Süddeutsche Zeitung

Juliette Binoche über Spaß:"Vergnügen muss man selbst produzieren"

Sie brauchte lange, um in ihrer raketenhaften Karriere nicht nur auf tragische und melancholische Rollen festgelegt zu werden. Dabei ist Juliette Binoche ein überaus spaßbetonter Mensch. Ein Interview über Nacktszenen, ihre Angst vor dem Heiraten und die Feigheit Gérard Depardieus.

Antje Wewer

Berlin, ein Hotel in der Nähe des Cinema Paris, halb zehn Uhr morgens. Juliette Binoche ist munter wie ein Teenager. Vielleicht, weil hinter dem Paravent ihr neuer Freund wartet? Ihre legendären braunen Augen blicken sanftmütig, aber das täuscht: Ihr Körper vibriert vor Spannung, sie gestikuliert energisch und trinkt das Wasser in großen Schlucken. Am überraschendsten ist ihr Lachen: Es klingt rau. Und ziemlich dreckig.

SZ: Madame, Sie gelten als sinnliche Heldin des modernen Problemfilms. Wann hatten Sie das letzte Mal gehörig Spaß?

Juliette Binoche: Jetzt gerade erst, hier in Berlin, bei der Premiere meines neuen Films 'Die Liebesfälscher'.

Die meisten Schauspieler empfinden aufgerüschte PR-Marathons eher als lästig.

Auch ich war hundemüde und wäre gerne im Kinosessel eingeschlafen. Um das zu vermeiden, habe ich zügig zwei Gläser Sekt getrunken. Um mich nach der Vorführung, leicht beschwipst, den Fragen der Zuschauer zu stellen.

Und das sind Ihre Spaßmomente?

Generell bin ich davon überzeugt, dass Vergnügen nicht von außen an einen herangetragen wird, sondern dass man es selbst produzieren muss. Also habe ich organisiert, dass mein neuer Freund auch einfliegt. Im Übrigen, meinen Pariser Alltag zu meistern, finde ich weitaus nervtötender. Und wie mich dieses stereotype Schauspielergejammer langweilt: diese nervigen Interviews! Der Jetlag! Das einsame Leben im Hotel. . . Mon Dieu! Was sind das für Luxusprobleme? Als Künstlerin arbeitet man doch immer.

Regisseur Ihres neuen Films ist der Iraner Abbas Kiarostami. Schon an dem Abend, als Sie 1997 den Oscar für 'Der englische Patient' bekamen, betonten Sie, wie gerne Sie ihm drehen würden. Da wollten Sie einen Punkt machen, oder?

Genau, ich wollte klarstellen: Mir geht es nicht um den Star-Lifestyle, sondern um interessante Hauptrollen. Es gibt Schauspieler, die sehnen sich nach Ruhm, weil sie die Aufmerksamkeit genießen. Mich interessierte Ruhm immer nur, weil ein gewisser Status einem Mitspracherecht und spannende Projekte ermöglicht.

Sie taten dann etwas Unerhörtes: Sie gaben Steven Spielberg einen Korb.

Er hat mir drei Mal eine Rolle angeboten, das hat mir schon geschmeichelt.

Warum in aller Welt haben Sie sie dann abgelehnt?

Weil Spielberg nicht an Frauen interessiert ist!

Oha. Wie meinen Sie das?

In seinen Filmen spielen Dinosaurier, Außerirdische oder Männer die großen Parts. Ich habe ihn Ende der Neunziger auf einer Party in Los Angeles kennengelernt. Da erzählte er mir stolz, dass er am Anfang seiner Karriere regelrechte Frauenfilme gedreht hätte; nur leider könne er sich an keinen ihrer Titel erinnern. Ich habe dann lieber mit intellektuellen Regisseuren wie Michael Haneke, Anthony Minghella oder Amos Gitai gearbeitet.

Noch nie einen Film des Geldes wegen gedreht?

Dafür rast das Leben doch viel zu schnell an einem vorbei. Ich will Spaß haben und Filme drehen, die ich mir auch selber anschauen würde. Das schließt Erfolg nicht aus. 'Chocolat' von Lasse Hallström war ein Kassenknüller und hat mir wieder eine Oscar-Nominierung eingebracht.

