Jugendroman:Schwarzer Blues für Starr

Amerikas ungelöstes Problem: Der tödliche Schuss eines weißen Polizisten verändert das Leben der Heldin und der Bewohner im Ghetto einer Großstadt.

Von Roswitha Budeus-Budde

Migration der Bäume

Migration der Bäume Als Reaktion auf den Klimawandel pflanzt die Umweltorganisation Organisme National des Forêts (ONF) im Osten von Frankreich Bäume aus dem Süden an, vor allem Traubeneichen und Buchen, die unter dem zukünftig trockenen Mittelmeerklima leiden werden. Unter Botanikern nennt man das unterstützende Migration. Bäume, die die Bücher von Jean Giono, Marcel Pagnol oder Alphonse Daudet bevölkern, werden bald keine längere Lebenserwartung haben als Zikaden. Diese Bäume aus dem Süden werden in der Gegend von Verdun neugepflanzt, deren Hügel erst durch den Ersten Weltkrieg entstanden sind. Unter dieser Erde liegen französische und deutsche Soldaten. In dieser alten Kriegszone, die auf diese Weise zum Zufluchtsort wurde, werden diese Bäume in Zukunft sich ausbreiten und leben. Leben und - vielleicht - uns retten.

Hör zu! The Hate U Give Little Infants, Fucks Everybody," erklärt Khalil seiner Freundin Starr. "Das bedeutet, was die Gesellschaft uns als Kindern antut, das kriegt sie später zurück, wenn wir raus ins Leben ziehen." Er sitzt mit ihr im Auto, um sie von einer Party, auf der plötzlich eine Schießerei losging, nach Hause zu bringen. Beide ahnen nicht, dass dies seine letzten Worte an sie sein werden, als eine Polizeistreife sie anhält, wird er von dem weißen Polizisten erschossen. Der Junge hatte nicht gelernt, was dem Mädchen schon mit zwölf Jahren von ihrem Vater im Falle einer Begegnung mit der Polizei beigebracht worden war: "Starr-Starr, du machst alles, was sie sagen... halt deine Hände so, dass man sie sieht. Mach keine plötzlichen Bewegungen, Red nur, wenn du was gefragt wirst."

Mit diesem dramatischen Auftakt ihres Debuts "The hate u give", gelingt der amerikanischen Autorin Angie Thomas nicht nur ein Sozialthriller, sondern auch ein aktuelles Bild des schwarzen Amerika. Starr lebt mit ihren Eltern und Geschwistern in einem Ghetto am Rande einer amerikanischen Großstadt in einer absoluten No-go-area. In der es für Jugendliche kaum Möglichkeiten gibt, eine vernünftige Schulbildung zu bekommen und einen Job außerhalb des Drogen- und kriminellen Milieus der Banden zu finden. Wenigen gelingt es, wie Starrs Vater, sich daraus zu befreien. Stellvertretend für einen Bandenboss ging er drei Jahre ins Gefängnis.

Die Autorin nimmt sich auf 500 Seiten viel Zeit, um das Leben in dieser schwarzen Community zu schildern. Sie verfolgt die gesellschaftlichen Verwerfungen weit in die amerikanische Geschichte der Schwarzen. Spürt ihre Stimmung, ihre Musik, lässt den Rhythmus des schwarzen Blues, des Gospel, in die Handlung einfließen. Verzweiflung, Hoffnung, Gefühle sind zu spüren in den fetzigen, dialogreichen sehr emotionalen Familienszenen und Auseinandersetzungen mit den Freunden. In der sich immer mehr aufheizenden Stimmung, die schließlich zu bürgerkriegsähnlichen Szenen führt.

Angie Thomas - ´The Hate U Give"

Angie Thomas: The hate u give. Aus dem Englischen von Henriette Zeltner. cbt, München 2017. 510 Seiten, 14,25 Euro.

Und Starr wird vor die schwierige Aufgabe gestellt, als einzige Zeugin auszusagen, gerät ins Visier der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der rivalisierenden Banden. Der Tod des Jungen heizt die Stimmung zwischen den weißen und schwarzen Bewohnern auf. Hat Khalil wirklich mit Drogen gedealt, und nach einer Pistole gegriffen, wie der weiße Polizist behauptet? Wie soll sich das Mädchen verhalten - sie wird innerlich zerrissen von ihrer eigenen Situation, die gleichzeitig ein Bild der amerikanischen Gesellschaft spiegelt -, denn sie führt ein Doppelleben. Als eine der wenigen schwarzen Schülerinnen besucht sie eine Privatschule: "Das bedeutet, ich lege den Schalter in meinem Kopf um und bin die Williamson-Starr. Die benutzt keinen Slang, ... hält den Mund, ... damit keiner sie für ein Angry Black Girl hält oder sie ein Ghetto-Girl nennt. An dieser Schule führt sie das typische Leben eines weißen Teenies, und verliebt ist sie in einen weißen, reichen Jungen. Gleichzeitig fühlt sie sich als Verräterin an ihrer Familie und der Community im Ghetto. Sie wird schließlich für die Gerechtigkeit auf der Straße kämpfen.

Die Autorin weicht die Fronten zwischen Schwarz und Weiß auf, Gut und Böse ist nicht an einer Hautfarbe festgemacht. Und der Spruch des Jungen: "The Hate U Give Little Infants, Fucks Everybody,", wird am Schluss zu einem Refrain der Hoffnung. (ab 13 Jahre)

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