Game-Kunst in Düsseldorf:Next level

Game-Kunst in Düsseldorf: Immer dem Regenbogen nach: Kim Heecheons Videoarbeit "Sleigh Ride Chill" aus dem Jahr 2016.

Immer dem Regenbogen nach: Kim Heecheons Videoarbeit "Sleigh Ride Chill" aus dem Jahr 2016.

(Foto: Kim Heecheon)

Die Julia Stoschek Collection zeigt in Düsseldorf Kunst, die sich mit Videospielen beschäftigt. Besser kann man eine solche Schau nicht kuratieren.

Von Alexander Menden

Wer Mitte der Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts am PC dreidimensionale Monster in einem Sprühregen aus Blut niedermetzeln wollte, der (es war erfahrungsgemäß eher ein Der als eine Die) spielte Quake. Die Grafik war nach heutigen Maßstäben vorsintflutlich, aber die Klänge triggern noch heute, ein Vierteljahrhundert später, den Jagd- und Schießinstinkt: Das Grunzen und Stöhnen dämonischer Kreaturen im Kampf, das Blaffen der Pump Gun und das "Hmpf!" bei jedem Sprung der Spieler-Figur, unterlegt von einem permanenten, quasi-industriellen Rauschen und Trent Reznors Soundtrack - das alles bildete den Klangteppich, auf dem dieser bahnbrechende Ego-Shooter durch die extradimensionale Digitalhölle raste.

Besagter Klangteppich ist das einzige, an dem man sich orientieren kann, wenn man versucht, eine Variante zu spielen, die das unter dem Namen "Jodi" firmierende niederländische Künstlerduo Joan Heemskerk and Dirk Paesmans aus Quake gemacht hat. Das visuelle Rendering besteht aus schwarzweißen Linien, längs, quer und im Zickzack über den wandgroßen Bildschirm huschend, der einen ganzen Raum in der Düsseldorfer Julia Stoschek Collection beherrscht. Man kann dieses "Untitled Game (1998 - 2001)" natürlich zu spielen versuchen. Aber genauso gut könnte man einen "Ninja-Warrior"-Parcours mit verbundenen Augen angehen. Siegchance: null. Die Destabilisierung des üblicherweise auf Gewinnen abzielenden, teleologischen Spielablaufs wird unmöglich gemacht, frustrierend und befreiend zugleich.

Game-Kunst in Düsseldorf: In der Ausstellung kann man auch selbst gamen, wie etwa Basmah Felembans Videospiel "The Jirry Tribe Stop" von 2021.

In der Ausstellung kann man auch selbst gamen, wie etwa Basmah Felembans Videospiel "The Jirry Tribe Stop" von 2021.

(Foto: Alwin Lay/Basmah Felemban)

Dieser deskriptive Umgang mit den Gameplay-Konventionen, den die Niederländer schon seit den Neunzigerjahren betreiben, bildet einen wichtigen Strang der Ausstellung "Worldbuilding - Gaming and Art in the Digital Age", welche die Julia Stoschek Collection anlässlich ihres 15-jährigen Bestehens in ihrer 2007 eröffneten Düsseldorfer Galerie ausrichtet. Die Idee, Game-Kunst zu zeigen, also Arbeiten, die am Nexus zwischen Bildender Kunst und Ästhetik, Konventionen und Mechanismen kommerzieller Videospiele existieren, ist letztlich eine Fortführung des Fokus, den die Sammlerin Julia Stoschek stets auf "zeit-basierte Kunst" gelegt hat, also veränderliche Installationen und Videos. Als Gastkurator wurde der ubiquitäre Hans Ulrich Obrist von der Londoner Serpentine Gallery gewonnen, dessen unablässiger Stream-of-Consciousness sich wohl für kein Medium besser eignet als für die potentielle Unendlichkeit einer Digitallandschaft, einer virtuellen Parallelwelt.

Nicht kommerzielle Games und ihr Designkonzept, sondern ein Fortdenken, das Spiel mit Erwartungen und deren Übertragung in angrenzende Kunstbereiche stehen im Zentrum der Schau. Sie wird anderthalb Jahre laufen und soll sich in diesem Zeitraum selbst verändern und weiterentwickeln. Eine weitere, sozusagen geklonte Version der Schau wird vom kommenden Jahr an auch das Centre Pompidou in Metz zeigen.

Viele Digital Natives verdanken ihre Geschichtskenntnisse vor allem Assasin's Creed und God of War

Dass mit den 30 Arbeiten, die auf drei Stockwerken zu sehen und teilweise zu spielen sind, auch ein jüngeres Publikum in die Galerie gelockt werden soll, das sonst nicht eben ständig in Ausstellungen mit Zeitgenössischer Kunst rennt, ist kein Geheimnis. Das ist ein verdienstvoller Vorstoß. Denn obwohl manche öffentlichen Sammlungen begonnen haben, Videodesign in ihre Kataloge aufzunehmen, bestehen gerade in Deutschland noch immer Vorbehalte - ausgerechnet bei einer der Kreativformen, für die junge Menschen sich vorbehaltlos interessieren. Die Schwelle zur Zensur ist nirgends niedriger, die zur Erkenntnis, es womöglich mit Kunst zu tun zu haben, nirgends höher.