Was Werbung betrifft, sind Sie nicht so ausschließlich. Sie modeln beispielsweise für den Kosmetikkonzern Lancôme. .

. . aber ich habe auch zwei Kinder und mit ihnen in New York, London, San Francisco und Südafrika gelebt. Das kostet eine Stange Geld.

Ihre neue Rolle haben Sie sich auf unkonventionellem Wege verschafft, richtig?

Der Zufall hat mir wie so oft auf die Sprünge geholfen. Einladungen für Branchenabendessen werfe ich in der Regel auf einen Stapel, sage sie weder zu noch ab, und wenn ich dann tatsächlich mal Lust verspüre auszugehen, ziehe ich mir einfach eine aus dem Stapel raus. Bei genau so einem spontanen Abendessen wurde ich neben Kiarostami platziert. Die Chemie stimmte sofort. Am Ende des Abends lud er mich nach Iran ein.

Wie fühlt sich diese vielbeschworene Chemie zwischen Künstlern eigentlich an?

Belebend. Unterhaltsam. Ein Gedanke stößt den nächsten an. Ein Domino-Spiel, das nicht zu stoppen ist. Alsbald buchte ich einen Flug nach Teheran. Dort erzählte mir Abbas die Geschichte von einem Paar, das sich erst kurz kennt, aber von der Kellnerin für ein Ehepaar gehalten wird. Die beiden spielen das Spiel mit und treiben es auf die Spitze. Diese Geschichte wollte er mit mir weiterentwickeln und drehen, also bat er mich, einen Produzenten zu finden.

Ist das nicht Sache des Regisseurs?

Meist ja. In unserem Fall habe ich den Part übernommen, weil ich in Europa die besseren Kontakte habe. Kiarostami wird zwar bei uns viel zitiert, gedreht hatte er bis dahin aber ausschließlich in Iran. Also habe ich Marin Karmitz, einen der einflussreichsten Produzenten in Frankreich, ins Boot geholt.

Mussten Sie ihn zu dem Arthouse-Film sehr überreden?

Für Männer, Kinder und ganz besonders für Produzenten gilt: Überreden ist immer der falsche Weg. Man muss sie überzeugen, sonst passiert nichts. Erzwingen kann man im Leben ohnehin wenig, aber man kann die Dinge anstoßen. Passivität war noch nie meine Sache. Ich habe früh kapiert, dass man sich als Frau nicht in die Warteposition begeben darf.

Klingt nach feministischer Binsenweisheit.

Mag sein. Aber ich kenne nun einmal viel zu viele Frauen in meiner Branche, die darauf warten, entdeckt, gecastet oder besetzt zu werden. Haben sie den Durchbruch geschafft, überlassen sie ihren geldgeilen Agenten die wichtigen Entscheidungen. Gerade in Hollywood wird strategisch und nach Höhe der Gage, nicht nach Inhalten entschieden. Fatal ist das! Deswegen sieht man preisgekrönte, talentierte Schauspielerinnen plötzlich in langweiligen Blockbustern.

Sie jedenfalls ergriffen die Initiative bereits 1985, in Cannes. Da tanzten Sie sehr aufreizend in einem silbernen Kleid für die Fotografen am Strand. War das demnach strategischer Feminismus?

Ich gab dem Affen Zucker. Mehr nicht. Ein bestimmtes Ziel hatte ich nicht vor Augen. Wir präsentierten damals André Techinés 'Rendez-Vous'. . .

. . . ein provokantes Erotik-Drama . . .

. . und ich hatte sechs Monate zuvor die Schauspielschule beendet und bislang nur ein paar kleine Rollen gespielt. Ich war ein 23-jähriges Theatermädchen, das mit der ersten großen Kinorolle gleich an der Croisette landete. Ich hatte ja keine Idee, was für Konsequenzen dieser Auftritt haben würde!

Sie wurden damals als Cannes-Starlet bezeichnet. War Ihre intellektuelle Mutter nicht entsetzt?

