Jutta Limbach im Gespräch:Ein Bild lässt sich abhängen, Schuld nicht

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"Wir sehen heute, in welchem Maße jüdische Unternehmer das Kulturleben bereichert haben", sagt Jutta Limbach. (Foto: Regina Schmeken)

Seit 2003 war Jutta Limbach Vorsitzende der Kommission für Raubkunst. Im Interview sprach sie über die Probleme der Provenienzforschung und über die Verantwortung, die aus der Shoa folgt.

Interview von Heribert Prantl und Kia Vahland

Zum Tod von Jutta Limbach veröffentlichen wir eine aktualisierte Version dieses Interviews, das die SZ im November 2014 mit der ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidentin geführt hat.

Ein früherer Kollege am Bundesverfassungsgericht hat über Jutta Limbach gesagt, sie könne "ohne Überlegenheitsgestus Autorität vermitteln". Das konnte sie wirklich; und das kann wirklich nicht jeder, auch nicht, wenn er ein hohes Amt hat. Jutta Limbach hatte viele hohe Ämter. Als erste Professorin übernahm sie an der Freien Universität Berlin einen Lehrstuhl für Zivilrecht. 1989 wurde sie in Berlin Justizsenatorin für die SPD. Von 1994 bis 2002 wirkte Limbach als Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts und war in dieser Rolle diplomatische Repräsentantin und Reformerin. Ihren Spitznamen "Miss Marple" zitierte sie selbstironisch. Doch an dieser Frau biss sich auch ein Otto Schily die Zähne aus: Als der Bundesinnenminister mit ihr wegen des dann gescheiterten NPD-Verbots telefonieren wollte, hat sie ihn nicht einmal durchstellen lassen. Nach dem Ausscheiden in Karlsruhe war Limbach bis 2008 Präsidentin des Goethe-Instituts. Seit 2003 führte sie ehrenamtlich die "Limbach-Kommission", die sich mit der Rückgabe von Kulturgütern beschäftigt, die den Eigentümern von den Nazis entzogen wurden.

SZ: Sie wollten nach Ihrem Abschied aus dem Bundesverfassungsgericht nie mehr Akten lesen. Jetzt müssen Sie es doch wieder tun - in der Limbach-Kommission, die sich mit der Rückgabe von Kunst beschäftigt, die den meist jüdischen Besitzern in der NS-Zeit entzogen wurde und sich heute in staatlichen Museen befindet. Fühlen Sie sich als Vorsitzende d er Kommission als Juristin oder als Moralistin? Sind Sie da moralische Juristin oder juristische Moralistin?

Jutta Limbach: Manchmal fühle ich mich als Juristin, wenn es um Eigentumsfragen geht. Wir müssen die rechtliche Basis kennen. Aber unser Urteil ist ein moralisch begründetes.

Ein Urteil?

Nein, natürlich fällen wir kein Urteil, sondern geben nur Empfehlungen ab. Die Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass unsere Empfehlungen keinerlei rechtsverbindliche Kraft haben.

Es ist ja für eine Juristin, die viele Urteile gefällt hat, vielleicht ungewohnt , nur zu empfehlen - fällt Ihnen das schwer?

Nein, das fällt mir nicht schwer. In der Nachkriegszeit sind zunächst nach den alliierten Rückerstattungsregelungen, dem Bundesrückerstattungsgesetz und dem Bundesentschädigungsgesetz begründete Ansprüche der beraubten Juden erfüllt worden. Wer nicht innerhalb der vorgegebenen Fristen Ansprüche geltend gemacht hatte, verlor diese. In unserer Orientierungshilfe lesen wir daher, dass es in der alten Bundesrepublik grundsätzlich keine rechtlich durchsetzbaren Ansprüche mehr gebe. Demgegenüber hat allerdings der Bundesgerichtshof festgestellt, dass Herausgabeansprüche fortbestehen, wenn das Kunstwerk nach dem Krieg verschollen war. Aber die Bundesregierung hat ihren Willen erklärt, gemäß den 1998 international vereinbarten Washingtoner Prinzipien nach entzogenen Kulturgütern zu suchen und faire und gerechte Lösungen zu finden.

