Junge Frauen:What a wonderful world

Drei Mädchen, die in ihrer Schule gemobbt werden, auf einem Abenteuertrip durch Frankreich, auf dem sie nicht nur völlig verrückte Erlebnisse haben, sondern auch erwachsen werden. Mischung zwischen Komik und Ernst.

Von Christine Knödler

Gewinnen ist eine tadellose Sache. Nicht aber, wenn ein Wettkampf nicht freiwillig ausgetragen wird. In einer Schule in Bourg-en-Bresse geht das so: Per Facebook-Abstimmung werden die dicksten Mädchen als "Würste des Jahres" in Gold, Silber und Bronze gekürt. Natürlich steckt hinter dieser Sauerei ein ganz kleines Würstchen, nämlich ein Junge, aber auch die Mädchen keilen munter aus. Und keine, aber auch keine, will diesen Hässlichkeitspreis je haben. Mireille, fünfzehneinhalb, ist seit Jahren auf Gold gebucht. In diesem Sommer hat sie sich immerhin zur Bronze-Wurst hochgewuchtet - spätestens an dieser Stelle würde im sonst üblichen Jugendbuch die obligatorische Betroffenheitsmaschine angeworfen mit der "Bewältigungsstrategie", à la "kathartischer Fleischwolf: Ende gut, alle und alles gut".

Ganz anders die junge französische Autorin Clémentine Beauvais. Vor zwei Jahren hat sie mit ihrem Roman "Dreckstück" ein vielfach ausgezeichnetes literarisches Kammerspiel über Rassismus vorgelegt. Jetzt zeigt sie die ganze Bandbreite ihres Könnens und nutzt "Die Königinnen der Würste" als Steilvorlage für einen modernen Schelmenroman. Schon die Heldin sprengt jede Vorstellung. Neben viel zu vielen Törtchen verschlingt Mireille philosophische Essays und Comics und haut mit sezierendem Blick und urkomischen Kommentaren ihre Mutter, ihren Stiefvater, ihre Mitschüler, Hund und Katz und vor allem sich selbst lustvoll in die Pfanne. Zum Beispiel so: "Mein Vater ist Deutsch-Franzose", schreibt sie über ihren leiblichen Papa, Philosoph und angeheirateter Präsident der Republik, "Nennen wir ihn, um seine Anonymität zu wahren, einfach Klaus von Strudel", und das ist erst der Anfang.

Weil sie ihn unbedingt kennenlernen will, freundet sie sich mit der Gold- und der Silber-Wurst an. Wie drei Doñas Quijote satteln sie ihre Drahtesel und radeln mit Anhänger und Anhang von Bresse nach Paris, um dort ein jeweils eigenes Süppchen auszulöffeln. Vaterfinden ist nur eines davon. Den Anhänger mit Logo (drei Würste !) brauchen sie, weil sie ihre Reisekasse mit Würstchenverkauf aufbessern wollen. Der Anhang ist Hakimas älterer Bruder, sein Rad: ein Rollstuhl, denn Kader ist mit seinen gerade mal 26 Jahren kriegsversehrt. Und so könnte man sie also alle Beladene nennen, die da durch Frankreichs Sommerhitze strampeln und bald zum Medienereignis werden - aber nur, weil die doppeldeutige Ironie, die im Kontext von Kilos und Lebenslast dem Wort innewohnt, erhalten bleibt. Denn diese Ironie schafft die notwendige Distanz als Freiraum für konstituierende Komik und glasklare Erkenntnis. Eine Gesellschaft mit ihrem hybriden Schönheitsterror bekommt genauso ihr Fett weg wie der Terror der anonymen Netzhetze, wie der Terror schlechthin: der Krieg.

Hier denken drei - die Protagonistin, die Autorin und ihre brillante Übersetzerin Annette von der Weppen - sehr schnell, erzählen noch schneller, erfinden neue Worte in sprachspielerischem Sprechblasen-Sound. Die Tür, im Zorn zugedonnert, macht Romms, die Fahrradständer PLONG, es wird gehhmmmt und geauuuuuaaht, dazwischen blitzen pointiert-poetische Passagen, mit spitzer Feder gezeichnet auf. Das ist Comic-Kunst, ohne Bilder. Doch die entstehen unentwegt im Kopf. Das Ergebnis: ein neues Schreiben, Lesen, ein neues Denken, mit allen Sinnen. Dazu gehört auch dies: Der Geschichte ist ein Soundtrack vorangestellt, dessen Songtitel sich wie Überschriften einer Entwicklung lesen lassen. Letzter Hit, sehr zu Recht: What A Wonderful World. KLATSCHKLATSCH! (ab 14 Jahre)

Clémentine Beauvais: Die Königinnen der Würstchen. Aus dem Französischen von Annette von der Weppen. Carlsen Verlag, Hamburg 2017. 288 Seiten, 16,99 Euro.

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