Lesung von Gabriele Tergits "Käsebier"-Roman:Absturzvirtuosen

Lesung von Gabriele Tergits "Käsebier"-Roman: Vom müden Stoßseufzer des Theaterkritikers bis zum Gemaule des Setzers: Katharina Thalbach liest den "Käsebier".

Vom müden Stoßseufzer des Theaterkritikers bis zum Gemaule des Setzers: Katharina Thalbach liest den "Käsebier".

(Foto: Moritz Haase/Berliner Ensemble)

Katharina Thalbach liest am Berliner Ensemble "Käsebier erobert den Kurfürstendamm". Ein herrliches Stimmengewirr, das Gabriele Tergits hochtourige Berlin-Studie aus den Dreißigerjahren quicklebendig werden lässt.

Von Peter Laudenbach

Der neue Verlagsgeschäftsführer räumt auf. Die altehrwürdige Berliner Rundschau bekommt eine bunte Beilage mit Kosmetikteil, eine Boulevardfachkraft wird für viel Geld von einem Klatschblatt abgeworben. In der Redaktion wird jeder fünfte Mitarbeiter gekündigt, der Rest bekommt weniger Gehalt. Und Großraumbüros will der Boss natürlich auch einführen.

Als dieser Geschäftsführer, ein energischer Blender und Zeitgeistopportunist, schließlich zur Konkurrenz wechselt, ist die Berliner Rundschau ruiniert und der Feuilletonchef Miermann ist arbeitslos. "Er hatte die Breite des Epikers und die Kahlheit des Humoristen", schreibt Gabriele Tergit über ihn. Erst bei seinem Rauswurf wird Miermann klar, dass er sich all die Jahre etwas vorgemacht hat: Er hielt sich für eine Art Künstler, war aber nur ein austauschbarer, schlecht bezahlter Angestellter.

Was klingt wie eine Satire auf einen Panik-Relaunch in der gebeutelten Zeitungsbranche von heute, spielt im Berlin der Jahre um 1930. Die Bekanntschaft mit den Sitten und Gebräuchen des Berliner Kulturjournalismus der späten Weimarer Republik verdanken wir Gabriele Tergits Roman "Käsebier erobert den Kurfürstendamm".

Mit der Neuentdeckung Tergits und ihres großen, im Exil geschrieben Romans einer Familie, "Die Effingers", ist auch ihr "Käsebier"-Romandebüt von 1931 wieder in den Blick geraten. Es ist ein Klassiker dessen, was die Nazis als "Asphaltliteratur" gehasst haben - urban, temporeich, witzig und hellsichtig. Jetzt liest Katharina Thalbach am Berliner Ensemble eine von Sibylle Baschung gekonnt auf zwei Stunden gekürzte Textfassung des Großstadtromans, und man hört dieser Königin des herben Berliner Dialekts ziemlich fasziniert und amüsiert dabei zu, wie sie lustvoll ins Stimmengewirr der Figuren eintaucht.

Da sind die müden Stoßseufzer des Theaterkritikers ("Ach, der Artikel ist mir nicht so recht gelungen, ich werde mir einen Schnaps kommen lassen"). Da sind die breiten, prinzipiell von gar nichts beeindruckten Proletariertöne des Setzers ("Det Feuilleton is wieder viel zu lang, wie immer"). Da ist die altmodische Blasiertheit eines von sich selbst sehr faszinierten Großschriftstellers, die Angebertöne des dynamischen Geschäftsführers und natürlich die Melancholie des immer gehetzten, immer überarbeiteten Redakteurs Miermann, der vergeblich auf eine kleine erotische Affäre nach Feierabend hofft.

Sex suchen hier alle: "1929 ist es albern, kein Verhältnis zu haben."

Natürlich macht sich Thalbach ein großes Vergnügen daraus, die sexuellen Anzüglichkeiten auszukosten, mal mit vielsagend langsam in den Mund geschobenem Finger, mal mit kokettem Seufzen oder eher vergeblichem Sich-Verzehren, oder einfach mit einer sachlichen Feststellung: "Es ist 1929, und 1929 ist es albern, kein Verhältnis zu haben."

Tergits Roman zeigt ein Kaleidoskop neuer Frauentypen, von der sexuell offensiven Gymnastiklehrerin bis zur Redakteurin mit Doktortitel, die intellektuell dem Rest der Redaktion haushoch überlegen ist und dann trotzdem auf den Schwerenöter von Paris-Korrespondenten hereinfällt. Thalbach nutzt Tergits Typenkomödie zu knappen Porträts ihrer Figuren. Dass die Lesung so einen schönen Sog entwickelt, liegt auch daran, dass Dialoge Tergits Stärke sind. Sie zeichnet ihre Figuren durch ihre Sprechweisen und Soziolekte - ein Roman, wie gemacht dafür, von einer großen Schauspielerin in ein Theater der Stimmen verwandelt zu werden.

Natürlich ist nicht nur der flotte Verlagsgeschäftsführer eine Hochstaplerfigur, die von leeren Versprechungen lebt. Die Geschichte des kurzen Hypes um den Volkssänger Käsebier, die schnellen Flirts, die Schlagzeilenmaschine der Presse, der neuerungssüchtige Amüsierbetrieb, die geplatzten Immobilienspekulationen, die ganze Stadt ist ein einziger Bluff. Dass in der Inflation nicht nur die finanziellen Werte zerbröseln, dass alle Gewissheiten und Selbstgewissheiten ziemlich porös geworden sind und alle trotzdem so tun, als hätten sie ihr Leben im Griff, ist gleichzeitig komisch und traurig. Beidem, der Komik und der Verlorenheit der deklassierten Bürger, schenkt Thalbach ihre gänzlich unsentimentale Neugier.

Mit dem Publikum flirten, ohne Anbiederung - die Thalbach kann das

Für ihre Zeitreise ins eher kaputte als beschwingte Babylon Berlin der 1930er-Jahre braucht Thalbach nicht mehr als eine Bühne und eine zeitgenössische Büroeinrichtung: Schreibtisch, Papierstapel, Aktenschrank, Telefon. Sie wechselt von der gelassenen Erzählerstimme zum Stakkato der Großstadtmomentaufnahmen aus den überfüllten Amüsierbars, dann geht es in enge Hinterhöfe und stille Cafés für verliebte Paare.

Sie scheint immer etwas über die überdrehten, hochtourig durch ihre Tage (und noch hochtouriger durch die Nächte) hetzenden Romanfiguren zu staunen, denen sie ihre Stimme mit vielen Dialektvarianten und Tonfärbungen leiht. Thalbach amüsiert sich mit ihnen, nicht über sie, was ein großer Unterschied ist. Die Schau- und Sprachspielerin flirtet im ausverkauften Theater mit dem Publikum, ohne sich ihm eine Sekunde anzubiedern - große Kunst.

Bei der Romanlektüre kann das Daueraufgekratzte und das Pointengewitter der Schnellfeuerdialoge mitunter etwas ermüdend wirken, Thalbach spielt aber virtuos und lässig damit. Man hört ihr zu und ist sehr nah dran an den Gescheiten und den Gescheiterten, an den Bluffern, Pleitiers, Absturzvirtuosen und Gelegenheitsromantikern. Einem Hörbuchverlag, der sich das entgehen lässt, ist nicht mehr zu helfen.

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