Ist das überhaupt möglich, wenn man kaum noch Unterlagen hat aus der Zeit? Die Beteiligten sind oft nicht in der Lage, strikte Beweise zu führen. In der Orientierungshilfe wird empfohlen, den Leitlinien der Nachkriegszeit zu folgen. Das bedeutet, auf Vermutungen zurückzugreifen.

Die Orientierungshilfe hat die Kultusministerkonferenz im Dezember 1999 verabschiedet - eine gemeinsame politische Grundsatzerklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände. Kann die Ihnen wirklich die Arbeit erleichtern?

Ja. Sie empfiehlt uns, auch Beweisschwierigkeiten bei der Findung einer fairen und gerechten Lösung zu berücksichtigen.

Gibt es Fälle, in denen Sie sagen: Dem Rechtsfrieden habe ich nicht dienen können?

Der Umstand, moralisch urteilen zu dürfen, gibt uns die Möglichkeit, dem Rechtsfrieden zu dienen. Und was wäre ideal in diesen Fällen? Man könnte nun sagen: Geben wir doch alles einfach zurück! Denn wir können die Schuld, die Deutsche zwischen 1933 und 1945 auf sich geladen haben, niemals abtragen - da heißt es, großzügig zu sein. Jedenfalls lassen uns die vielfach opferfreundlichen Vermutungsregelungen viel Spielraum. Aber so einfach können wir uns das nicht machen. Deswegen kamen wir etwa zuletzt beim Streit um den Welfenschatz aus dem Kunstgewerbemuseum Berlin aufgrund der historischen Fakten zum Ergebnis, keine Restitution empfehlen zu können.

Ronald Lauder, Präsident des World Jewish Congress, möchte, dass in Ihrer Kommission auch jüdische Vertreter sitzen.

Das verstehe ich gut, wir sind sehr dafür. Aber es ist nicht meine Aufgabe, sondern die der Kulturstaatsministerin und politischer Gremien, darüber zu entscheiden. In Frankreich und England sind in diesen Kommissionen auch Menschen jüdischer Herkunft. Warum das bei uns so nicht ist, weiß ich - offen gestanden - nicht.

Worin liegt der Vorteil eines moralisch urteilenden Gremiums aus nur ehrenamtlich tätigen Juristen, Philosophen und anderen Größen aus Politik und Wissenschaft?

Der Vorteil ist, dass wir uns nicht davon beeinflussen lassen, dass ein Bild dem Museum, das es jetzt in seinem Besitz hat, sehr am Herzen liegt. Auch spielt für uns - zumeist schon bemooste Häupter - politischer Druck keine Rolle. Bestenfalls sind am Ende beide Seiten glücklich. Das ist leider nur selten so. Aber denken Sie an den Neusser Fall, den "Dachgarten der Irrsinnigen" von Joachim Ringelnatz. Für das Clemens-Sels-Museum war dieses Bild von 1925 sehr wertvoll, weil es seine Sammlung naiver Kunst bereicherte und - wie die Beigeordnete der Stadt schrieb - der Hoffnungslosigkeit in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit einen unheimlichen, zugleich visionären kritischen Ausdruck verlieh. Da haben wir einen Vergleich erzielt: Die Erbin bekam 7000 Euro, und das Museum konnte das Bild behalten.

Nun ist ja der Kosmos der Raubkunst noch immer groß. Die Zahl der Fälle, die Sie entscheiden konnten, ist mit neun relativ klein. Deshalb sagen Kritiker, die Museen würden Sie am Nasenring durch die Manege ziehen; die Kommission sei nur ein Feigenblatt, eine Alibi-Veranstaltung. Empfinden Sie das auch so?

Nein! Gerade die jüngsten Fälle zeigen, dass dem nicht so ist. Sehr wohl haben die Museen einen schwierigen Lernprozess durchgemacht, den wir moderiert haben: Sie müssen für die Herkunft ihrer Bestände einstehen. Gerade haben wir zum ersten Mal erlebt, dass beide Beteiligte, auch das Museum, der Kunstpalast Düsseldorf, mitteilen: Sie werden die Empfehlung, wie auch immer diese ausfällt, akzeptieren und kein Gericht anrufen.

Könnte man das Ganze nicht systematischer angehen, indem man eine Kommission einrichtet aus hauptberuflichen Provenienzforschern? Dann könnten Sie mehr Museen erfassen und auf diese selbst zugehen, anstatt nur zu reagieren.

