Jugendliteratur:Gratwanderung der Gefühle

Pubertät in einer teuren Privatschule _ Wie steht Jemima das durch? In dem sie Dinge tut, von denen ihr abgeraten wird.

Von Roswitha Budeus-Budde

"Sehr erfreut, sie kennenzulernen." Die 18jährige Jemima begrüßt am Eingang ihrer Highschool in Virginia die älteren Gäste, die als ehemalige Schüler verantwortlich waren für die Abschlussbälle. In diesem Jahr gehört sie, als Jahrgangsbeste, zu dem Team, das das Schuljamboree und den Prom, den Ball organisieren muss. Zusammen mit dem Schulsprecher Andy - den sie heimlich als Arsch bezeichnet, aber sexy findet - und Gennifer, dem angesagtesten Mädchen der Schule. Von deren Dominanz als "perfektes amerikanisches Mädchen" fühlt sie sich eingeschüchtert. Doch gerade rettet Gennifer sie davor, an den älteren männlichen Besuchern, von denen sie sich ungehörig begafft fühlt, ihre Wut auszulassen, und ihrem Ruf als fanatische Feministin gerecht zu werden.

Kate Hattemer scheint immer noch wütend über die eigene Schulzeit zu sein

Sie kämpft für die Gleichberechtigung an ihrer teuren Privatschule, nachdem diese, ursprünglich eine traditionelle Jungenschule, mit der benachbarten Mädchenschule zusammengelegt worden war. Haben sich jetzt die Rollen wirklich geändert?

Die Autorin Kate Hattemer lässt in "Der Masterplan der letzten Chancen" ihre Protagonistinnen bald erkennen, dass gesellschaftliche Traditionen zäh sind. Die Jungen haben Erfolg mit Coolness und Sport und die Mädchen arbeiten an ihrem "guten" Ruf, an ihrer sozialen Stellung als Erwachsene. Dieses traditionelle Happy End der Anpassung, Thema vieler amerikanischer Collegeromane, findet sich nicht bei Kate Hattemer. Sie scheint immer noch wütend über die eigene Schulzeit zu sein und, inspiriert von den feministischen Schriften von Ngozi Adichie, Raxane Grey, Lindy West und Naomi Wolf - die sie im Nachwort erwähnt - gibt sie Jemima, ihrer Heldin alle Chancen, ihre Aggressionen auszuleben, "Dinge zu tun, von denen ihr abgeraten wird". Sie tritt auf als Nerd und Außenseiterin, überspielt damit, dass sie eigentlich nichts als unsicher und pubertär ist. Selbstkritisch beobachtet sie, wie sie in die Sexszenen mit Andy rutscht. Unter wahrer Liebe stellt sie sich etwas anderes vor, wird aber immer wieder von ihm angezogen und ist gleichzeitig fassungslos über sich selbst. Diese Gratwanderung der Gefühle, typisch für die wilde Zeit der Pubertät, drückt sich in den Dialogen zwischen den Jugendlichen in einer rebellischen, drastischen, altersgemäßen Sprache aus. Die von Ingo Herzke sehr empathisch ins Deutsche übertragen wurde.

Immer besteht bei Jemima die Möglichkeit der sozialen Abstürze, weil sie sich mit ungewöhnlichen Aktionen ins Aus katapultiert. So führt ihre Idee, die Tradition der Partnerwahl beim Abschlussball zu unterlaufen, - nicht nur die Jungen, sondern auch die Mädchen sollen inkognito auf einer verschlüsselten Internetplattform ihre Wunschpartner und Partnerinnen angeben - zu einer Erschütterung des Schulfriedens. Die Liste , eigentlich anonym wird veröffentlicht und ihr die Schuld dafür zu geschoben. Doch der sehr liebevolle Bruder und die beste Freundin, die viel geerdeter ist als sie,helfen ihr und die Erkenntnis, dass Frauenpower manchmal da stattfindet, wo man sie gar nicht erwartet. "Das war die Freiheit, die ich mein Leben lang gewollt hatte. Ich konnte reden oder singen oder den Mund halten, was auch immer ich wollte" (ab 14 Jahre)

Kate Hattemer: Der Masterplan der letzten Chancen. Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Carlsen 2021. 300 Seiten, 14 Euro.

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