Süddeutsche Zeitung

Jugendbuch:Im Getümmel von Hass und Provokation

Nachdenken über Hater, Populisten und Querdenker. Damit Jugendliche später selbst entscheiden können.

Von Hubert Filser

Anlässe für dieses Buch gibt es viele. Sogenannte Querdenker, die ohne Maske und Abstand für Demokratie demonstrieren. Hater in Internetforen, die ohne Klarnamen andere diffamieren, Populisten, die ihre Lügen und Fake News ohne Hemmungen weiterverbreiten. Die Missstände lassen sich schnell beschreiben, sie zu ändern und ein anderes Denken zu befördern ist da schon schwieriger. Genau hier setzt Jörg Bernardys neues Buch "Ich glaube, es hackt!" an. Der Hamburger Autor und Philosoph widmet sich den "dunklen Seiten" des menschlichen Wesens und der Gesellschaft, aber nicht als moralischer Mensch, der sich quasi von leicht erhobener Warte aus längst eine Meinung zu den aktuellen Fehlentwicklungen gebildet hat. Er begibt sich mitten hinein ins Getümmel der aktuellen medialen Diskussionen um Wahrheit und Lüge, um Hass und gezielte Provokation, und damit auf Augenhöhe mit seinen jugendlichen Leserinnen und Lesern.

"Wir alle lügen, provozieren, verarschen, haten und manipulieren manchmal", schreibt Jörg Bernardy im Vorwort. Nur warum tun wir das? Es scheint, als würden derzeit viele gesellschaftlichen Regeln und Werte auf den Prüfstand gestellt. Wir leben in Zeiten von Tabubrüchen, genau diese Umbruchsituation analysiert er, sortiert dabei in sechs Kapiteln gesammelte Dilemmata aus Alltag, Politik, Medien und Geschichte nach bestimmten Verhaltensmustern. Fragt, warum wir in bestimmten Situationen eben lügen, provozieren, haten oder manipulieren. Sein Buch basiert dabei auf einem einfachen Prinzip: Fragen zu stellen ist der effektivste Weg, um Antworten zu finden. Das ist durchaus klug gedacht. Wer sich mit einer Frage beschäftigt, fängt an nachzudenken.

Im Idealfall zumindest. Das scheint auch Bernardy klar zu sein. Also versucht er, die Einstiegshürden niedrig zu halten, und behält dabei seine medial eher an kleinere Häppchen gewöhnte Zielgruppe im Auge. Er erklärt Begriffe knapp und einfach, findet aktuelle Beispiele, gibt den Jugendlichen überraschende, alltagsnahe Gedankenexperimente mit auf den Weg. Im Kapitel "Provozieren" über Tabus beschreibt er zunächst den tieferen evolutionären Sinn von Tabus, erzählt dann anhand von Beispielen von gezielten Tabubrüchen, etwa vom Anatom Gunther von Hagens, der in seiner Ausstellung "Körperwelten" plastinierte Leichen in provokanten Posen zeigte, beim Schachspielen, beim Sport, beim Sex. Oder vom Video "Die Zerstörung der CDU" des Youtubers Rezo, das millionenfach geklickt wurde. Solche Beispiele nutzt Bernardy dann für die Fragen, ob man wirklich alles tolerieren müsse und wo die Grenzen liegen. Er will seine Leser mit dem nötigen Handwerkszeug ausstatten, um an den wichtigen Diskussionen teilnehmen zu können. Bernardy setzt dabei auf einen Dreiklang aus Informationen, den richtigen Fragen und der grundlegenden Erkenntnis, dass man manchmal auch lernen muss, Widersprüche auszuhalten, um den wahren Kern eines Problems zu erfassen. Natürlich weiß auch der Hamburger Autor nicht, ob die Jugendlichen seine Anregungen aufnehmen werden, das ist ja das Problem vieler gut gemeinter Bücher. Doch Bernardy, und das ist eine große Qualität des Autors, traut es seinen Lesern schlicht zu, dass sie sich interessieren, dass sie eben keine von Smartphones und Onlinespielen abgestumpfte Generation bilden, dass sie nicht nur Meinungen haben, sondern eine echte Haltung entwickeln können. Er hält sie nicht für unfähig oder gleichgültig, was die aktuellen Fehlentwicklungen der Gesellschaft und vor allem der digitalen Medien betrifft. Stattdessen gibt er ihnen einfach ein bisschen Rüstzeug für die Zukunft mit, das ihnen hilft zu lernen und Fehler, auch eigene, zu erkennen.

Die Mischung aus Erklärungen, Beispielen und Gedankenexperimenten mag bei der einen oder anderen großen Frage nicht ausreichen, das würde so ein kleinteilig angelegtes Buch wohl auch überfordern. Doch die Richtung stimmt. Und so liefert Bernardy am Ende sogar auf die Frage, warum sich die Jugendlichen mit all dem beschäftigen sollten, noch eine simple Antwort: Weil sie nur so später selbst mitentscheiden können, wie man in einer modernen Gesellschaft mit Querdenkern, Hatern, Populisten umgehen soll.

(ab14 Jahre)

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SZ vom 04.06.2021
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