"Justin Bieber's Believe" im Kino:Der Bub für alles

Premiere Of Open Road Films' 'Justin Bieber's Believe' - Red Carpet

Justin Bieber bei der Premiere von "Justin Bieber's Believe" in Los Angeles

(Foto: AFP)

Zum Start seines neuen Films hat der 19-jährige Superstar Justin Bieber seinen Rücktritt aus dem Showbusiness erklärt. Kein Wunder: Auch Teenageridol ist ein potenzieller Burn-out-Beruf.

Von Joachim Hentschel

Man muss gleich an die Himmelfahrt Christi denken, obwohl die Geschichte, um die es hier geht, an Weihnachten spielt. "I'm never leaving you", schrieb der Popstar Justin Bieber übers Nachrichtennetzwerk Twitter an seine Fans, auf Deutsch ungefähr: Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende. Am vergangenen Heiligabend war das, kurz nachdem Bieber ebenfalls auf Twitter bekannt gegeben hatte, er ziehe sich mit sofortiger Wirkung aus dem Showbusiness zurück, nach nur vier Jahren Tanz und Gesang.

Die Eschatologen debattieren derzeit, ob der spätere Tweet wohl den früheren annulliert, den Rückzug also wieder zurücknimmt, oder ob das mit dem Niemals-Verlassen doch eher transzendent zu verstehen sei. Ob das ganze Spiel vielleicht nur eine PR-Kampagne für die Filmdokumentation "Justin Bieber's Believe" sein könnte, die eben in den USA in den Kinos gestartet ist (mit eher mittelmäßigem Erfolg übrigens), bei uns am vergangenen Sonntag. Und bevor sich gleich wieder alle darüber lustig machen: Würde der 19-jährige, hübsche, blonde, talentierte, ansonsten harmlose Justin Bieber tatsächlich von heute auf morgen die Karriere beenden, wäre das für die Entertainmentwirtschaft in der Tat ein Erdbeben, eine tektonische Verschiebung. Dass er allein mit der koketten Androhung einem Großteil seiner 48 Millionen Twitter-Abonnenten ihr Weihnachten existenziell versaut hat, ist die andere Sache.

Diesen Bieber kennt man ja auch dann, wenn man noch nie einen Ton seiner Musik gehört hat. Ein Weltsuperstar für Teenager, Herr eines eigenen kleinen Genres, so wie früher David Cassidy, die Backstreet Boys, Tokio Hotel. Saisonale Größen, die in ihren kurzen Zyklen umso irrsinniger glühen, um dann verbrannte Erde zu hinterlassen - die aber schnell heilt. Es ist die konzentrierteste Urform von Pop, das Kreischen, die Entäußerung und totale Projektion, wie sie in den 50er- und 60er-Jahren die Geburt der Starkultur begleitet hat, mit Elvis, den Beatles, den Rolling Stones. Deren weitreichende künstlerische Bedeutung hat später kein Teenidol mehr erreicht, und während früher die Bay City Rollers und die New Kids On The Block noch je um die 70 Millionen Platten verkauften, waren es beim gebürtigen Kanadier Bieber bislang nur rund 15 Millionen.

Dafür füllt er die gewaltigen Konzerthallen, die damals noch gar nicht standen. Dafür ist sein Video "Baby" mit mehr als 949 Millionen Klicks das derzeit zweiterfolgreichste in der Geschichte der Filmplattform Youtube, auf der ein Popsong ja mit allen Weltereignissen konkurriert. Das, was in Internetredaktionen Content genannt wird, Inhalte, die so geschickt formuliert und platziert werden, dass sie über Suchmaschinen möglichst viele Kunden auf die Seite führen, waren Popstars natürlich immer schon. An einem wie Bieber wird es bloß besonders anschaulich: Ein klassisches Idol, eine Persönlichkeit, die für die Jungen irgendein Lebensmodell jenseits der Elternwelt vertritt, kann er gar nicht mehr sein. Sonst würde er die falschen Google-Stichworte produzieren.

Dabei hat Bieber ein für seine Verhältnisse dissidentes Jahr 2013 hinter sich. Er machte Schlagzeilen und Klickzahlen mit dem Hausaffen, den er an der deutschen Grenze zurückließ, mit verspätet begonnenen Konzerten, einem Video, das zeigt, wie er erst in einen Putzeimer pinkelt und danach ein Foto von Bill Clinton mit Sanitärreiniger besprüht, sowie einem Eintrag ins Gästebuch des Amsterdamer Anne-Frank-Hauses, in dem er anmerkte, dass auch die in Bergen-Belsen Ermordete sicher ein Bieber-Fan gewesen wäre.

