"Jump, Darling" im Kino:Königin der Nacht

"Jump, Darling" im Kino: Zwei Suchende: Cloris Leachman und Thomas Duplessie in "Jump, Darling".

Zwei Suchende: Cloris Leachman und Thomas Duplessie in "Jump, Darling".

(Foto: Cinemien)

In "Jump, Darling" spielt Cloris Leachman eine fantastische letzte Hauptrolle. Dabei zeigt sie ihrem Enkel, der sich als Dragqueen versucht, wie man kämpft.

Von Lisa Oppermann

Man sieht Russells Gesicht erst richtig, als er schon taumelt. Als er durch die Menschenmenge auf den Barboden fällt, eingehüllt in kalt-blaue Discolichter und die entsetzten Blicke derer, die sich über ihn beugen. Zuvor, in den Aufnahmen in der Umkleide, ist er nichts als ein Hinterkopf mit grell pinkfarbener Perücke, der stumm die Vorwürfe seines Freundes auf sich einprasseln lässt. Das hier könne er sich einfach nicht mehr mitansehen, seufzt der adrette Anzugträger und verschwindet, durch den Glitzervorhang und aus Russells Leben.

Es sind nicht nur die vielen goldgelb gefüllten Whiskeygläser um ihn herum, die Russell in dem Film "Jump, Darling" von Phil Connell zum Taumeln bringen: Eigentlich wollte er mal Schauspieler werden, jetzt aber tanzt er als Dragqueen auf verrauchten Barbühnen. Mit dem Sturz und dem Ende seiner Beziehung kommt er noch weiter ab vom Weg der Konformität - er flieht geradezu aus der Stadt und in die Vergangenheit, in das Haus seiner Großmutter Margaret.

Die alte Dame wirkt durchsichtig in ihrer Zerbrechlichkeit

Diese empfängt ihn mit erhobenem Buttermesser und einem Blick, der Glas schneiden könnte. Denn sie erkennt ihren Enkel nicht, denkt, er sei hier, um sie auszurauben. Und das liegt nicht nur an ihrem Alter, das zunehmend an Knochen und Verstand knabbert. Der junge Mann mit blondiertem Seitenscheitel, in weißem Pelzmantel und Batikshirt, hat kaum noch Ähnlichkeit mit dem Jungen auf den Fotos im Wohnzimmer. Ursprünglich will Russell nur ein paar Tage bleiben, aber er merkt schnell: Nicht nur ihre Erinnerung schwindet - seine Oma scheint auch sonst immer durchsichtiger und fragiler zu werden. Und so bleibt er.

Die alternde Margaret ist die letzte Hauptrolle von Cloris Leachman, die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 94 Jahre alt war - im Januar 2021 ist die Oscar-Gewinnerin und Emmy-Rekordpreisträgerin gestorben. Sie spielt Margarets Verfall mit durchscheinender Sturheit. Ihre Haut wirkt wie brüchiges Pergament, ihr Haar ist schütter, die Bewegungen sind langsam und angestrengt und doch gibt sie Margaret eine Würde, die in ihrer Kompromisslosigkeit fast hart ist.

Das spürt man, selbst wenn sie nackt und klein in all ihrer Zerbrechlichkeit in der Dusche steht und Russell bitten muss, ihr hinauszuhelfen, weil sie es allein nicht mehr schafft. Diese Härte, diese Würde ist es, die den Film vor Kitsch bewahrt, den man bei der doch recht altbekannten Geschichte - exzentrischer Enkel und im Alter zerfallende Großmutter - vielleicht erwarten könnte.

Zwei Menschen, die nichts wollen als ein selbstbestimmtes Leben

Es ist sicherlich Leachman, die diesen Film sehenswert macht, aber auch Thomas Duplessie spielt Russell überzeugend, in einer zerrissenen Ambiguität: Sein Blick, sein ganzes Wesen scheint erst mit dem Taumeln aufzuhören, als er in einem Akt der finalen Emanzipation allein in Drag-Montur durch die Küche einer Bar tanzt, für niemandes Augen, nur für sich selbst.

Letztlich zeichnet "Jump, Darling" das Bild zweier Suchender: Russell versucht, zwischen den eigenen Träumen und den Erwartungen anderer seinen Weg zu finden. Und Margaret will dem Altersheim entkommen, in das Russells Mutter sie ständig zu bringen droht. Sie sind zwei Menschen, die verzweifelt versuchen, ihre Autonomie zu retten - der eine am Anfang seines eigenständigen Lebens, die andere am Ende des ihren. Sie kämpfen dafür, dass sie selbst entscheiden dürfen.

Jump, Darling, Kanada 2020. Buch und Regie: Phil Connell. Mit Cloris Leachman und Thomas Duplessie. Cinemien, 90 Minuten. Kinostart: 17.3.2022.

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