Österreich:Tour de Tourette

Österreich: Der Kabarettist Thomas Maurer bei einem Auftritt in Deutschland.

Der Kabarettist Thomas Maurer bei einem Auftritt in Deutschland.

(Foto: Christian Endt)

Das österreichische Kabarett tut sich schwer mit der Tagespolitik. Es ist einfach zu viel los. Thomas Maurer kriegt das trotzdem hin.

Von Cathrin Kahlweit

Österreich hat es geschafft, sich innerhalb des vergangenen Jahres gleich drei Regierungschefs zuzulegen; auf Sebastian Kurz folgte Alexander Schallenberg, auf den folgte Karl Nehammer. Es gab Dutzende saftige Skandale, Tausende Zeitungsartikel über ein Land, das sich wahlweise im Aufruhr oder im Niedergang befindet. Und Hunderttausende regierungsinterne Chats, die zu nichts anderem geschrieben worden zu sein scheinen, als beide Thesen gleichzeitig zu belegen und die Kanzlerrotationsmaschine am Laufen zu halten. Sage keiner, in Österreich sei nichts los.

Vielleicht ist ja zu viel los. Und vielleicht ist das der Grund dafür, warum zahlreiche bekannte Kabarettisten sich in ihren aktuellen Bühnenprogrammen großer Zurückhaltung befleißigen, wenn es um die Aktualität geht. Man kommt nicht nach, und das nicht nur, weil Covid immer noch schneller ist als die Politik. Josef Hader spielt in seinem aktuellen Bühnenprogramm einen Mann, den man lieber nicht kennen möchte, einen Angeber, ein Arschloch, das aus der sicheren Distanz seines ignoranten Ichs auf die Menschheit herunterkotzt. Michael Niavarani arbeitet an einer "Geschichte der Komödie" von den "alten Griechen bis zu den kriechenden Alten". Robert Palfrader legt seinen Soloabend "Allein" über "Gläubige, Agnostiker, Atheisten und alle, die es noch werden wollen" wieder neu auf. Florian Scheuba macht zeitweilig mehr Journalismus als Politsatire, weil da eine höhere Schlagzahl möglich ist.

Allein auf der Bühne marschiert er mühelos durch die Weltgeschichte der Zumutungen

Und Thomas Maurer? Auch der populäre Kabarettist, Dauermitglied der "Staatskünstler", hat sich vergangene Woche in Wien mit einem neuen Soloprogramm zurückgemeldet. "Zeitgenosse aus Leidenschaft" heißt es und vermeidet, bis auf wenige Schlenker, aktuelle Bezüge auf die österreichische Politik. Seine Geschichte ist, wollte man sie in zwei Sätzen zusammenfassen, unser aller Geschichte: Wir wollen bewusst, aufgeklärt, klimaneutral, tolerant leben. Aber verdammte Hacke noch mal, es ist einfach zu schwer.

Was genetisch angelegt sei, wie der 54-Jährige entschuldigend feststellt, denn das schlechte Gewissen habe eben eine "natürliche Obergrenze". Man kann mit dem Rauchen aufhören und keine Leberkässemmel mehr essen und für die Erbschaftssteuer sein und weniger Energie verbrauchen und mega woke gendern wollen, aber dann kommen das Unterbewusstsein und die Sucht und die Erschöpfung und die schönen Verkaufsstellen in den Tankstellen, wo es neben Tschicks alles von der Festplatte bis zum Couchtisch gibt. Und schon ist es: vorbei. Maurers Tour de Tourette mäandert zwischen Azteken und Kapitalismus, Andreas Hofer und Taliban, Jeff Bezos, Hightech und Klimawandel. Sein Blick richtet sich auf Oligarchen-Raumschiffe im Himmel, nicht auf mediokre Politiker auf der Erde. Er arbeitet sich lieber an den Menschenopfern der Azteken ab als am Opfermythos der aktuellen Impfgegner.Das mag zum Teil an der Verbitterung darüber liegen, das Maurers Vater vor einem Jahr, als der Impfstoff bereits verfügbar gewesen wäre, an Covid starb. Oder daran, dass der Kampf gegen die Klimakatastrophe wohl eher nicht in der Hofburg gewonnen wird.

Der Wiener ist ein guter Schauspieler, was man nicht über alle Kabarettisten sagen kann. Allein auf der Bühne mit einem Stuhl, marschiert er mühelos durch die Weltgeschichte der Zumutungen und wechselt, ohne jedwede Requisite, nur qua Gesichtsausdruck, vom aztekischen König über den Tiroler Nationalhelden Andreas Hofer bis zum Wiener Bobo, der sich biologisch angebautes Kokain mit Gütesiegel herbeisehnt. Er gendert konsequent, nur bei den Worten "Nazi" und "Arschloch" verzichtet er dankend. Die Bühnenfigur von Maurer ist bei alledem im Frieden mit sich selbst: Der Mann tut, was er kann, er gibt sich Mühe, ethisch einwandfrei zu leben. Den großen Rest sollen die Hightech-Oligarchen dieser Welt richten. Ein bisschen Verantwortung wird man wohl doch noch abgeben dürfen, oder?

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