Justin Bieber in Berlin:Wenn Justin singt, dreht die Crowd durch - wenn er nicht singt auch

Justin Bieber Performs in Concert in Reykjavik

Justin Bieber bei einem Konzert in Reykjavík.

(Foto: Redferns)

Väter wie Panzerschiffe, Playback-Patzer und "AHHHH JUUUSTIN AAAAAH": So war der Tourauftakt von Justin Bieber in Berlin.

Von Juliane Liebert

Wie gerät man auf ein Justin-Bieber-Konzert, wenn man kein 13-jähriges Mädchen ist?

Eine schwere Frage. Häufigste Antwort: Man ist ein Elternteil eines 13-jährigen Mädchens. Es gibt ganze Fotoserien über "Väter auf Popkonzerten": konsternierte, schwankende, ächzende Panzerschiffe im Tosen des Belieber-Meeres, mit schaufelartigen Armen die Massen nach rechts und links teilend wie Moses das Meer, ihren Gesichtern ein Ziel eingemeißelt: Niemand kriegt unseren Platz! Keinen Zentimeter! Kind, und wenn es mich das Leben kostet, du musst es nach vorn schaffen! Sag deiner Mutter, dass ich sie liebe!

Natürlich gibt es Ausnahmen, gestern in Berlin gab es einen Vater, circa zehnjähriges Kind an der Hand. Kind heftig hüpfend, Vater auch hüpfend, doppelt so laut und begeistert singend wie die Tochter und viermal so begeistert wie Bieber. Bieber dagegen bewegte zumeist nur die untere Hälfte seines Körpers - dafür steckte die in Jogginghosen, die man für 100 Euro vorn am Merchandisestand erwerben konnte, sofern man seinen Verstand vollends verloren hatte.

Wird auf seinen Shows immer noch so viel gekreischt?

Quatsch, während des gesamten Konzertes herrschte andächtige Stille. Man hätte das Ploppen eines Kronkorkens, das Rascheln von Bieber-Shirt auf Bieber-Haut hören können, so leise war es. Das kam so: Kurz vor Konzertbeginn fiel den 13 000 Gästen in der ausverkauften Mercedes-Benz-Arena auf, dass sie ja gar nichts hören, wenn sie immerzu schreien. Da der Zweck eines Konzertes das Zuhören ist, und alle einen Haufen Geld ausgegeben hatten, kamen sie überein, diesmal andächtig zu schweigen und die Show zu genießen.

Aber Justin hat doch nicht etwa Playback gesungen, oder?

Zugegeben, die Antwort auf die letzte Frage war gelogen. In Wirklichkeit: "AAAAHHHHHH JUUUUSTIN AAAAAAAAAAAAAAAAH..." Und ja, hat er. Dabei ist viel faszinierender, wie er Playback singt. Rihanna hält das ja in letzter Zeit ähnlich, trotzdem könnte man meinen, niemand hat ihm je erklärt, wie Playback geht. Also, dass es schon so aussehen sollte, als würde er singen. Stattdessen fasst er das Mikrofon, führt es ungefähr in Richtung Mund (schwierig, ganz schwierig). Sobald es dem zu nahe kommt, kriegt er offenbar Angst oder merkt, dass es doch nichts zu Essen ist, wer weiß, und reißt es mitten in der Zeile wieder weg.

Noch süßer: Wenn er Publikum-singt-mit-Aktionen starten will, aber vergisst, dass es Playback ist, also eine Zeile "singt", das Mikro hoch gen Publikum reißt, aber seine Stimme unbeirrt weiterdudelt. Und es keinem auffällt (wegen all der Freudentränen in den Augen).

Sind Justin Bieber seine Fans egal?

Ach, Justin. Ach, Welt. Das ist alles nicht so einfach. Machen wir uns die Mühe und vergegenwärtigen uns die Situation. Mercedes-Benz-Arena. 13 000 Menschen, Security. Zusätzlich zur Security ordentlich gepolsterte Polizei. Draußen ein Stand zur Erstversorgung (hatten nichts zu tun). Eisstände, Bierstände, Pizzastände, Platzordner. Und Juuuustin auf der Bühne. Wenn er singt, dreht die Crowd durch. Wenn er nicht singt, dreht die Crowd durch. Wenn er in einem Glaskasten sitzt, dreht die Crowd durch. Wenn er eine Schräge hochläuft, dreht die Crowd durch. Wenn er sie wieder runterläuft, ... , genau. Er könnte ins Mikrofon furzen, und es wäre ihnen völlig egal. Justin Bieber ist also seinen Fans egal, in gewissem Sinne.

Was hier verkauft wird, ist nicht Bieber, der scheint nur zufällig da. Und auch wenn er es noch nicht ganz begriffen hat, irgendwo spürt er es, und er hat keinen Bock. Das sieht man. Und: Es ist richtig, dass er keinen Bock hat, weil es der einzige Hoffnungsschimmer ist. Es findet kein Dialog zwischen Bieber und seinem Publikum statt, es ist ein Deal zwischen dem Publikum und der Musikindustrie, eigentlich zwischen den Eltern des Publikums und der Musikindustrie. Hinter diesen Songs stecken Millionen. Wenn es Juuuustin nicht machen würde, würde es ein anderer machen. Das Absurde an dieser Art Personenkult ist, dass die Person, um die es geht, so austauschbar ist.

Bester Moment?

Wenn Bieber selbst Gitarre spielt und singt - bester Moment des Konzertes -, ist schon klar, dass er talentiert ist und seinen Job macht. Oh, und er hat zwei Saltos auf einem enormen über der Menge schwebenden Trampolin gemacht, das aussah, als würde es jeden Moment runterfallen und ein Sechzehntel des Publikums auslöschen; das war cool.

Ein Trostpreis der Kategorie "Bester Moment" geht an den traurigen, etwas untersetzten Mann mit dem Bierfass auf dem Rücken in Rang 13. Niemand kaufte Bier. Das Fass sah schwer aus. Das Konzert war lang. Der Biermann war allen noch egaler als Bieber und die Leiden der Väter und die Musikindustrie. Er kam, verkaufte kein Bier, und ging wieder. Trauriger Mann mit dem Bierfass auf dem Rücken, dein Opfer war nicht vergebens: Eines fernen Tages, wenn Bieber längst vergessen ist, wird jemand diesen Schluss lesen, und er wird an dich denken und alles wird wieder Sinn ergeben. Versprochen.

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