Kabarett:Staatsfragende Institution

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Mit 60 Jahren ist die Lach- und Schießgesellschaft beinahe so alt wie die Bundesrepublik, an der es immer viel zu bekritteln gab. Gefeiert wird das mit einem Festakt in den Kammerspielen

Von Oliver Hochkeppel

Vor kurzem ist eine ausgezeichnete Doktorarbeit über die "Elf Scharfrichter" erschienen. Auf 460 Seiten wird alles über Münchens - und schließt man Ernst von Wolzogens kurz zuvor gegründetes Berliner "Überbrettl" aus definitorischen Gründen aus, auch Deutschlands - erste Kabarettbühne ausgebreitet, was man heute noch wissen kann. Geht es danach, müsste eine Arbeit über die Lach- und Schießgesellschaft abertausende Seiten umfassen, denn während das Etablissement der "Elf Scharfrichter" an der Theresienstraße damals nach der Wende zum 20. Jahrhundert nur dreieinhalb Jahre existierte, feiert die Lach- und Schießgesellschaft an der Ursulastraße in diesem Jahr ihren 60. Geburtstag.

Und das standesgemäß: In den Münchner Kammerspielen findet am nächsten Montag die große Gala zum Jubiläum statt. Quasi ein Kabarett-Staatsakt also, zu dem die kabarettistisch noch aktiven ehemaligen Ensemble-Mitglieder Henning Venske und Ecco Meinecke ebenso ihr Scherflein beitragen wie natürlich die aktuellen. Aber auch viele andere Kabarettisten, die dem "Laden" auf die eine oder andere Art eng verbunden sind.

Josef Hader zum Beispiel, den in seinen Anfängen 1987 niemand in Deutschland buchen wollte, bis auf die Lach- und Schieß-Granden Dieter Hildebrandt und Cathérine Miville, die ihm auch nach ersten Verrissen die Treue hielten. Ein paar Jahre lang war für Hader Auftreten in Deutschland nahezu gleichbedeutend mit Auftreten im Münchner "Laden", mindestens bis zu "Im Keller" 1993. Oder sein österreichischer Landsmann Werner Schneyder, der nach der ersten großen Krise und Pause des Ensembles mit Dieter Hildebrandt jenes legendäre Duo bildete, das zum Vorbild für ein formal und inhaltlich erneuertes Kabarett wurde. Oder Konstantin Wecker, der, von Sammy Drechsel persönlich engagiert, noch vor seiner fulminanten Liedermacher-Karriere hier das erste abendfüllende Programm seines Lebens spielte. Wecker war schon damals klar, dass er kein Kabarettist ist, der Lach- und Schießgesellschaft blieb er aber als Musiker wie als Freund bis heute verbunden. Oder der Kabarett-Pensionär Georg Schramm, immer noch der unerreichte Tiefenpsychologe der Szene. Oder der "Hauszeichner" (und SZ-Karikaturist) Dieter Hanitzsch, dessen Porträts der wichtigsten Lach- und Schieß-Köpfe seit Jahrzehnten den Saal zieren.

Eine Schwabinger Institution: Anfang der Sechzigerjahre startete die Münchner Lach- und Schießgesellschaft richtig durch; dabei waren Peter Schreiner, Klaus Havenstein, Ursula Noack, Dieter Hildebrandt, Jürgen Scheller, Jürgen Diedrich und Sammy Drechsel (von links). (Foto: Lach & Schieß)

Repräsentieren sie beim Jubiläumsabend gewissermaßen die Vergangenheit, so sind auch Vertreter der Gegenwart präsent, zuvorderst mit Claus von Wagner und Max Uthoff, die nicht nur neue politische Schärfe, sondern auch das Kunststück fertiggebracht haben, eine neue Art Ensemblekabarett, und das auch noch im Fernsehen zu kreieren. Dazu stoßen einige, die aus verschiedenen Spielzimmern der Branche grüßen: Eine Luise Kinseher etwa, weniger als "Mutter Bavaria" denn als eine der immer noch wenigen erfolgreichen Frauen im Kabarett-Betrieb; ein Michael Mittermeier als Abgesandter der gehobenen Comedy; schließlich Pigor & Eichhorn als Kollegen von der literarisch-poetisch-musikalischen Abteilung.

