Jugendkriminalität und Intoleranz:"Durchgeknallter Dschungel-Tarzan"

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Weil er in seinem Videoblog von besserwisserischen Rentnern spricht, die Ausländern das Leben zur Hölle machen, wird Jens Jessen von der Zeit zum Hassobjekt.

Lothar Müller

An diesem Mittwoch bekam die Redaktion des RTL-Dschungelcamps Post vom Bild-Kolumnisten Franz Josef Wagner: "Da Eure Show im Urwaldsumpf der Langeweile zu versinken droht, würde ich gern Jens Jessen, den Feuilleton-Chef der Zeit, bei Euch einweisen lassen. Der Mann hat den Unterhaltungswert eines durchgeknallten Dschungel-Tarzans."

Jens Jessen sorgt sich in seinem Videoblog um die Intoleranz des deutschen Spießbürgers. Im Hintergrund: Lenin. (Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Das war noch eine der milderen unter den Invektiven, denen Jessen in Websites wie "Politically Incorrect", aber auch in Leserbriefen an die eigene Zeitung ausgesetzt ist, seit er in einem Videoblog vom 11. Januar 2008 zur Debatte um das Gewaltpotential ausländischer Jugendlicher Stellung genommen hatte.

Jessen hatte darin von dem gewalttätigen Angriff zweier Jugendlicher türkischer und griechischer Herkunft auf einen Rentner in der Münchener U-Bahn als von einer " zweifellos nicht entschuldbaren Tat" gesprochen, zugleich aber die Frage gestellt, "ob es nicht auch zuviel besserwisserische deutsche Rentner gibt, die den Ausländern hier das Leben zur Hölle machen. Und vielen anderen Deutschen auch. Mit anderen Worten: Ich glaube, die deutsche Gesellschaft hat nicht so sehr ein Problem mit ausländischer Kriminalität, sondern mit einheimischer Intoleranz."

Damit hatte er seiner Ermahnung einen schlechten Dienst getan, man solle in der Erregung über die Gewalttaten ausländischer Jugendlicher weder die von Deutschen verprügelten Ausländer noch die "Atmosphäre der Intoleranz" innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft übersehen. Denn nun konnte er so verstanden werden, als wolle er gewalttätige Attacken wie die auf den Münchner Rentner bagatellisieren.

Am Dienstag dieser Woche hat Jessen in der Online-Ausgabe der Zeit eingeräumt, "dass ich mich unklar ausgedrückt habe" und präzisiert: "Wenn es überhaupt stimmt, dass es eine latente oder sogar virulente Gewaltbereitschaft unter ausländischen Jugendlichen gibt, die die ihrer deutschen Generationsgenossen übersteigt, dann lohnt es sich, die Ursachen zu verstehen; aber dieses Verstehen heißt nicht zugleich rechtfertigen."

Diese in Schriftform verfasste Differenzierung wird den Hohn, die Häme, die verbalen Gewaltandrohungen und Verwünschungen, die der Printjournalist Jessen mit seinem Videoblog auf sich gezogen hat, nicht stoppen. Seit Tagen steht der Blogeintrag auch in Youtube. Ein Blog ist ein Bildmedium, das sehr viel mehr enthält als den Text, den der Darsteller spricht. Und weil in seinem Redaktionsraum ein Bild von Lenin an der Wand hängt, ist dem Autor Jessen einer jener medial erzeugten Doppelgänger zugewachsen, die ihr Publikum wahlweise amüsieren oder skandalisieren.

Seinen Lesern als unverbesserlicher bürgerlicher Liberaler bekannt, ist Jessen in dieser Doppelgänger-Gestalt zum Leninisten mutiert. Auf der Website "Politically Incorrect" wird dieser beschrieben: "Der Cordanzug spannt über dem Bierbauch, das schüttere Haar ist ergraut. An der Wand der Massenmörder Lenin in einsamer Denkerpose. Das Bild könnte er aus Honeckers Nachlass ergattert haben. Man kann sich keine bessere Karikatur der Unbelehrbarkeit einer 68er Witzfigur ausdenken."

Schon der denunziatorische Stil dieser Bildbeschreibung lässt aufhorchen. Vollends gibt sie sich als Infamie zu erkennen, liest man Jessens Erläuterung zur Herkunft seines Lenins: "Das Bild stammt aus der Parteileitung der Universität Leipzig, allwo es einige tapfere Studenten in der Wendezeit geplündert haben, als sie nach Stasi-Spitzelakten suchten. Einer von ihnen hat es mir später in Anerkennung meiner publizistischen Unterstützung der Stasi-Enttarnungen geschenkt."

Die Debatte über das Gewaltpotential ausländischer Jugendlicher bleibt weiter zu führen. Dass es in Deutschland jene Atmosphäre aggressiver Intoleranz gibt, von der Jens Jessen in seinem Videoblog spricht, ist durch die Reaktionen zahlreicher Deutscher auf diesen Blog erwiesen.

© SZ vom 17.1.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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