Jugendroman:Rote Cowboystiefel, halblange Haare

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Ein geheimnisvoller Junge provoziert mit seinem rätselhaften Verhalten Jonna und ihre Familie. Literarische Erzählweise über die Schwierigkeiten, erwachsen zu werden.

Von Christine Knödler

Es ist ein ambitionierter Text: der mit dem diesjährigen Peter-Härtling-Preis ausgezeichnete Jugendroman von Regina Dürig. Schon im Titel 2 ½ Gespenster klingt das latent Unheimliche und explizit Verrätselte der Geschichte an. Denn "Gespenster" meint nicht, jedenfalls nicht nur, jene flatterhaften, unerlösten Nachtbesucher, die einen um den Schlaf bringen und das Fürchten lehren - Gespenster ist hier dem Vokabular des Druckhandwerks entnommen: Es sind, weiß Protagonistin Jonna, "Reste vom letzten Druck, da hat sich das Gewebe vom Sieb verfärbt. Darum kann man das Motiv noch sehen, aber es kann nicht noch mal gedruckt werden."

Die 16-jährige Tochter eines idealistischen Weltverbesserers und ökonomisch erfolglosen Druckers und einer verhinderten Pianistin, die ihren Lebenstraum für die Familie an den Nagel gehängt hat, weiß, wovon sie spricht. Dass Reste bleiben, Motive sichtbar sind, ohne dass noch mal gedruckt werden könnte, lässt sich in dem Umfeld als Lebenslehre lesen: Jonna schlägt sich mit unerledigten Empfindungen herum, mit noch spürbaren Erfahrungen, die etwas Neuem, gar Eigenem im Wege stehen. Das Unglück der Eltern, die Streits, das ewige Pendeln zwischen Nähe und Distanz, zwischen Verantwortung und vergeblichem Bestehen auf einem Rest an Freiheit, ist Grundmuster der familiären Beziehungen. Schweres Gepäck, und darum ist Jonna fasziniert von einem, der sich Leo nennt und 19 ist, vielleicht jedenfalls: alles andere als verbindlich.

Leo erinnert Jonna an Heath Ledger und er gefällt ihr. Die roten Cowboystiefel, die halblangen Haare, die er sich mit immer gleicher Geste aus dem Gesicht streicht, seine Wortkargheit, Steppenwolfigkeit, Unnahbarkeit, die ein (dunkles) Geheimnis vermuten lassen, ziehen sie an. Weil Leo sich - auch er ein Gespenst - entzieht und nichts preisgeben mag, taugt er als Projektionsfläche besonders gut. Ein derart provozierend leeres Blatt will schließlich beschrieben werden - und sei es in der Tradition romantischer Backfisch-Träume des 19. Jahrhunderts mit der Vorstellung von Erlösung durch Liebe. Doch ein Flirt verläuft im Sande, ein Ausflug ans Meer endet im Desaster. Über die Generationen hinweg scheitern, so scheint es, die Liebes- und Lebenskonzepte, und nicht mal im Märchen vom "Fischer Miilo und seiner Frau", das Leo erzählt, macht die Liebe glücklich.

Letzteres ist nur einer der vielen intertextuellen und popliterarischen Bezüge, der Autorin. Ein Satz wird dabei zum roten Faden: "Ich möchte lieber nicht", sagt Leo stereotyp. Ob er damit auf Fragen zum Job antwortet, den er bei Jonnas Vater ableistet, um seine Café-Schulden abzustottern, ob er Details seiner Geschichte mühsam rausrückt oder sich - Hauptsache! - nicht einlässt. "Ich möchte lieber nicht."

Das berühmte Zitat aus Herman Melvilles Bartleby der Schreiber, einem der großen, halsstarrigen Nein-Sager der Weltliteratur, ist dem Roman als Motto vorangestellt. Doch nicht nur die Worte fallen als Fremd-Worte aus der ansonsten mal experimentierfreudigen, mal poetischen Sprache, auch die dramaturgischen Verweise aufs Vorbild, die die Geschichte vorantreiben, bleiben innerhalb des Erzählten fremd. Zwar nistet sich Leo wie vormals sein literarischer Vorgänger bei Jonnas Familie ein, macht alles kaputt, verschwindet zuletzt ganz, doch das ästhetische Konzept der literarischen Verweise und Bezüge allein reicht nicht, um die behauptete Bedeutung einzulösen. Die macht allerdings eines sichtbar - wovon der Roman erzählt, bildet er unmittelbar ab: eine konsequente Verweigerung. (ab 14 Jahre)

Regina Dürig: 2 ½ Gespenster. Beltz & Gelberg 2015. 144 Seiten, 12,95 Euro.

© SZ vom 10.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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