Kabarettist Dieter Hallervorden:Hallervorden an Erdoğan: "Besinnen Sie sich!"

Eigentlich war der Komiker zum fraktionsübergreifenden Adventssingen in den Bundestag gekommen. Doch er bringt politische Botschaften Richtung Türkei mit. Das passt zu seinem Lebensthema: Freiheit.

Von Christoph Dorner, Berlin

Dieter Hallervorden tritt ans Mikrofon. Er greift, sich dabei leicht vor dem Publikum verneigend, in die Innentasche seines dunkelblauen Anzugs. Seine grauen Haare sind ausnahmsweise fast gar nicht vestrubbelt. Hallervorden holt einen Zettel heraus, faltet ihn auseinander, grinst sein berühmtes, schelmisches Didi-Grinsen, denn er weiß, was jetzt kommt. Er weiß, dass ihn, den großen Palim-Palim-Volkskomiker, keiner der anwesenden Politiker vorher zensiert hat. Sonst wäre er auch gar nicht ins Paul-Löbe-Haus gekommen, wo an diesem Donnerstag wieder das Adventssingen der Abgeordneten und Mitarbeiter des Deutschen Bundestages stattfindet. Dann also sagt Hallervorden: "Lieber Herr Erdoğan, aus voller Seele wünsche ich Ihnen ein langes Leben mit großer geistiger Frische."

Es ist ein vermeintlich harmloser erster Satz, den er für seine Solidaritätsadresse an die in der Türkei inhaftierten Abgeordneten, Künstler, Wissenschaftler und Journalisten gewählt hat. Doch Dieter Hallervorden ist mit seinen 81 Jahren, davon hat er sechs Jahrzehnte auf Kabarett- und Theaterbühnen verbracht, natürlich hintersinnig genug, den Gesundheitswunsch an Erdoğan mit einem kritischen Appell zu verknüpfen. Im hohen Alter werde der türkische Präsident lesen können, was einmal in den Geschichtsbüchern über ihn geschrieben werde, sagt Hallervorden mit krächzender Pastoralität. Will heißen: Noch habe Erdoğan in der Hand, ob es in ferner Zukunft sehr viel Kritik für seine Politik geben wird. Oder sehr, sehr, sehr, sehr, sehr viel Kritik.

Im April dieses Jahres, als die Affäre um das Schmähgedicht des ZDF-Satirikers Jan Böhmermann hochkochte, hatte auch Hallervorden einen Song für Erdoğan aufgenommen: " Erdoğan, zeig mich an". Darin hatte teilte er kräftig gegen den türkischen Präsidenten aus: "Ich sing einfach, was du bist: Ein Terrorist, der auf freien Geist nur scheißt."

Das Adventssingen hat die "überfraktionelle Kulturinitiative" anberaumt

Das nicht sonderlich originelle und in der Tonspur recht billig dahinscheppernde Satire-Liedchen (das bei Youtube momentan bei 3,23 Millionen Klicks steht) hatte Hallervorden auf die Schnelle von Dieter Dehm auf den Leib geschrieben bekommen. Der Liedermacher und Musikproduzent ist mit "Tausend und eine Nacht" auch für eine der größten Schmonzetten der Achtziger verantwortlich. Ganz nebenbei sitzt er seit 2005 zum zweiten Mal für die Linke im Bundestag.

Dehm war es auch, der Hallervorden an diesem Abend ins Paul-Löbe-Haus gebracht hat. Er ist Teil der "überfraktionellen Kulturinitiative", die jedes Jahr zu einem Adventssingen einlädt. Dabei soll durch das gemeinsame Singen das Bewusstsein für einen kollegialen Umgang im Parlament schärfen soll. Vor allem sollen die politischen Grabenkämpfe einmal für eine Stunde keine Rolle spielen. Allein, es bleibt ein frommer Weihnachtswunsch an diesem letzten Großkampftag im Bundestagsjahr 2016.

Da singen ein paar Dutzend Abgeordnete im Foyer mit hundertfacher musikalischer Unterstützung der Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung und des Landesposaunenchors Berlin-Brandenburg "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit", während die CDU/CSU-Fraktion am Nachmittag noch eine Pressemitteilung "aus dem Bereich Innen, Recht, Sport und Ehrenamt" mit der Überschrift verschickt hat: "Ausreisepflicht konsequent durchsetzen". Darin wird die Sammelabschiebung von 34 Afghanen als innerpolitische Erfolgsmeldung verkauft.

Auch Norbert Lammert spricht über die Türkei - und von zwei Putschversuchen

Die politische Weltlage mache es in diesem Jahr eben schwer, dass adventliche Stimmung aufkomme, sagt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in seinem nachdenklichen, fast schon konsternierten Grußwort zu Beginn. Die Bilder aus Aleppo seien niederschmetternd, sagt Lammert, für die betroffenen Menschen und für die Weltgemeinschaft, die sich doch schon lange einig gewesen war, dass sich solche Bilder nie mehr wiederholen dürften.

Und dann sei da noch die Türkei, mit der Deutschland historisch, politisch, ökonomisch und vor allem menschlich viel verbinde, betont Lammert. Er spricht von zwei Putschversuchen, die das Land 2016 erlebt hat: einem Militärputsch und einem Putsch der Regierung, um die Verfassungsordnung außer Kraft zu setzen. 75 000 Menschen hätten seitdem ihre Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst verloren, 30 000 Menschen seien inhaftiert. "Ihnen allen gilt unsere Unterstützung", sagt Lammert, ehe er wenig zuversichtlich abschließt: "Zu Beginn des Jahres werden wir es vermutlich wieder mit den gleichen Themen zu tun haben."

Freiheit ist Hallervordens Lebensthema

Dann tritt Dieter Hallervorden ans Mikrofon, im Rücken ein prächtig geschmückter Weihnachtsbaum. Hallervorden hat sich auch abseits der Bühne immer wieder politisch geäußert. Seine Nähe zur FDP ist bekannt, seit der Dessauer, der vor dem Mauerbau aus der DDR abgehauen war, im Wahlkampf 1983 mit einem Glas Bier für die Genscher-Partei warb. Freiheit ist Hallervordens Lebensthema, deshalb steht er nun auch am Mikrofon und sorgt sich um die Gesundheit Erdoğans. Er habe seine Worte dem Anlass entsprechend gewählt, wird Hallervorden nach der feierlichen Stunde erzählen.

Es wird deshalb auch kein denkwürdiger Auftritt wie bei der Linken-Schelte von Wolf Biermann 2014 im Bundestag. Hallervorden erzählt lieber eine kleine Generationen-Geschichte, in der ein junger Nachkomme Recep Tayyip Erdoğan mit seiner Politik der Gegenwart konfrontiert. Hallervorden fragt: "Warum wolltest du eigentlich Alleinherrscher werden, Uropa?" Und: "Warum hast du Folter und Unmenschlichkeit geduldet, Uropa?" Und: "Warum hast du selbst gemäßigte kurdische Politiker ins Gefängnis gesteckt, Uropa?" Ohne eine Opposition könne es keine Demokratie geben, sagt Hallervorden, ehe er Gedankenfreiheit für die Menschen in der Türkei fordert. "Besinnen Sie sich", appelliert er zum Schluss in Richtung Erdoğan. Die Türkei wird er in den nächsten zwei Jahren meiden. Freunde hätten ihm von einem Besuch abgeraten, sagt Hallervorden.

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