Ganz im Gegenteil. Sie hat mich beglückwünscht. Sie hatte niemals die Sorge, dass ich als Starlet enden könnte. Sie ist wie ich Schauspielerin, liebt die Literatur, das Autorenkino und hat mich sehr geprägt.

Obwohl Sie als Kind auf ein katholisches Internat geschickt wurden?

Ich denke, das hat unser Verhältnis nicht beeinträchtigt. Entweder du bist eng mit deiner Familie, oder du bist es nicht. Mit 15 Jahren bin ich nach Paris gezogen und habe mir dort mit meiner Schwester Marion ein Zimmer geteilt. Richtig unabhängig wurde ich dann mit 18 Jahren, als ich anfing, mein eigenes Geld zu verdienen. Meine Mutter erzählt gerne, dass ich schon mit dieser Energie auf die Welt gekommen bin. Ich muss als Kleinkind unabhängig und fordernd gewesen sein. Viele Eltern glauben dann ja, sie könnten durch Erziehung ihre Kinder wie Plätzchen formen. Dem ist aber nicht so.

Wie ist es dann?

Du kannst ihnen beibringen, wie man mit Messer und Gabel isst, und sie durch die eigene Lebensweise prägen, aber sie werden nun mal mit einer eigenen Persönlichkeit geboren. Meine inzwischen elfjährige Tochter Hannah ist zum Beispiel sehr empathisch. Es gibt so gut wie keine Distanz zwischen ihr und der Welt, schon als kleines Mädchen konnte sie sich in andere hineindenken. Ich bin mir fast sicher, dass sie Schauspielerin wird. Mein Sohn Raphael hat hingegen schon für sich herausgefunden, dass dieser extrovertierte Beruf nichts für ihn ist. In Michael Hanekes Film 'Caché' hätte er meinen Sohn spielen können. Es war ein Desaster. Er wollte es so gerne probieren, aber als er dann vor der Kamera stand, fand er es einfach nur schrecklich.

Gérard Depardieu hat kürzlich in einem Interview Isabelle Adjani und Fanny Ardant als 'grandios' bezeichnet. Und Sie als 'uninteressantes Nichts'. Hat Sie das gekränkt?

Bis vor kurzem, ja. Doch dann sah ich ihn zufällig auf einem Wochenmarkt in Paris. Ich habe ihn erkannt, obwohl er seinen Motorradhelm auf dem Kopf trug und einen Korb am Arm baumeln hatte; einen Mann wie ihn kann man einfach nicht übersehen. Ich sprang jedenfalls auf ihn zu und fragte: 'Was ist eigentlich los mit dir, Gérard? Was habe ich dir getan, dass du so böse über mich sprichst?'

Wie hat er reagiert?

Feige! Er wiegelte ab, ich solle ihn doch bitte nicht so ernst nehmen, er hätte das einfach nur so gesagt. Ich antwortete ihm, dass auch so Dahingesagtes Menschen verletzen kann. Da schaute er verdutzt. Und fügte noch hinzu, dass er Schauspielerinnen verachtet, die mit perversen Regisseuren arbeiten.

Spielte er da auf Ihre Rolle in Louis Malles erotischer Tragödie 'Verhängnis' an?

Nein. Er faselte was von Michael Haneke und Leos Carax, mit letzterem habe ich ja bereits 1991 'Die Liebenden von Pont-Neuf' gedreht . . . Ich hatte jedenfalls genug gehört, küsste ihn und verabschiedete mich mit einem freundlichen 'Au revoir'.

Wie souverän.

Nachdem ich ihn so konfrontiert hatte, fühlte ich mich auch ausgesprochen gut. Vielleicht nervt ihn auch mein aktueller Film? 'Die Liebesfälscher' ist für Machos kaum auszuhalten. Der Mann ist schwach, die Frau stark.

Es gibt darin eine Szene, in der eine resolute Italienerin prophezeit, dass Frauen die Ehe erst richtig zu schätzen wüssten, wenn sie alt sind. Glauben Sie das auch?

