihn bestellt hat. Worauf gründet sich überhaupt die Legende, dass der Kaffee österreichischer Kaffeehäusern besser sei als bei Starbucks?

Weil die Kaffeehauskultur nichts so liebt wie die Anekdote, soll am Schluss dieses Textes eine Anekdote stehen: Immanuel Kant, ein vernunftbegabter Kaffeetrinker, bekam von einem Bediensteten die Versicherung, sein Kaffee komme gleich. Kant soll geantwortet haben, dass das Elend eben darin liege, dass der Kaffee gleich komme und nicht jetzt. ¸¸Starbucks" jedenfalls kam viel zu spät.

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Quelle:
Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.81, Dienstag, den 06. April 2004 , Seite 18
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