Dabei verdanken viele Digital Natives ihre Kenntnisse über die historischen Stadtlandschaften der Welt oder das griechische Pantheon wohl vor allem Assasin's Creed und God of War. Dass die Spielästhetik stark an kunstgeschichtliche Traditionen anknüpft, ja, dass sie ein Reservat der Gegenständlichkeit in der Gegenwartskunst darstellt, ist bekannt. In Düsseldorf wird eine Art romantischer Tradition fortgeführt: "Permanent Sunset", geschaffen von einem Künstler, der als nicht-binärer Avatar namens LaTurbo Avedon firmiert, zeigt in einem Dauerloop pittoreske Sonnenuntergänge aus sonst hochbrutalen Spielen wie Counterstrike.

Game-Kunst in Düsseldorf: Ed Atkins' Videoarbeit "Even Pricks" stammt aus dem Jahr 2013.

Ed Atkins' Videoarbeit "Even Pricks" stammt aus dem Jahr 2013.

(Foto: Alwin Lay/Ed Atkins)

Das eingebaute Versprechen solcher Spiele, irgendwas gewinnen zu können, hält "Worldbuilding" allerdings wie gesagt nicht. Neben der visuell verzerrten Quake-Version gibt es unter anderem auch eine vom amerikanischen Künstler Cory Arcangel umprogrammierte Version des Ur-Arcade-Spiels Space Invaders: Hier gibt es nur einen Alien-Angreifer, der aber mit dem gesamten Arsenal der sonst zahllos auftretenden Ufo-Feinde ausgestattet ist. Man kann ihn endlos beballern und wird am Ende doch immer unterliegen.

Mit Game-Play-Dokus verbringen viele Kinder und Jugendliche heute einen Großteil ihrer Freizeit auf YouTube

In vielen Fällen handelt es sich nicht um interaktive Arbeiten, sondern um Game-Play-Dokumentationen, eine Form, mit der viele Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Freizeit auf YouTube verbringen. So passiv die Betrachtung solcher durchgespielten Games auch wirken mag, so prägend und zum Teil erkenntnisfördernd können sie sein.

Game-Kunst in Düsseldorf: Spielen auf Strohballen: Theo Triantafyllidis' "Pastoral" von 2019.

Spielen auf Strohballen: Theo Triantafyllidis' "Pastoral" von 2019.

(Foto: Alwin Lay/Theo Triantafyllidis)

Das gilt etwa für Angela Washkos Projekt "The Council on Gender Sensitivity and Behavioural Awareness in World of Warcraft (2012-2016)". Nachdem sie jahrelang online das Rollen- und Kampfspiel "World of Warcraft" gespielt hatte, schuf sie innerhalb des Spiels eine Art Debattenplattform, um über die oft frauenfeindlichen Tendenzen innerhalb der Online-Player-Community zu diskutieren. "Woran denkst du, wenn du das Wort Feminismus hörst?" - "Ich denk an Oger, genauer gesagt an Shrek." So verlaufen viele der Gespräche, die Washko dokumentiert hat, sie zeigen aber auch ein graduell erkennbares Umdenken seitens der Teilnehmer im Verlauf des Spielflusses.

Anders gelagert ist ein Auszug aus "New Fiction", einem Projekt, das Kurator Obrist zu Beginn dieses Jahres mit dem in Brooklyn lebenden Künstler Brian Donnelly, alias Kaws, erarbeitete. In einer Mischung aus physischer Ausstellung in der Serpentine North Gallery und einer virtuellen Begehung in der Spielwelt von Fortnite. Ein eigener Avatar, orientiert an Donellys x-Äugigen Skelett-Comicgestalten, wurde dem Fortnite-Kosmos ebenfalls hinzugefügt. Dass die Kunstwerke auch in Wirklichkeit betrachtet werden konnten, stellte einen interessanten Kontrapunkt zur Debatte über Kunst in NFT-Form dar - also digitalen Kunstwerken, für die ein Eigentumsnachweis erworben werden kann, der dem Käufer derzeit noch unscharf formulierte Rechte zuweist.

Game-Kunst in Düsseldorf: Das Künstlerkollektiv Keiken hat die interaktive Installation "Bet(a) Bodies", 2021-2022, geschaffen.

Das Künstlerkollektiv Keiken hat die interaktive Installation "Bet(a) Bodies", 2021-2022, geschaffen.

(Foto: Keiken/Player of Cosmic Realms)

Als größter Renner dürfte sich allerdings eine Installation erweisen, die körperlicher und greifbarer ist als alles andere in "Worldbuilding": Tanya Cruz, Isabel Ramos und Hana Omori, die gemeinsam das Künstlerinnenkollektiv Keiken bilden, haben das Konzept des virtuellen Avatars sozusagen wieder in die Wirklichkeit rückübersetzt. "Bet(a) Bodies" lautet der Titel einer Installation, bei denen sich die Besucher blau leuchtende Silikon-"Gebärmütter" auf den Bauch legen können. Ähnlich wie bei den vibrierenden Sensoren in Joysticks geben auch diese bionischen Prothesen summende Signale in den Körper ab. Ein meditativer und überraschend greifbarer Höhepunkt dieser ambitionierten, wichtigen Ausstellung.

Worldbuilding - Gaming and Art in the Digital Age in der Julia Stoschek Collection, Düsseldorf. www.jsc.art; Geöffnet Sonntags 11 - 18 Uhr. Bis 10. Dezember 2023.

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