Ich war nie verheiratet und werde es wohl auch nicht sein. Vielleicht liegt es daran, dass ich ein Scheidungskind bin: Ich verbinde mit dem Versprechen keine Sicherheit. Nichtsdestotrotz, nach der Geburt meiner Kinder hatte ich immer ein großes Bedürfnis nach einer intakten Familie. Und wenn ich frisch verliebt bin, wünsche ich mir, dass es für immer hält. Bisher bin ich aber immer nach ein paar Jahren gescheitert. Ich habe also keine Erfahrung damit, wie es ist, wenn man 15 Jahre mit ein und demselben Mann verheiratet ist.

Dafür haben Sie Erfahrungen mit sehr unterschiedlichen Männern gemacht, richtig?

Sie sehen jedenfalls sehr unterschiedlich aus. Ich hatte bereits diverse Nationalitäten, Jahrgänge und Professionen. Bei näherer Betrachtung aber hatte ich immer wieder den gleichen Mann an meiner Seite, und auch meine Rolle in den Beziehungen war immer dieselbe: die sich kümmernde Mutter, der Lebenscoach. Nun bin ich gerade dabei, mich umzuorientieren. Ich habe mir einen Mann gesucht, der mich umsorgt. Für eine selbständige, unabhängige Frau ist das ein Wagnis.

Sie klingen ja wirklich wie eine kapriziöse Problemfranzösin!

Und Sie sagen das, weil in französischen Filmen immer über Gefühle diskutiert wird. Ich bin aber nicht kompliziert, nur komplex.

Vielleicht heiraten Sie ja doch noch, als nächstes romantisches Wagnis . . .

Die Vorstellung gefällt mir, die Realität jagt mir Angst ein. Es hat Vorteile, wenn man mit Mitte vierzig keinen Beziehungsstress hat. Man spart sich sinnlose Streits, das aneinander Abarbeiten, die Kompromisse. Mit dem hübschen Ring kommen ja auch Verpflichtungen, der gefüllte Kühlschrank, der feste Freundeskreis und die ständige Wiederholung von bürgerlichen Ritualen. Ohne all das hatte ich viel Zeit, meine Visionen zu verwirklichen.

Welche sind Ihnen derzeit wichtig?

Ich habe ein Buch mit eigenen Porträtzeichnungen veröffentlicht und die Bilder in Paris ausgestellt. Mit 43 Jahren habe ich mich zum ersten Mal als Tänzerin versucht. Das Stück 'In-i' tanze ich zusammen mit dem Choreographen Akram Khan, es wurde 2008 im Londoner Nationaltheater uraufgeführt. Das war übrigens das Mutigste, was ich bisher gemacht habe.

Mutiger, als sich für die 'Unerträgliche Leichtigkeit des Seins' splitterfasernackt auszuziehen?

Ich bitte Sie! Ich bin keine professionelle Tänzerin, und beim Tanzen auf der Bühne musste ich meinen Körper dem Publikum auf intensive Art und Weise aussetzen. Dabei habe ich mich viel nackter gefühlt als bei irgendwelchen Dreharbeiten. Nacktszenen sind anstrengend, weil man sich höllisch konzentrieren muss. Aber sie gehören zu meinem Handwerk. Und das beherrsche ich nun mal.

Juliette Binoche wurde am 9. März 1964 in Paris geboren. Ihre Eltern, ein Bildhauer und eine Schauspielerin, ermutigten und inspirierten die Tochter, ebenfalls eine künstlerische Karriere einzuschlagen. In Europa wurde Binoche mit ihrer Rolle in "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" bekannt (1988). Ihr weltweiter Durchbruch - und ein Oscar - kamen mit der Rolle der Krankenschwester Hana in "Der englische Patient". Überhaupt räumte Binoche alles ab, was an internationalen Ehrungen, Nominierungen und Preisen zu vergeben ist, sie gewann Bafta, César, mehrere Europäische Filmpreise, sowie bei den Filmfestspielen in Berlin, Venedig und Cannes. Die Schmonzette "Chocolat - ein Biss genügt" verlieh ihr zudem international den Status der erotischen Genussfrau. Binoche lebt bei Paris und hat zwei Kinder von zwei Vätern, einem professionellen Tiefseetaucher und einem Schauspieler. "Die Liebesfälscher" läuft seit vergangenem Donnerstag in den deutschen Kinos.

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Quelle:
SZ vom 15.10.2011/pak
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