Junge deutsche Literatur:Nahe null

Boris Pofallas arg heruntergepegelter Berlin-Roman "Low" fängt mit diffusen Mitteln ein diffuses Lebensgefühl ein.

Von Christoph Schröder

Im Seminar "Organisations- und Mangementkompetenz" soll jeder Student sich ein erfolgreiches Geschäftsmodell überlegen. Der Ich-Erzähler hat folgenden grandiosen Einfall: Man mietet sich irgendwo in der Stadt einen Raum, in dem jeder Partys feiern kann und sich dann an der Miete beteiligt. Das ist der Businessplan; "eine andere Idee hatte ich nicht", und man glaubt das aufs Wort, darf sich aber nicht ganz sicher sein, ob dahinter tatsächlich die komplette Gedankenleere oder eine bitterböse Ironie steckt, die den Schmalspur-Hedonismus der Nullerjahre als Nichtigkeit entlarven soll. Das Geschäftsmodell fiel überraschenderweise durch.

Demonstrativ verspricht "Low", der Titel von Boris Pofallas Debütroman, nicht viel, und das Buch hält alles, was dieser Titel verspricht. Auf einen Low-Level sind sie allesamt gedimmt, diese Figuren, deren Alter (Anfang zwanzig) in einem elementaren Widerspruch zu ihrer Gedanken- und Sprachwelt (Vollpubertät) steht. Der Ich-Erzähler und sein bester Freund Moritz sind Kindheitsfreunde und gemeinsam aus der Provinz nach Berlin gekommen, um zu studieren. Um zu feiern, sich zu verzehren, wegzuwerfen, zu entgrenzen. Vor allem aber, um einen Neuaufbruch zu wagen: "Vor ein paar Wochen hatte Moritz zu mir gesagt, dass wir ja schließlich nach Berlin gekommen seien, um nicht in Deutschland leben zu müssen. Und nun müsse er zusehen, wie dieses Deutschland langsam aber sicher in die Stadt hineinkrieche, wie Schimmel in eine feuchte Wohnung."

Junge deutsche Literatur: Boris Pofalla, geboren 1983, schreibt für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und das Kunstmagazin Monopol.

Boris Pofalla, geboren 1983, schreibt für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und das Kunstmagazin Monopol.

(Foto: PR)

"Low" ist, das lässt sich anhand einiger Schauplätze rekonstruieren, ein historischer Roman aus dem abgelaufenen Jahrzehnt; ein Buch aus der Hochzeit einer Ära, in der die Stadt Berlin noch als ein Versprechen gelten durfte. Das spurlose Verschwinden von Moritz veranlasst den Ich-Erzähler, noch einmal all die Clubs und Bars abzuklappern, in denen er in den Wochen zuvor gemeinsam mit seinem besten Freund gewesen war, was wiederum dem Autor die Möglichkeit gibt, all das noch einmal zu beschreiben, als sei das nicht schon zu oft geschehen.

Es ist zu ahnen, dass der exaltierte Moritz den Ich-Erzähler in ein eher ungutes Abhängigkeitsverhältnis hineinmanipuliert hat. Während der Spurensuche wiederum werden wahnsinnig viele Drogen konsumiert, Alkohol, Kokain, Pillen; immer wieder gerät der Ich-Erzähler in Kreise, in denen Kunst und Leben untrennbar zu sein scheinen, und irgendwann landet er nach einem Drogenexzess auch einmal im Krankenhaus. Moritz aber bleibt verschwunden. Das muss so sein, denn der Prolog verrät im Grunde bereits alles, wovon Pofalla erzählen will: vom Verbrennen, vom Verglühen, vom einzigen Ja-Sagen, das der Gesellschaft noch wehtun kann - dem Ja zur Selbstvernichtung.

Low

Boris Pofalla: Low. Roman. Verlag Walde + Graf bei Metrolit, Berlin 2015. 224 Seiten, 20 Euro. E-Book 14,99 Euro.

Erzählerisch ist das allerdings nicht eingelöst. Pofallas Protagonist befindet sich in einem drogenbemäntelten Dauerzustand des Diffusen und Vagen; der Roman versucht, eben diese Diffusität auch sprachlich abzubilden, und verwischt dabei immer wieder die Grenze zur Banalität oder zur Ungenauigkeit. Irgendwo hinter diesem nebulösen Sprechen scheint ein Generationsgefühl auf - "die brauchen uns nicht, und wir brauchen sie nicht", so heißt es an einer Stelle. Auch nicht ganz neu: Opposition in der Totalverweigerung. Auch die ist heruntergepegelt, nahe Null.

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