Jürgen Vogel über "Stereo":"Diese Spießigkeit fühlt sich nicht kitschig an"

"Endlich Action!", jubelt die Kritik über den neuen Film mit Moritz Bleibtreu und Jürgen Vogel, in dem der eine des anderen dunkles Alter Ego spielt. "Stereo" kommt nun in die Kinos. Ein Gespräch mit Jürgen Vogel über die Spießigkeit von Actionfilmen und Wendepunkte in seinem Leben.

Von Ruth Schneeberger

Erik scheint ein herzensguter, fröhlicher und liebevoller Mensch zu sein: Friedlich schraubt der Mechaniker in einer dörflichen Werkstatt an seinen Fahrzeugen herum, nach Feierabend fährt er nach Hause, zu seiner blondbezopften Freundin mit Kind. Aber wer ist dieser unheimliche Typ, der sich in sein Leben drängt?

An diesem Donnerstag kommt der Film "Stereo" ins Kino, der mit diversen Paukenschlägen aufwartet: Zum ersten Mal spielen Moritz Bleibtreu, 42, und Jürgen Vogel, 46, zwei der beliebtesten deutschen Schauspieler, nebeneinander in einem Film: beide Hauptrollen. Zudem ist es ein Actionthriller - ein Genre, in dem das deutsche Kino bisher nicht gerade gut bestückt war. Dementsprechend hungrig ist das Publikum; in diversen Filmforen überschlagen sich vor allem männliche Filmfans, die den Film vorab gesehen haben, vor Lob. "Endlich Action!" titelt auch das Hauptstadtmagazin Zitty - und erklärt "Wie Moritz Bleibtreu und Jürgen Vogel den deutschen Film aufmischen". Aber es geht nicht nur um Action, sondern auch glaubhaft um Psychologie - und ein bisschen um Parapsychologie.

Regisseur Maximilian Erlenwein, 38, Max-Ophüls-Preisträger ("Schwerkraft"), erklärte zur Premiere in München, dass er "Mein Freund Harvey" mit James Stewart gesehen und sich gedacht habe: "Was, wenn der Hase nicht gut, sondern böse wäre?" Auf den ersten Blick spielt Bleibtreu diesen bösen Hasen, der Vogel (im Film: Erik) ständig verfolgt. Doch am Ende ist, ohne zu viel zu verraten, vieles anders als gedacht. "Alle in dem Film sind Mono", verrät der Regisseur, "außer Erik, der ist Stereo." Und nach viel Spannung und Kampf, körperlichem wie psychischem Leid, steht doch eine - zerstörte - Vision am Ende: die der heilen Familie. Ist das, bei allem gelungenen Actionspektakel, nicht eine arg konservative Botschaft für einen wie Jürgen Vogel, der sich sonst nicht gerade angepasst gibt?

SZ.de: Herr Vogel, lassen Sie uns über Spießigkeit reden.

Jürgen Vogel (lacht): Wieso über Spießigkeit?

Naja, ich fand den Film zwar insgesamt sehr spannend und unterhaltsam. Aber was am Ende inhaltlich transportiert wird, ist doch der Traum vom Eigenheim, von Sicherheit, Familie und dem trauten Zuhause, das immer von außen bedroht wird.

Aber jemand, der so etwas erlebt hat wie die Hauptfigur, für den sind das keine spießigen Träume.

Trotzdem transportiert der Film genau diese Werte, obwohl er ganz anders verpackt ist.

Ich glaube, dass es um etwas anderes geht. Viele haben irgendwann in ihrem Leben, manche in der Mitte, dieses starke Gefühl der Endlichkeit. Dass es irgendwann zu Ende gehen könnte mit einem. Da erleben viele Menschen plötzlich so einen Punkt, an dem sie ausbrechen. Viele finden dann auch ihre eigentliche sexuelle Bestimmung, ihren Fetisch. Oder sie trauen sich, zu ihren Fantasien zu stehen und das auszuleben, wovor sie eigentlich immer Angst hatten. Das kann eben auch die eigene Familie sein. Und plötzlich trauen sie sich auch, das auszusprechen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Handelt der Film auch davon?

Ich glaube, er handelt nicht davon, aber wahrscheinlich ist deswegen auch eine große Bereitschaft da bei vielen Leuten, sich auf diesen Trip mit zu begeben. Weil man schon ahnt, dass das vielleicht ein Zustand ist, den man verstehen kann. Selbst die Spießigkeit in diesem Fall kann man nachvollziehen. Sie fühlt sich nicht kitschig an, sie ist glaubhaft homogen.

Inwiefern homogen?

Genauso ist es doch mit der Gewalt in diesem Film. Wenn man der Geschichte folgt, ist sie verständlich, man versteht, dass Erik sich wehrt. Das ist nicht wie in einem Splattermovie, sondern figurenbezogen und verständlich. Deshalb hat man die Bereitschaft, da mitzugehen.