In der größten Zahl der Fälle nehmen die Museen uns gar nicht in Anspruch, sondern restituieren selbständig Werke aus jüdischem Besitz. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz beispielsweise handhabt es im Allgemeinen in dieser Weise. So sollte es auch sein: Die Museen, die Bibliotheken und Archive sind zu allererst in der Pflicht.

Und was ist mit Museen, die sich nicht um ihre Provenienzen kümmern?

Es gibt Fälle, da denke ich durchaus, ach, es wäre doch schön, es ginge noch mehr voran . . . Sie glauben gar nicht, wie häufig wir von Erben jüdischer Vorbesitzer angesprochen werden, die sich darüber ärgern, dass die andere Seite nicht einwilligt, dass wir uns mit der Sache befassen. Wir können das nur, wenn beide Streitteile einverstanden sind. Nur: Wenn wir auch bei einseitiger Anrufung tätig würden, könnten uns die Beteiligten ja gleich alle Fälle hinwerfen! Deshalb sind wir letztlich dagegen, weil sonst kaum noch jemand sich bemühen würde, eine Regelung im beiderseitigen Einvernehmen zu finden.

Den Ehrgeiz und die Kapazität, die Probleme der Herkunft zu lösen, gibt es nicht in allen Museen. Wie kann die Politik den Ehrgeiz, den Sie anmahnen, befördern? Was wünschen Sie sich?

Die Politik tut das bereits dadurch, dass sie mehr Geld für Provenienzforschung bereitstellt. In der Pflicht ist aber auch die Zivilgesellschaft. Wir brauchen das gemeinschaftliche Gefühl, dass wir Deutsche hier eine besondere Verantwortung haben und verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter zurückgeben müssen, gleichgültig, wo unrechtmäßig erworbene Kunst hängt.

Sie hängt oft in Wohnzimmern und Schauräumen von Privatsammlern. Für diese Fälle ist Ihre Kommission nicht zuständig, und auch die Washingtoner Erklärung erfasst sie nicht. Reichen die deutschen Gesetze mit ihren Standardregelungen für den Umgang mit Raubkunst in privater Hand aus?

In der Gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, der Länder und kommunalen Spitzenverbände werden auch Privatleute und privatrechtliche Einrichtungen aufgefordert, sich den Washingtoner Prinzipien anzuschließen. Ansonsten hat die Bundesregierung wenig Möglichkeiten, Privatleute zu zwingen, ein NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kunstwerk zu restituieren. Sie könnte sich allerdings noch einmal die durchaus fragwürdigen Verjährungsvorschriften vornehmen.

Die absolute Verjährungsfrist liegt bei 30 Jahren. Dies soll dem Rechtsfrieden dienen. Rechtsfrieden - wenn NS-Untaten vorausgegangen sind?

Man muss daher darüber nachdenken, ob man nicht dann, wenn es sich um bösgläubigen Erwerb handelt, rechtspolitisch eingreifen sollte - sodass die Ansprüche der Alteigentümer fortleben und geltend gemacht werden können. Aber das ist verfassungsrechtlich nicht unbedenklich.

Das hat der bayerische Justizminister Winfried Bausback angeregt. Der bösgläubige Besitzer soll sich nicht auf Einrede der Verjährung berufen können.

Ich denke, sein Vorschlag ist wohl noch nicht elaboriert genug, geht aber meines Erachtens in die richtige Richtung.

Das Problem der Raubkunst im privaten Raum beschäftigt die Öffentlichkeit seit dem Fall Cornelius Gurlitt, dem im Mai verstorbenen Sohn eines NS-Kunsthändlers. Seine Sammlung hatte die Staatsanwaltschaft Augsburg konfisziert, jetzt wird sie wissenschaftlich untersucht. Nächste Woche wird über die Zukunft dieser Bilder entschieden. Was wäre hier die Lösung, die Sie sich wünschen?

Ich bin froh, das nicht entscheiden zu müssen. Wünschenswert ist, dass alle Bilder erforscht werden, damit festgestellt wird, ob sie tatsächlich aus jüdischem Besitz stammen. Soviel ich weiß, ist die Forschergruppe da auf gutem Weg. Dann müsste man mit den Erben reden. Nächste Woche werden wir wohl wissen, wer das eigentlich ist, das Berner Museum oder die letzten Anverwandten. Die wollen, wie wir der Presse entnehmen konnten, alles zurückgeben, was jüdischen Voreigentümern NS-verfolgungsbedingt entzogen worden ist. Ähnliche Absichten werden dem Museum nachgesagt. Das wäre eine erfreuliche Lösung.

