Süddeutsche Zeitung

Jugendroman:Glauben an den Endsieg

Die Rückkehr des Vaters nach dem Krieg lässt den Sohn verzweifeln, denn statt eines Helden kommt ein zerstörter Mensch zurück. Ein Buch wie eine TV-Serie.

Von Siggi Seuss

Nachkriegswirren. Trümmerlandschaft. Anarchie. Armut. Hunger. Kampf ums tägliche Überleben. Gewalt. Egoismus. Schwarzmarkt, natürlich. Und Einblicke in das Unvermögen vieler Deutscher, die Schreckensherrschaft in der NS-Zeit als solche zu begreifen. In "Der Junge aus dem Trümmerland", einem Jugendroman, erzählt die Schriftstellerin und Drehbuchautorin Sarah Bergmann vom Leben des dreizehnjährigen Kriegskindes Paul.

Paul ist Einzelkind, die Mutter alleinerziehend, der Vater wird an der Ostfront vermisst. Der Junge ist noch völlig gefangen in der Welt der NS-Ideologie und findet seinen einzigen Halt in der Kameradschaft vermeintlich Gleichgesinnter. Seine "Trümmerbande" wird von einer fanatischen Sechzehnjährigen befehligt, die noch an den Endsieg glaubt. Pauls Mutter liebt derweil einen schwarzen amerikanischen GI. Der Hass des Sohnes auf alles, was dem eingeprägten Weltbild widerspricht, führt ihn bis zum Plan, den Liebhaber der Mutter zu töten. Dann steht eines Tages der Vater, Pauls Held, vor der Tür. Doch das Vaterdenkmal bröckelt, weil der aus Kriegsgefangenenschaft Heimkehrende nicht mit dem neuen Leben zurechtkommt und Frau und Sohn tyrannisiert. Paul ist also hin- und hergerissen zwischen Hass und Verzweiflung. Von Selbsterkenntnis keine Spur. Das alles und noch mehr mag sich so oder ähnlich überall in Trümmerdeutschland ereignet haben, vor allem in den zerbombten Großstädten.

Das, was zuerst an Bergmanns Roman auffällt: Die Hintergründe sind glaubwürdig recherchiert, aber sie wirken in der fiktiven Geschichte wie exakt in Szene gesetzte fotorealistische Filmprospekte: baufällige Wohnung. Bandentreff im Trümmerfeld. Schwarzmarktmilieu. In den Bars amerikanischer Way of Life. Daraus entstehen im Kopf der Leser zwar hin und wieder beeindruckend lebensnahe Bilder, meist aber agiert Paul in diesen Kulissen wie ein von einem Drehbuchautor entwickelter Vorzeigecharakter, an dem der Weg vom vernagelten HJ-Pimpf zum nachdenklichen Jugendlichen aufgezeigt wird. Die Autorin nimmt die Rolle einer personalen Erzählerin ein, die Pauls Entwicklung aus der beschränkten Perspektive seines Weltbilds und seiner Gefühle heraus beschreibt. Sie ändert nur ihren Blickwinkel, wenn sich ihr desorientierter Held in seinen Wahnvorstellungen zu verheddern droht. Dann gewährt sie der Stimme der Vernunft größeren Raum, in Form von Mahnungen einer etwas sensibleren Bandenfreundin. Trotzdem kommt einem der Charakter der Hauptfigur nie so nahe, dass man ihn als Persönlichkeit wahrnehmen wollte. Das weitaus Störendere sind jedoch die konstruierten Dialoge des Romans, die an das Gesprächsniveau mancher Vorabend-TV-Serie erinnern. Vor allem aber verhindert der hölzerne, nicht selten auch unbeholfen wirkende Erzählstil jeden literarischen Fluss: "Sein Körper war bis zum Anschlag mit hilfloser Wut gefüllt." Oder: "In Paul breitete sich ein Gefühl aus." Oder: "In seiner Brust klaffte eine Lücke, die er jetzt mit Kalbfleisch notdürftig stopfte."

Sarah Bergmann: Der Junge aus dem Trümmerland. Magellanverlag, Bamberg 2020. 240 Seiten, 15 Euro.

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Quelle:
SZ vom 29.06.2020
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