Jugendbuch:Treffpunkt Neptunbrunnen

Für zwei Jugendliche ist der Mauerfall die letzte Chance für ihre Liebe, denn das Mädchen, inzwischen in Westberlin, hat noch kaum Kontakt zu ihrem Freund im Osten der Stadt. Bis zum 9. November.

Von Hilde Elisabeth Menzel

Dorit Linke ist in Ostdeutschland aufgewachsen. Als die Mauer fiel, war sie 18 Jahre alt, hatte den politischen Wandel in der DDR bewusst miterlebt und an Demonstrationen der Bürgerbewegung im Herbst 1989 teilgenommen. Wenn sie hier in einem schmalen Bändchen sehr lebendig von den historischen Ereignissen des 9. Novembers und der besonderen Situation ihrer beiden verliebten Protagonisten erzählt, schwingt viel Autobiografisches mit, und es gelingt ihr, Zeitgeschichte authentisch und ungemein lebendig an ihre jungen Leserinnen und Leser zu vermitteln.

Als ihre Heldin Nina am Abend des 9. November 1989 in Westberlin von ihrer Schwester Katrin vor den Fernseher gezerrt wird, kann sie nicht fassen, was sie da sieht. Offenbar haben die Grenzbeamten, völlig überrumpelt von den Ereignissen und ohne klare Anweisungen, die Grenzübergänge geöffnet, und nun strömen überall in Berlin die Menschen in den Westen.

Nina beschließt, den entgegengesetzten Weg zu gehen, um ihren Freund Lutz jenseits der Mauer zu finden, der vielleicht noch gar nichts von den Ereignissen mitgekriegt hat. Ohne ihre Eltern zu informieren, stiehlt sie sich zusammen mit ihrer Schwester aus dem Haus und macht sich auf den Weg nach Ostberlin.

Ninas Familie lebt erst seit Kurzem in Westberlin. Ihre Eltern hatten eine Ausreisegenehmigung beantragt, und als sie dann ganz plötzlich ausreisen durften, konnte Nina sich nicht von ihrem Freund Lutz verabschieden, für beide ein Trauma, denn sie hatten sich bei ihrem letzten Treffen gestritten und konnten sich nicht mehr versöhnen. Zum Glück gibt es Herrn Sanders, einen alten Nachbar von Lutz, über den Nina Briefe an ihn schickt, und so können sie weiter in Kontakt bleiben.

Lutz, der seine Sicht der aufregenden Ereignisse des 9. November abwechselnd mit Nina erzählt, will sofort über die Grenze zu seiner Freundin. Doch sein linientreuer Vater schließt ihn in seinem Zimmer ein, was Lutz nicht aufhalten kann. Mithilfe eines Stemmeisens bricht er die Tür gewaltsam auf und rennt zum Grenzübergang, wo sich schon eine große Menge Menschen drängt, die in den Westen wollen.

Abwechselnd erzählen die beiden nun, wie sie in entgegengesetzter Richtung zueinanderstreben und sich natürlich verpassen. Zum Glück sind sie sich noch so nahe, dass sie gleichzeitig die Idee haben, zum sogenannten Neptunbrunnen zu gehen, ihrem Treffpunkt von einst. (ab 13 Jahre)

Dorit Linke: Wir sehen uns im Westen. Carlsen Clips (1841), Hamburg 2019. 104 Seiten, 4,99 Euro.

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