Jugendroman:Der Lauf der Dinge

Ein blindes Mädchen versucht, seinen Weg zu finden, trotz ihrer Behinderung und trotz zahlreicher Familienkatastrophen. Süffig erzählt.

Von Antje Weber

Am liebsten läuft sie in einer alten Armeejacke herum, die mit Stickern übersät ist. Die haben ihr Freunde geschenkt, mit Sprüchen wie "Ja, ich bin blind. Krieg dich wieder ein!" oder "Parker Grant braucht keine Augen, um dich zu durchschauen". Damit ist schon ziemlich viel über die 16-jährige Parker gesagt: Sie ist blind, ja, doch sie wehrt sich regelrecht kratzbürstig gegen alle Anflüge von Mitleid ihrer Mitmenschen. Sie gibt sich unkonventionell, trägt zur Armeejacke auch gern mal eine Augenbinde mit Kamikaze-Aufdruck. Sie hat gute Freunde, die sie unterstützen. Und sie ist schlau: Zusammen mit ihrer besten Freundin Sarah hat sie an ihrer Highschool sogar eine morgendliche Psycho-Beratung eingerichtet. Sehr hellsichtig und schonungslos kommentiert die Blinde dabei die Liebesprobleme ihrer Mitschülerinnen.

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Eric Lindstrom: Wie ich dich sehe. Aus dem Englischen von Katarina Ganslandt. Carlsen Verlag, Hamburg 2016, 349 Seiten, 16,99 Euro.

Parker Grant ist also alles andere als ein Opfer, obwohl der US-amerikanische Autor Eric Lindstrom ihr in "Wie ich dich sehe" einen gewaltigen Haufen Probleme angedichtet hat. Parker ist nämlich nicht nur blind, sondern auch noch Vollwaise: Ihre Mutter starb bei jenem Autounfall, bei dem die damals Siebenjährige erblindete, und der geliebte Vater lag erst kürzlich tot im Bett. Die Tante ist daher mit ihrer Familie ins Haus von Parker gezogen, damit sich nicht sämtliche mühsam einstudierten Wege für das Mädchen ändern. Das neue Zusammenleben mit den Verwandten funktioniert, man ahnt es, auch noch nicht richtig reibungslos. Und selbst was Liebesprobleme angeht, hat Parker ihr eigenes Päckchen, ja eigentlich Riesenpaket zu tragen.

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Buch stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Dass die Jugendliche vor all den Schwierigkeiten am liebsten weglaufen würde, kann man nur zu gut verstehen. Tatsächlich rennt Parker jeden Morgen mutig alleine durch die Straßen und sprintet mit ausgestreckten Armen über eine Wiese. Da sie dies alles als Ich-Erzählerin beschreibt, bekommt man einen guten Eindruck der Alltags-Hürden für Blinde, ohne sich belehrt zu fühlen. Dieses süffig zu lesende Buch will das Gegenteil erreichen: Lindstrom zeichnet Parker als sehr normale junge Frau, die in jeder Hinsicht ihren Weg finden muss. Pointierte Dialoge zeigen sie und ihre sehenden Freundinnen als lebenslustiges und schlagfertiges Gespann. Auch das Leben der Freundinnen ist dabei nicht nur einfach, wie man nach und nach merkt; dass Parkers neue Schulbegleiterin Molly zum Beispiel tatsächlich mollig ist und im Übrigen schwarz, erfährt man wie die blinde Protagonistin erst später - und stellt mit ihr zusammen fest: Wichtig sind andere Dinge.

Zum Beispiel, wie sehr Freunde einander beistehen. Denn irgendwann bricht die vermeintlich so starke Parker, die ihre Trauer um den Vater und um eine unglückliche Liebe zusammengeklappt und weggesteckt hat wie einen Blindenstock, dann eben doch zusammen. Und auf einmal wird dieser Roman zusammen mit seiner Heldin ziemlich emotional, gar ein wenig zu gefühlvoll. Doch das stört nicht, denn zu diesem Zeitpunkt ist die Leserin längst bereit, Parker Grant und ihrer Geschichte sozusagen blind zu folgen. Sie ist sogar versucht, als Fazit den berühmten Kleinen Prinzen zu zitieren: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Für einen Sticker auf Parkers Armeejacke wäre der Spruch aber echt zu uncool. (ab 14 Jahre)

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