Alle ihre Biografien wären ohne die Lach- und Schießgesellschaft mehr oder weniger anders verlaufen, und oft nicht nur die beruflichen. Natürlich stehen hinter der Institution Lach- und Schießgesellschaft vor allem Menschen und Namen. Zuallererst natürlich Sammy Drechsel, der Gründer und Chef, ein unwiederholbares Unikum, einer, der stets an mehreren Enden gleichzeitig brannte: Als Sportreporter und Fußballvernarrter - der von ihm gegründete FC Schmiere, dem er als Mittelstürmer auch zu einer beachtlich positiven Spielstatistik verhalf, war ja noch bis vor gar nicht so langer Zeit untrennbar mit der Lach und Schieß verwoben, mitunter sogar ein Einstellungsgrund fürs Ensemble, wenn der Kandidat ein tauglicher Fußballer war. Drechsel galt als begnadeter Strippenzieher, Alle-Welt-Kenner und gewiefter Geschäftsmann ebenso wie als fürsorglicher, mitunter auch strenger Übervater seiner Kabarett-Truppe. An seiner Seite von Anfang an natürlich Dieter Hildebrandt, der nach und nach zum Synonym für die Lach- und Schieß wie für das gesamte politische Kabarett in der Republik wurde, und dessen Anwesenheit im Laden man noch heute spürt, zweieinhalb Jahre nach seinem Tod. Ein Klaus Peter Schreiner gehörte als jahrzehntelanger Haustexter zu diesem innersten Zirkel, aber auch eine Gerti Schmid, bis vor einigen Jahren das buchstäbliche Mädchen für alles im und für den Laden und eine Art ideale persönliche Assistentin Hildebrandts.

Eine erfolgreiche Seilschaft in den Achtzigerjahren: Jochen Busse, Sibylle Nicolai, Rainer Basedow und Bruno Jonas (von links oben im Uhrzeigersinn). (Foto: Lach- und Schießgesellschaft)

Dank ihnen und vieler anderer hat die Münchner Lach- und Schießgesellschaft die Geschichte der - kaum älteren - Bundesrepublik nicht nur fast lückenlos kritisch begleitet und kommentiert, sie ist selbst ein Teil davon geworden. Schon deshalb ist die ewige Frage, was das Kabarett bewirken könne, sinnlos. Die Lach- und Schießgesellschaft hat nicht mehr - aber auch nicht weniger - bewirkt als andere Institutionen der Gesellschaft, mit der sie untrennbar verwoben sind. Wie die von ihr kritisierten Politiker, Bosse und Bürger hatte die Lach- und Schießgesellschaft ihre Einsichten und Irrtümer, ihre Triumphe und Krisen. So wie die Republik hatte sie ihre historischen Phasen.

Die erste währte quer durch die muffigen Sechzigerjahre bis 1972. Die große Zeit, als die Lach- und Schießgesellschaft vor allem durch die Fernsehausstrahlungen ihrer Programme das wohl bekannteste deutsche Ensemble wurde. Bis die gesellschaftliche Liberalisierung mit der 68er-Bewegung und einer sozialliberalen Regierung als Speerspitzen das altväterliche Nummernkabarett überholt hatten. Vier Jahre währte die erste Zeit ohne eigenes Ensemble, bis man einen Neuanfang wagte. Der dauerte mit vielen Auf und Abs und nach einem längeren finalen Siechtum exakt bis zum 30. Dezember 1999. Das Ensemble-Kabarett alter Art hatte sich da in der neuen Medien- und Informationsgesellschaft, aber auch gegen die Konkurrenz durch die vielen Solo-Kabarettisten, schon längst überholt.

Mit dem Beginn des neuen Jahrtausends gab es dann auch eine neue Lach- und Schießgesellschaft mit neuer Gesellschafterstruktur und dem dynamischen, bereits am Lustspielhaus erprobten Till Hofmann als Chef, mit renoviertem und umgebautem Innenraum und mit der endgültigen Fokussierung auf das Kerngeschäft als Gastspielstätte für die kritisch-kreative Elite des deutschsprachigen Kabaretts. Im Kleinkunstimperium des Till Hofmann hat der Laden so seinen Platz zwischen Vereinsheim und Lustspielhaus eingenommen, ohne sein Renommee zu verlieren oder seine - inzwischen sogar wieder mit einem hochinteressanten und neuartigen Ensemble gepflegte - Tradition zu verleugnen.

Damals wie heute gilt frei nach Frank Sinatra das Motto: Wenn du es in die Lach-und Schieß schaffst, dann schaffst du es überall hin. Das beweisen nicht zuletzt die Gäste des Jubiläumsabends. Der gewissermaßen "neutrale", weil nie mit der Münchner Szene verbandelte Moderator Christian Ehring soll durch einen Abend führen, der ebenso lustig wie kritisch und ebenso nostalgisch wie vorausblickend zu werden verspricht. Die Mixtur, die in wechselnden Anteilen schon immer das Wesen des "Ladens" ausmachte. Und dies nach heutigem Stand auch noch einige Zeit machen wird.

© SZ vom 25.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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