Auch da haben wir ein Forschungsproblem: Viele Stücke lassen sich nicht zurückverfolgen.

Das ist nach 70 Jahren nicht anders zu erwarten. Aber es gibt ja die opferfreundlichen Vermutungen des rückerstattungsrechtlichen Verfahrens.

Es gibt in der Sammlung Gurlitt ein großes Konvolut der von den Nazis verfemten Moderne, der "entarteten Kunst". Zur Diskussion steht, ob diese Arbeiten zurückgegeben werden an die Museen, aus denen die Nazis sie entnahmen. Was soll mit solchen Werken geschehen, sollen die zurückgehen an die Museen?

Das wäre im Grunde eine gute Lösung: es den Museen zurückzugeben, aus denen es zur NS-Zeit konfisziert worden ist. Das Berner Museum will in diesem Fall wohl die "entartete Kunst" den deutschen Museen zur Verfügung stellen, denen diese Kunstwerke entzogen worden sind.

Das heißt, wenn man das weiterdenkt, alle Museen, die "entartete Kunst" nach dem Krieg gekauft haben, sowie alle Privatleute müssten diese Werke herausgeben. Ein solcher Ringtausch brächte massive logistische Probleme mit sich. Wie könnte das vonstatten gehen?

Sie können nicht so ohne Weiteres die Privatleute miteinbeziehen. Im Übrigen halte ich das für recht einfach. Die gegenwärtig im Besitz dieser Kunst befindlichen Museen wissen und wussten zumeist, dass es sich um als "entartet" bezeichnete Kunstwerke handelt. Sie konnten diese Kunst schwerlich in der Hoffnung erwerben, diese ein für allemal behalten zu können.

Das Einziehungsgesetz zur "entarteten Kunst" von 1938 ist nie aufgehoben worden, das heißt, spätere Besitzer haben rechtmäßig gekauft - und sollen jetzt alle verzichten auf ihr Besitzrecht?

Das fände ich genauso einleuchtend wie dies im Fall der NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunst von jüdischen Sammlern angemessen ist. Wenn "entartete Kunst" in dem Wissen gekauft worden ist, dass es sich um aus anderen Museen entwendete Bilder handelt, hätte ich keine Bedenken, das jetzt rückgängig zu machen. Für öffentliche Einrichtungen sollte es selbstverständlich sein, dass auch in diesem Fall eine Restitution stattzufinden hat. Das war doch auch eine Leistung der betroffenen Museen, ihrer jeweiligen Kuratoren und Direktoren, frühzeitig die Wertigkeit dieser modernen - von den Nazis als "entartet" bezeichneten - Kunst zu erkennen. Diese Leistung muss auch honoriert werden.

Müsste man die Gesetzeslage dann nicht ändern, um auch der "entarteten Kunst" Gerechtigkeit widerfahren zu lassen?

Ja - falls das nicht so unsinnig ist, dass es unter die Radbruch'sche Formel fällt, man also sagen muss, hier ist der Zwiespalt zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit so groß, dass die Regelung von 1938 als Nicht-Recht zu betrachten ist. Gerade Museen, die "entartete Kunst" gekauft haben, waren doch in der Lage, das zu beurteilen. Und sie müssen dann jetzt die Konsequenzen ziehen. Aber ich denke, dass hier die Anwendbarkeit der Radbruch'schen Formel überdehnt würde und es besser wäre, an ein neues Gesetz zu denken.

Quälend beim Fall Gurlitt war, dass die Staatsanwaltschaft durch falsche Anwendung des Rechts wegen einer geringen Steuerschuld einen ungeheuren Wert beschlagnahmte. Und dann erwuchs ausgerechnet aus dieser Rechtswidrigkeit letztendlich etwas Positives: Erkenntnisse über das Schicksal der Bilder, die bald restituiert werden können. Dass dies nicht auf juristisch korrektem Weg ging, ist schwer zu ertragen.

