Jutta Limbach: "Hat Deutsch eine Zukunft?":Zumutungen

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Zwischen "Backshop" und "Meetingpoint" lauern heimtückisch die Feinde der deutschen Sprache. Jutta Limbach findet in ihrem neuen Buch aber noch andere Gegner.

Thomas Steinfeld

Gleich zweimal zitiert Jutta Limbach in ihrem gerade erschienenen Buch "Hat Deutsch eine Zukunft?" aus dem Schauspiel "Torquato Tasso" die Verse: "Vergleiche dich! Erkenne, was du bist." Beide Male wird das Zitat "Goethe" zugeschrieben und mit unbedingter Zustimmung zitiert. Goethe hat diese Zeilen zwar geschrieben. Doch hat er sie jemandem in den Mund gelegt. Und zwar gerade nicht Tasso, dem genialischen Dichter, einer Figur wie aus dem "Sturm und Drang".

Jutta Limbach vor dem Meister der Sprache: Johann Wolfgang von Goethe. (Foto: Foto: dpa)

Der hier redet, ist Antonio Montecatino, sein Gegenspieler, der dem Künstler den Anspruch auf Einzigartigkeit ausreden will. Und so versteht auch Jutta Limbach diesen Satz: als Empfehlung an Immigranten, sich selbst in einem Verhältnis zu den Menschen zu betrachten, die sie aufgenommen haben, und als Ratschlag an die Deutschen, sich um die kleineren Sprachen in Europa zu bemühen.

Goethes Antonio ist Diplomat und Politiker in den Diensten des Herzogs von Ferrara. Aus ihm spricht der Geist der Macht, der Intrige und der Bürokratie. Hätte er zu der Zeit gelebt, in der dieses Schauspiel geschrieben wurde, in den achtziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts, und hätte er Deutsch gesprochen, wäre seine Sprache kaum so rein gewesen, wie sie ihm Goethe in den Mund gelegt hatte. Die deutsche Kanzleisprache, der Jargon der feudalen Verwaltung, hätte sich mit sehr viel Französisch gemischt, und wenn er vielleicht auch nicht ganz so lächerlich geklungen hätte wie Riccaut de la Marlinière in Lessings Lustspiel "Minna von Barnhelm", so wäre ihm das Deutsche doch auch als Barbarensprache erschienen. Er hätte wenig Sinn gehabt für die Sprache der Empfindsamkeit, mit der zu jener Zeit der Aufstieg des Deutschen zur National- und Kultursprache begann.

Jutta Limbachs "Hat Deutsch eine Zukunft?" (Beck Verlag, München. 108 Seiten, 14,90 Euro) ist nur ein kleines Buch, und so groß die Verdienste der Autorin als Juristin, Richterin und als Präsidentin des Goethe-Instituts auch sein mögen, so leicht wiegt diese Schrift, misst man sie an dem, was die Philologie über die deutsche Sprache weiß. Das Buch hat aber gar nicht den Anspruch, neue Erkenntnisse vorzutragen. Es ist von harmlos bürokratischer Gesinnung, mäßigend gegenüber dem Überschwang der Sprachreiniger und der Fundamentalisten, von milder Hoffnung beseelt - also selbst von der Art, mit der Antonio in Goethes Schauspiel auftritt. In seinem Zentrum indessen die romantische Behauptung, die Sprache sei die "geistig-seelische Heimat" der Deutschen.

Wie eine solche Heimat beschaffen sei, würde man nun gerne wissen. Aber die Schrift gibt keine Antwort auf diese Frage, abgesehen von der Anrufung einiger echter und ein paar vermeintlicher Autoritäten, von Johann Gottfried Herder bis Andrej Plesu, und wie die Zukunft der deutschen Sprache aussehen soll, wird auch nicht verraten. Wenn dieses Büchlein dennoch ein großes Echo in der Öffentlichkeit auslöst, so liegt das am Gegenstand. Was mit der deutschen Sprache geschieht und geschehen wird, ist zu einer Angelegenheit des Unbehagens geworden.

