Süddeutsche Zeitung

Jugendroman:Vida, die Erlöserin

"Licht und Schatten", der neue Fantasy-Roman von Zoran Drvenkar, bleibt in der Luft hängen.

Von Michael Schmitt

Fantasy-Romane von Zoran Drvenkar setzen nicht auf standardisierte Motive, sie vertrauen nicht auf pittoreske Mittelalterszenarien oder schlichte Dystopie. Sie entwickeln hoch suggestive Plots, in denen sie historische Hintergründe, volkstümliche Mythologien, zuweilen auch die unmittelbare Gegenwart mobilisieren. So hat der 1967 geborene Schriftsteller sowohl für Erwachsene wie für junge Leser geschrieben, hat die Grenzen zwischen seinen Büchern fließend gehalten und Motive wandern lassen. Man denke etwa an den ersten Band von "Der letzte Engel" (2012), Zoran Drvenkar traut sich was, schon das zeichnet ihn und seine Bücher aus.

Das ist jedoch auch eine Verpflichtung - und bei jedem neuen Buch ein Risiko, wie sich bei dem jüngst erschienenen 580-Seiten-Roman "Licht und Schatten" zeigt. Erzählt wird die Geschichte der 1704 geborenen Vida, die im Alter von dreizehn Jahren als mögliche Erlöserin der Welt von allem Bösen in Erscheinung tritt. Um sie herum versammelt der Roman drei Schwestern und einen Vater, die Millionen Jahre alt sind und die Aufgabe haben, Vida anzuleiten und zu beschützen. Genauso alt sind die Feinde des Mädchens, Hexenwesen oder Dämonen, dazwischen agieren einige historisch überprüfbare oder in die Lücken der überlieferten Geschichte eingefügte menschliche Protagonisten.

"Licht und Schatten" konstruiert eine pathetische Gegenüberstellung von Licht und Schatten, von Gut und Böse, die aller Verankerung in konkreten Umständen vorangeht. Das Gute wird mit vielen Elementen fernöstlicher, hinduistischer oder buddhistischer Lehren ausgeschmückt. Chakren, Mudras und Schutzzauber sind entscheidende Mittel in dem Kampf, den Vida und ihre Helferinnen und Helfer führen - einen Kampf ohne herkömmliche Waffen übrigens, wie immer wieder betont wird. Die erzählerische Ausgestaltung ihrer Gegner bedient sich demgegenüber meist bei slawischen Überlieferungen, zitiert Gestalten herbei, die Kinder bei Nacht mit bösen Träumen quälen. Die Namen der Guten sind, wo sie aus dem Sanskrit oder aus dem Hebräischen abgeleitet werden, so sprechend wie diejenigen der Bösen, die sich beispielsweise dem Kroatischen verdanken. Den historischen Hintergrund für diesen Entwurf bieten die späten Regierungsjahre von Zar Peter dem Großen, die mit dem Nordischen Krieg gegen Schweden oder mit dem Nachhall von Aufständen gegen die Modernisierung des Zarenreiches möglicherweise detaillierte Verknüpfungen mit dem Treiben der Hauptfiguren gestatten würde. Dieser Rahmen aber ist nur grob ausgearbeitet, anders etwa als das Berlin der Gegenwart oder die Nordküste Sibiriens, die in "Der letzte Engel" als erzählerische Spielwiesen gedient haben. Die Fülle der mal spannend und knapp, mal ausschweifend und sogar ungelenk beschriebenen Episoden hängt daher in "Licht und Schatten" in der Luft. Um was es jenseits der Abstraktion "Gut gegen Böse" tatsächlich geht, ist schwer greifbar, der Roman hat keinen festen Boden, auf dem die Handlung aufbauen könnte, er lässt sich als Geschichte einer weiblichen Initiation genauso lesen wie als esoterisches Selbstermächtigungsprojekt oder als Reflex der seit einigen Jahren auflebenden "Hopepunk"-Literatur, die an die Stelle düsterer Fantasy erbaulichere Geschichten von Hoffnung und Humanität setzen will.

Der Roman wirkt letztlich unentschieden in seiner Anlage, und das spiegelt sich auch im sprachlichen Detail. Zwar verzichtet Zoran Drvenkar auf jede Art von historisierendem Kitsch, aber der gegenwartsnahe Jargon, den er seinen Protagonisten leiht, ist nicht nur von esoterischen Elementen durchsetzt, sondern leider auch von Vokabeln, die sich dem Umfeld des zeitgenössischen Optimierungswahns verdanken. Der Heldin wird dann beispielsweise abverlangt, sich zu "fokussieren" - und das ist der erzählten Geschichte beim Lesen entschieden abträglich, während es dem Roman in der Entstehungsphase vermutlich gutgetan hätte. (Junge Erwachsene)

Zoran Drvenkar: Licht und Schatten. Beltz & Gelberg, Weinheim2019. 584 Seiten, 19,95 Euro.

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SZ vom 22.11.2019
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