Süddeutsche Zeitung

Jugendroman:Horror im Knochenhaus

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Kris und seine Freundesclique haben sich ein eigenes Reich in einer kleinen Hütte geschaffen. Als plötzlich ein alter Mann verschwindet und sie eine Suchaktion beginnen, gerät ihre Welt und ihre Freundschaft aus den Fugen.

Von Antje Weber

Die Freiheit heißt Ponderosa. Die Freiheit ist ein heruntergekommenes Häuschen nahe der Autobahnbrücke, mit geklebtem Fenster und kaputten Sperrmüll-Möbeln. Josie wollte diese Hütte Ponderosa nennen, obwohl die anderen aus der Clique gar nicht wussten, was das sein soll: eine Ranch aus Bonanza? Nie gehört. Egal, die zappelige, umschwärmte Josie gibt den Ton an, und Kris und Juri machen für sie gerne mal kurz Pause von der Freiheit.

Der 39-jährige Berliner Autor Michael Sieben erzählt in seinem Debütroman Ponderosa von einer Dreierclique, die sich einen Freiraum zum Rauchen, Kartenspielen und Garnichtstun geschaffen hat - und natürlich trotzdem noch so einige Probleme mit dem Erwachsenwerden hat. Der 15-jährige Ich-Erzähler Kris zum Beispiel weiß in diesem Jungs-Buch sehr genau, wie sich das anfühlt: "Ein blasser Junge, dem immer die Nase läuft, ziemlich zurückhaltend, ziemlich Mamakind", so beschreibt er sich selbst. Ohne seinen Freund Juri wäre er ein Nerd geworden, glaubt er: "Man muss ja ehrlich sein." Er ist einer, der nicht Fußball spielen kann, Volleyball leider auch nicht, und lieber zu Hause die Herr der Ringe-Trilogie durchschmökert. Einer, der theoretisch bereits eine Freundin haben könnte, praktisch aber mit einem Kumpel beim Wastelands 3-Daddeln die Ferien verzockt. Bis dann doch etwas Aufregendes passiert - allerdings anders als erhofft. Ausgangspunkt der Geschehnisse ist ein weiteres Gebäude, denn außer der Ponderosa gibt es in der Welt der Jugendlichen noch das sogenannte Knochenhaus. Das ist ein "trister Betonklotz", in dem Josie mit ihrer alleinerziehenden Mutter wohnt, sehr viel schäbiger als das Siedlungshaus, in dem Kris mit seiner Familie lebt, und der größtmögliche Gegensatz zur Villa von Juris reichen Eltern.

Im Knochenhaus jedenfalls verschwindet ein Nachbar, und die drei Jugendlichen finden, dass sie der Sache auf den Grund gehen sollten. Dafür brechen sie, so geht es los, über den Balkon in die Nachbarwohnung ein. Bis die Geschichte irgendwann eine Eigendynamik entwickelt und, das ist der bittere Schluss, mit einem bösen Unfall endet.

Damit verrät man nicht zu viel der Handlung, denn das Ende wird bereits im ersten Kapitel mit allen erdenklichen Schauer-Elementen in Szene gesetzt. Das erinnert an den Einstieg des immer wieder gern zitierten Herrndorf-Bestsellers Tschick, aber das stört nicht: Michael Sieben erzählt eine andere Geschichte, und er erzählt sie gut. Ein bisschen Spannung ist nun mal nötig, um schnell gelangweilte Jungs zum Umblättern zu bringen; lebendige Dialoge in einer unangestrengt wirkenden Umgangssprache tragen ebenfalls dazu bei. Ohne sich anzubiedern, macht Sieben außerdem die Identifikation mit dem schüchternen Kris leicht - vor allem, indem er ihn nuanciert und damit glaubwürdig zeichnet. Denn auf eine reine Außenseiter-Position ist der nun auch nicht abonniert, und auch wenn seine ersten Liebesgefühle enttäuscht werden, ist Kris weit weniger allein als erwartet. Und: Er ist mutiger als gedacht, auch das wird er erkennen. Es reicht zwar nicht, um die Clique vor dem Zerfall zu bewahren, und auch die Ponderosa liegt am Ende in Schutt und Asche. Macht nichts: Sie hat ihren Zweck erfüllt. (ab 13 Jahre)

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Quelle:
SZ vom 16.09.2016
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