Autoritäten, vor denen man keine Angst haben muss

Es ist dasselbe Unbehagen, das aus dem törichten Begehren nach einer neuen Rechtschreibung ein nationales Desaster werden ließ, dieselbe Unruhe, die Bastian Sicks Bücher und Darbietungen zum richtigen Deutsch, so oberflächlich sie sein mögen, zu gewaltigen Erfolgen macht. Dahinter rumort die Sorge, dass den Deutschen ihre Sprache entgleite. Dieser Unruhe begegnen Jutta Limbach und Bastian Sick auf sachlich je verschiedene, aber formal verwandte Weise: nämlich als Autoritäten, vor denen man keine Angst haben muss.

"Der Traum von der Weltsprache ist für die deutsche Sprache ausgeträumt", schreibt Jutta Limbach. Nun, ja. Wenn es einen solchen "Traum" je gegeben haben sollte, so hatte er in den fünfziger Jahren des zwanzigstens Jahrhunderts aufgehört, als die deutschsprachige Ökumene auseinandergebrochen war, die sich jahrhundertelang vom Elsass bis ins Baltikum erstreckt hatte. Für die Frage, wie es in Zukunft mit der deutschen Sprache beschaffen sei, sind die Anfänge des Deutschen als Weltsprache indessen interessanter als das Ende: Denn das Deutsche wurde spät, schnell und plötzlich zu einer Kultursprache, mit einem plötzlichen Schub ähnlich dem, wie er sich um das Jahr 1600 im Englischen ereignet hatte - nur zweihundert Jahre später.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Haltloses Gerede und schlechte Poliker-Phrasen - was die deutsche Sprache wirklich bedroht.

Goethes "Werther" war das erste literarische Werk aus Deutschland, das eine große europäische Leserschaft erreichte. Gewiss, vorher hatte es Martin Luther und dessen Bibelübersetzung gegeben. Aber erst Ende des achtzehnten Jahrhunderts ist der Wille da, unter fast allen Gelehrten und Dichtern der deutschen Länder, der ganzen Welt ein Dasein in der deutschen Sprache zu verleihen, ein vollständiges, alle Bereiche des Wissens umfassendes deutsches Wörterbuch zu schaffen, eine eigene, melodische, sich allmählich von den lateinischen Vorbildern befreiende Syntax. Dass diese wenigen Menschen, die Dichter Lessing, Goethe, Schiller, die Gelehrten Winckelmann, Adelung, Campe, Herder, sich mit diesem Vorhaben durchsetzten, gehört zu den Wundern der Sprachgeschichte.

Es wäre ihnen nicht gelungen, hätten sie nicht auch einen einzigartigen Gegenstand gehabt, für den sich damals die ganze Welt interessierte: zuerst den Streit der Religionen, dann die Säkularisierung der protestantischen Theologie in der Empfindsamkeit und in der idealistischen Philosophie. Dass der erste große Erfolg der deutschen Literatur der "Werther" ist, ein Denkmal für die neue Religion der Liebe, ist kein Zufall: Denn überall wurden damals Briefromane geschrieben, und Goethe importierte hier nur eine im Ausland schon etablierte Form.

Aber er gestaltete das fiktiv Authentische des Briefromans in einer neuen, nicht den rhetorischen Mustern des Französischen entlehnten Sprache. Daraus entstand eine neue Schriftlichkeit, und der "Werther", abgefasst in einem Deutsch, das so keiner je gesprochen, geschweige denn geschrieben hätte, wurde selbst zum Modell für Tausende und Abertausende von Briefen jener Zeit. Und gleichzeitig war dieser Kult des Wirklichen und Wahren an eine Weltbewegung angeschlossen, verband sich mit der Aufklärung und diese mit ihm - und so ging es voran, bis nach der Reichsgründung eine nationale Bürokratie die Sache in ihre Hände nahm.