Da haben Sie wohl recht. Wertvoll daran ist, dass in der Gesellschaft seither über die moralische Dimension von NS-Raubkunst diskutiert wird. Deshalb ist mir auch die Arbeit in der Kommission so wertvoll. Wir sehen heute, in welchem Maße jüdische Unternehmer und Bankiers durch ihre wundervollen Sammlungen das Kulturleben bereichert haben. Sie haben in der Mehrzahl der Fälle die von ihnen gesammelten Kunstwerke dem Publikum zugänglich gemacht. Uns eröffnet das den Blick auf eine untergegangene mäzenatische Kultur. Diese Menschen fehlen uns heute so sehr!

Wieso aber saß die Staatsanwaltschaft Augsburg fast zwei Jahre lang auf ihrem konfiszierten Schatz und ließ es die Öffentlichkeit nicht wissen?

Woher soll ich das wissen? Ich kann darüber nur staunen. Möglicherweise haben sich die Staatsanwälte überhaupt keine Gedanken gemacht. Aber das will ich einer öffentlichen Behörde nicht unterstellen.

Parallel zum Fall Cornelius Gurlitt ist in München ein Gemälde des Barockmalers Frans Francken, das der Vater Hildebrand Gurlitt für Hitler kaufte, vom Amtsgericht zurückgegeben worden - aber nicht an Interessenvertreter der mutmaßlichen ermordeten jüdischen Eigentümerin, sondern an die angeblich gutgläubigen Nachkriegsbesitzer. Ist also nicht nur bös-, sondern auch gutgläubiger Besitz von Raub- und Hehlerware in Deutschland ein Problem?

Es ist immer die Frage, ob man auch den Erben den Vorwurf machen kann. Wenn nicht, sind Sie schon wieder in einer schwierigen Situation und müssen begründen, warum Sie diese gleichwohl als rückgabepflichtig ansehen. Das ist ein Beweisproblem. Alles hängt davon ab, dass diejenigen, die tatsächlich in Besitz solcher Kunstwerke sind, sich aus freien Stücken verpflichtet fühlen, sie herauszugeben.

Werke aus dem Besitz der Nazis sollen noch in Depots des Bundes lagern. Es könnte also sein, dass in Ministerien zur Repräsentation der Bundesrepublik Deutschland Bilder hängen, die hier nicht hängen dürften - weil sie schandvoll in deutschen Staatsbesitz gelangt sind. Wie ließe sich dem abhelfen?

Sie haben ja gesehen, dass der frühere Bundespräsident Horst Köhler solche Bilder hat von der Wand nehmen lassen. Wenn die im zentralen Verzeichnis, dem Lost Art Register, gemeldet sind, hängt alles davon ab, ob sich Erben melden, die diese Bilder beanspruchen können. Wenn man keinen Erben findet, sollten diese Kunstobjekte - wie es laut der Gemeinsamen Erklärung in den rückerstattungsrechtlichen Verfahren in der Altbundesrepublik geschehen ist - jüdischen Nachfolge-Organisationen zur Verfügung gestellt werden.

In der Diskussion fällt ja immer wieder der Satz: Irgendwann muss Schluss sein. Das ist ja nicht nur ein populistischer Satz, sondern auch einer, der dem Verjährungsrecht zugrunde liegt. Glauben Sie in diesen Fragen der Rückgabe von Kunst, dass irgendwann der Zeitpunkt kommen wird, an dem Schluss ist?

Ich meine nicht. Wir sollten uns hüten, einen Schlussstrich zu ziehen, weil die deutsche Schuld so groß ist. Aber dass es faktisch darauf hinauslaufen wird, das glaube ich schon. Wenn ich bedenke, mit welchen Beweisschwierigkeiten wir fertigwerden müssen. Immerhin sind 70 Jahre ins Land gegangen. Der Erblasser selbst ist vielleicht in Auschwitz umgebracht worden. Sie können von den jetzigen Erben nicht verlangen, dass sie nachweisen, dann und dann hat er das Bild erworben. Das ist vielfach nicht möglich. Wir haben es zumeist mit der dritten Generation zu tun und haben trotzdem zurückgegeben. Aber je mehr Generationen sich anschließen und je entferntere Erbeserben auftreten, desto mehr wird die Bereitschaft sinken, ein Kulturgut zurückzugeben. Die betroffenen Bilder aus deutschen Museen kann und muss man abhängen. Ablegen lässt sich aber nicht die Schuld und Verantwortung, die aus der Shoa folgt.

© SZ vom 20.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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