"Ich würde nichts anders machen"

Am Ende ist alles verständlich, klar. Ein bisschen absurd fand ich allerdings die Szene mit der Hexe und dem blinden Greis, als sie Erik in ihrer psychedelischen Wohnung mit Nadeln bestückt.

Hexe ist gut. Das ist eine Geistheilerin.

Okay, eine weiße Hexe.

Ich glaube, da wird der Film auf eine andere Ebene gehoben, und für viele funktioniert das. Das ist natürlich Geschmackssache. Die Szene spielt mit der Bereitschaft, zu erkennen, dass da noch etwas sein muss zwischen den Dingen, das nicht mit der Realität zu tun hat. Diese Figur ist jemand, der Zugang zu diesem psychischen Zustand der Hauptfigur hat oder zu Schizophrenie, der mit Hypnose arbeitet oder eben Nadeln. Und der alte Mann ist ihr Mentor, der sie warnt, um Spannung zu erzeugen. Ich mochte das sehr. Und ich fand, dass Valery Tscheplanowa das großartig gespielt hat. Das hätte auch ganz schlimm sein können, aber sie hat das so toll gemacht, in dieser Hysterie, das war eigentlich gar nicht geplant. Aber weil sie das so intensiv gespielt hat, hat sich das auch bei den anderen richtig angefühlt. Ich fand das eine angemessene Stelle in dem Film, wo man sagen kann: Okay, ich gehe jetzt mit - oder ich steige aus. Es ist schon gut, diese Herausforderung zu haben.

Wenn Sie jetzt, wie Erik, die Gelegenheit bekommen würden, Ihr Leben komplett neu aufzustellen: Würden Sie es genauso machen wie bisher?

Kann man das wirklich beantworten, ohne dass man sich lächerlich macht?

Sie haben die Wahl.

(Lacht:) Ja, ich weiß. Das ist das Schöne an solchen Gesprächen. Eigentlich muss man sagen: Nein, ich würde nichts anders machen. Alle Fehler, die man macht, muss man gemacht haben. Aus denen habe ich mehr gelernt als aus Dingen, die ich richtig gemacht habe. Beziehungsweise vermeintlich richtig - wenn man überhaupt irgendetwas richtig machen kann. Weil man sowieso immer irgendetwas falsch macht. Je nach Perspektive, aus der man sich beobachten lässt - oder selbst beobachtet.

Sie haben die Schauspielschule in München besucht. Warum nur für einen Tag?

Weil ich ganz schnell gemerkt habe, dass man da für Theater und Fernsehen ausgebildet wird, aber ich wollte immer schon Kino machen. "Taxi Driver", solche Sachen, als ich diesen Film gesehen habe, wusste ich, dass ich Schauspieler werden will. Ich bin dann erst mal nach Berlin, mit Richy Müller in eine WG gezogen. Das war alles kein Fehler. Tendenziell war alles, was ich gemacht habe, ganz doll ich. Die Frage ist vielmehr, ob man sich selber wieder neu erfinden sollte, ab einem bestimmten Alter.

Sie wollen sich nochmal neu erfinden?

Ja. Aber nicht, weil irgendetwas, was ich mal gemacht habe, falsch war. Sondern um einfach so viel wie möglich rauszuholen aus der Zeit, in der ich lebe. Und um eine andere Perspektive einzunehmen.

Sind Sie in dem Alter? Oder woran erkennt man, dass man in dem Alter ist?

Ich glaube, ich habe das schon öfter in meinem Leben gemacht. Die Frage ist, wann der nächste Zeitpunkt ist. Ich ahne schon, das dauert noch sehr lange. Aber der wird schon kommen. Wahrscheinlich, wenn mein letztes Kind wirklich erwachsen ist. Dann kommt nochmal so ein Punkt des Loslassens.

Kinostarts - 'Stereo'

Da ist noch alles heile Welt: Jürgen Vogel mit Petra Schmidt-Schaller in "Stereo".

(Foto: Stephan Rabold/dpa)

Jürgen Vogel wurde 1968 in Hamburg geboren als Sohn eines Kellners und einer Hausfrau. Er arbeitete früh als Kindermodel, später in diversen Jobs, besuchte für einen Tag die Schauspielschule in München und zog 1985 nach Berlin, in eine WG mit dem Schauspieler Richy Müller. Der Durchbruch gelang ihm 1992 mit Sönke Wortmanns Film "Kleine Haie". Zu seinen bekanntesten Filmen gehören "Nackt" (2002) und "Die Welle" (2008). Für seine herausragende künstlerische Gesamtleistung als Schauspieler, Ko-Autor und Ko-Produzent des Films "Der freie Wille", in dem er einen Vergewaltiger spielt, wurde er 2006 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet; den Deutschen Filmpreis als bester Hauptdarsteller erhielt er 1997 für "Das Leben ist eine Baustelle". Seit 1985 hat Vogel in etwa 100 Filmen mitgewirkt, war Comedian in der "Schillerstraße" und gründete 2005 die "Hansen Band" für den Film "Keine Lieder über Liebe". Er ist fünffacher Vater und lebt in Berlin.

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