Per Knochenbruch zum ewig Deutschen

Die meisten Kritiker der gegenwärtigen deutschen Sprache, Jutta Limbach eingeschlossen, meinen, für die zunehmenden Schwierigkeiten im Umgang mit der deutschen Sprache einen Verantwortlichen ausmachen zu können: das Englische in seinem Siegeszug durch den Alltag, vor allem aber durch Forschung und Wirtschaft, auch wenn alle wissen, dass dieses Englisch sehr wenig mit der Kultursprache gleichen Namens zu tun hat.

Indessen hat die zunehmende Unfähigkeit, sich auf Deutsch auszudrücken, nur bedingt etwas damit zu tun, dass sich einige akademische Disziplinen und Wirtschaftsunternehmen auch in Deutschland nur noch auf Englisch verständigen - und auch wenig mit der modischen Liebe zu englischen Vokabeln, denn diese wandern in die Sprache herein und wandern auch wieder hinaus, und denen, die drinnen bleiben, bricht das Deutsche früher oder später die Knochen, sodass sie sich irgendwann anfühlen, als wären sie schon immer deutsch gewesen.

"Der rasante technologische Fortschritt stellt die Tauglichkeit unserer Sprache, die Komplexität wissenschaftlicher Erkenntnisse in Worte zu fassen, auf eine harte Probe", schreibt Jutta Limbach und beruft sich dabei auf den Germanisten Wolfgang Frühwald. Aber ihre Behauptung trifft nicht auf die Wissenschaft zu, sondern nur auf deren Popularisierung - weshalb es sich eben nicht um ein Problem der "Wissenschaftssprache" handelt, sondern um eines der Verallgemeinerung. Nein, das Englische ist keine ernsthafte Bedrohung der deutschen Sprache, und die Wissenschaft ist es auch nicht.

Haltloses Gerede

Wenn in der Öffentlichkeit immer weniger und immer schlechteres Deutsch gesprochen wird, liegt das zuallererst an der Verrohung der öffentlichen Sprache selber - in der Verwaltung, in der Politik und in der Wirtschaft, also in den Instanzen, in denen sich die gesellschaftliche Macht sammelt, und von dort aus geht sie auf die Medien über und wird allgegenwärtig. Was soll man davon halten, wenn Josef Ackermann, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, seinen Aktionären erklärt: "Wir werden unseren Kurs der zeitnahen Transparenz fortsetzen und uns unvermindert für zielführende Reformen des Finanzsystems insgesamt einsetzen?" Meint er wirklich, er wolle ein Schiff in die Durchsichtigkeit lenken - und das auch noch in der Nähe der Zeit?

Das haltlose Gerede der ökonomischen und politischen Eliten dürfte in der deutschen Sprache weit größeren Schaden anrichten, als ihn alle "meeting points" und "Backshops" zusammen je zustandebringen dürften. Denn dieser Jargon, der sich gerne lateinischer und französischer Lehnworte bedient, die über das Englische eingeführt werden, soll tatsächlich öffentliche Rede sein - beansprucht also Allgemeinheit. Dabei ist sie totalitär.

In diesem aktuellen Jargon, diesem sprachlichen Bankert, dessen Eltern eine Brandschutzverordnung und ein Fremdwörterbuch gewesen sein müssen, kehrt Antonios Redeweise, die höfische Sprache des deutschen Absolutismus, zurück. Sie ist ein Wiedergänger aus dem achtzehnten Jahrhundert, allerdings unter absurderen Bedingungen - die Fremdsprachen, deren Vokabeln in Deutschland so gerne gesprochen werden, gibt es in dieser Form nirgendwo anders als in Deutschland.

Der Satz, mit dem sich die deutsche Literatur vor über zweihundert Jahren von den Zumutungen der höfischen Sprache befreite, steht nicht im "Torquato Tasso", sondern in einem anderen Schauspiel Goethes, dem "Götz von Berlichingen" aus dem Jahr 1773. Er lautet "Sag's ihm, er kann mich ...". Wenn die deutsche Sprache eine Zukunft haben soll, die hinter ihrer Vergangenheit nicht zurückbleibt, wird sie ein Organ des Neuanfangs finden müssen, wie es die deutsche Literatursprache einmal war - sie wird ihre Literatur noch einmal neu erfinden müssen.

© SZ vom 27.05.2008/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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