Popstars brauchen Hater

Blödheiten, die ihm im bizarren Zirkelschluss doch wieder nutzten: Denn Erzfeinde, Lästerer, sogenannte Hater brauchen junge Popstars heute so dringend wie der Comicheld seine Nemesis. Weil die Geschichte ohne sie nicht mehr erzählt werden kann, es für die Bieber-Freunde sonst gar keinen Widerstand gäbe, der zur Reibung taugt. Bieber selbst widmete 2012 einen seiner American Music Awards in der Dankesrede explizit seinen Feinden, ein Trick, mit dem er gleich noch ein paar neue dazugewann.

Abgesehen davon, dass er ein paar zeitgemäße Regeln beherrscht, was macht Bieber - Kanadier, durch private Videos, die seine junge, alleinerziehende Mutter im Netz publizierte, zu Ruhm und Plattenvertrag gekommen - denn nun so besonders? "Believe", die Dokumentation, die derzeit in den Kinos läuft, gibt eine Antwort darauf, wohl unabsichtlich. Natürlich ist das ein Imagefilm ohne jede Skandalepisode, der den Künstler im Studio und auf Tour begleitet und ein hautnahes Bild vortäuscht, in dem Bieber immer an den richtigen Stellen weint.

Dichter und Interpret, Gestalter und Opfer

Aber man merkt auch: Er muss sich hier wirklich um alles kümmern. Muss mit Block und Bleistift als grübelnder Dichter seine Texte schreiben, Augenblicke später als Interpret unglaublich singen und tanzen. Muss mit seiner "Gang" im respekteinflößenden HipHop-Schritt durchs Bild tigern, sich einen Handlungsstrang später im Kanzlergattinnenstil um kranke Kinder sorgen. Zugleich unbeschwert und ernst sein, bambihaft und mannesreif, Gestalter und Opfer. Zwischendrin sieht sich Bieber sogar gezwungen, auch noch beim eigenen Video Regie zu führen, sich beim Singen selbst mit der Digitalkamera zu filmen.

Sein Talent muss man dazu gar nicht in Frage stellen, dennoch entlarvt "Believe" den Hauptdarsteller als eine Art Superpraktikanten des Gegenwartspop, als Bübchen für alles, als Mann ohne Eigenschaften, der schon deshalb gar kein Profil haben kann, weil er derart viele gegensätzliche Ansprüche bedienen muss. Die Zeiten, in denen Teenidole sorglose Tanz- und Singkerle sein durften, vielleicht noch Herzensbrecher, der Dicke oder der Dünne, der Womanzier oder der Intellektuelle, sind spätestens hiermit vorbei. In Justin Bieber fließt alles zusammen, und ganz ehrlich: Wer würde da nicht mal vor lauter Verzweiflung mit Sidolin auf einen Ex-Präsidenten sprühen?

Seine jungen Fans kennen das Problem nur zu gut. Genau das sind die Jobbeschreibungen und Bewerberprofile, die heute ihren Weg in den Arbeitsmarkt bestimmen: Sie sollen maximal flexibel und umfassend einsetzbar sein, schnell ausgebildete Multitasker, die theoretisch alles beherrschen, viele Identitäten simulieren und auch wieder verleugnen können, ohne selbst große Ansprüche zu stellen. So gesehen ist Bieber ein zeitgemäßer ökonomischer Prototyp: Der Kerl, der es an jeder Front gleichzeitig jedem recht macht, und dabei auch noch allen Content der Welt produziert. Oder produziert der Content etwa ihn, so wie das Ei die Henne?

Vielleicht ein nachhaltiger Popstar

Nehmen wir einmal an, dass die Rücktrittserklärung wirklich nur ein PR-Stunt war: Könnte Justin Bieber denn ein nachhaltiger Popstar werden, einer, den das Stammpublikum auch dann noch mag, wenn er nicht mehr wie ein Tierbaby aussieht? Man könnte es fast glauben, wenn man ihn in den Konzertszenen im Film sieht, wie er auf der Hebebühne über der Menge schwebt, mit der Silhouette des jungen Michael Jackson, allen Ausdruck in seine Ballade "As Long As You Love Me" hineindrückt, bevor die Musik fast ganz aufhört und nur noch eine Bassdrum übrig bleibt, die der Herzschlag des Künstlers sein könnte. Und die Mädchen im Publikum sich selbst dabei beobachten und filmen, wie sie ausrasten.

Man weiß ja noch nicht, wie in 20, 30 Jahren digitales Erinnern funktionieren wird. Könnte durchaus sein, dass die Fans, die Leidensgenossen, Mitstreiter und Anklicker sind, heute schon viel zu tief mit eingeschrieben sind in die Geschichte des Justin Bieber, um je wieder rauszukommen.

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