Philosophie:H wie Habermas

Habermas

Jürgen Habermas, Philosoph und Soziologe, in seinem Garten am Starnberger See.

(Foto: Regina Schmeken)

Wie nähert man sich einer menschgewordenen Institution? Die Zeitschrift für Ideengeschichte versucht es.

Von Lothar Müller

Individuen stellen wir uns gerne als Widerpart, am liebsten als Sand im Getriebe der Institutionen vor. Was aber, wenn von herausgehobenen Figuren des öffentlichen Lebens gesagt wird, sie seien selber eine "Institution"? Dann stellt sich die reizvolle Aufgabe einer Institutionengeschichte der Person. Die "Zeitschrift für Ideengeschichte" versucht sich daran in ihrem aktuellen Heft unter der Überschrift "H wie Habermas" (Heft XV/3. Herbst 2021. 144 S., 16 Euro). Der Philosoph, der vor zwei Jahren 90 Jahre alt wurde, sei "längst die letzte, selbsterklärende stabile Institution" der Republik, schreiben die Herausgeber Stephan Schlak und Jens Hacke im Editorial.

Das Heft führt aber nicht auf die Flure der Großabteilungen wie "Kommunikation", "Diskursethik", "Glauben und Wissen" oder "Öffentlichkeit", sondern ins Archiv, vor allem in den Habermas-Vorlass der Frankfurter Universitätsbibliothek, aber auch in die Suhrkamp-Bestände des Deutschen Literaturarchivs in Marbach. Viele Fundstücke sind faksimiliert, alle mit knappen, höchstens zwei Druckseiten umfassenden Kommentaren versehen. Die Geschichte der Institution "Habermas" entsteht aus dem Zusammenspiel von Archiv als Quelle und Anekdote als Darstellungsform. Fast alle Dokumente entstammen dem Zeitraum zwischen den frühen Fünfzigerjahren und dem Erscheinen der "Theorie des kommunikativen Handelns" (1982), beginnend mit der Schülerzeitung Schwarz-Weiß des Städtischen Gymnasiums Gummersbach vom 1. Februar 1951. Der Absolvent Jürgen Habermas, inzwischen Student in Bonn, antwortet darin unter dem Titel "Ist unsere Generation modern?" auf einen Beitrag seines Vaters Ernst Habermas, Syndikus der Bergischen Industrie- und Handelskammer und ehemaliger Major der Wehrmacht. Chefredakteur der Schülerzeitung war zu diesem Zeitpunkt Hans-Ulrich Wehler, der künftige Sozialhistoriker.

Das Magazin zeigt Briefe, Artikel und Dokumente nicht gegangener Wege

Der angehende Akademiker Habermas war zunächst ein aufstrebender Journalist. Einer seiner spektakulärsten Auftritte war seine Rezension der Neuauflage von Heideggers "Einführung in die Metaphysik" am 25. Juli 1953 in der FAZ, die programmatische Titelformel "Mit Heidegger gegen Heidegger denken" trug dazu bei. Lorenz Jäger kommentiert den Brief, in dem der FAZ-Redakteur Karl Korn Habermas um Abmilderungen des Originalmanuskripts und Verzicht auf den Titel "Das faschistische Credo" ersucht.

Ernst-Wolfgang Böckenförde, Leo Strauss, Karl Löwith, der fast vergessene Emigrant George Lichtheim und etablierte Größen wie Hans Georg-Gadamer tauchen mit Briefen an Habermas auf, unter den Dokumenten der Habermas-Lektüre findet sich Peter Sloterdijk mit Exzerpten aus "Erkenntnis und Interesse" (1968) neben den intensiven Lesespuren in Carl Schmitts Handexemplar von "Philosophisch-politische Profile" (1971). Dokumentiert werden auch die nicht gegangenen Wege. Im Oktober 1975 lehnt Habermas in einem denkwürdigen Brief an Hannah Arendt das Angebot ab, ihr Nachfolger an der New School for Social Research in New York zu werden.

Den Fundstücken aus dem Archiv folgt ein Aufsatzteil. Darin dominiert - außer in Heinz Budes Bericht über die Lektüreerfahrung eines nachgeborenen Soziologen - das Interesse an Habermas als öffentlicher Figur. Christoph Möllers entwickelt unter dem Titel "Ach, Ästhetik!" eine interessante These. Sie besagt, dass diese öffentliche Figur aus der Mobilisierung ästhetischer Energien hervorging, die in den theoretischen Hauptwerken nur eine randständige Position einnehmen dürfen. Eine "Ästhetik des kommunikativen Handelns" habe Habermas nicht geschrieben, für die in seinem philosophischen Werk randständigen ästhetischen Normen gelte: "Die Kunst, die zu dieser Ästhetik passt, möchte man sich nicht vorstellen."

In den Aperçus, eingängigen Titeln und markanten Porträts des intervenierenden öffentlichen Intellektuellen hingegen findet Möllers federnde Eleganz und bilderreiche Anschaulichkeit: "polemisch, sprachgewaltig, metaphernfreudig, affektiv besetzt, namentlich zornig. Dieses Schreiben entsichert ästhetische Mittel, wo Argumente nicht mehr weiterhelfen". Alexander Cammann steuert zur Suche nach den ästhetischen Energien in der Institution Habermas einen Überblick über die Beziehungen des Philosophen zur zeitgenössischen Literatur bei.

Philosophie: Jens Hacke und Stephan Schlak (Herausgeber): Zeitschrift für Ideengeschichte Heft XV/3 Herbst 2021: H wie Habermas. C.H.Beck, München 2021. 144 Seiten, 16 Euro.

Jens Hacke und Stephan Schlak (Herausgeber): Zeitschrift für Ideengeschichte Heft XV/3 Herbst 2021: H wie Habermas. C.H.Beck, München 2021. 144 Seiten, 16 Euro.

Es nimmt für Institutionen ein, wenn sie mit sich selbst in Widerspruch geraten können. Die Institution Habermas wohnt nach wie vor im eigenen Haus am Nordwestufer des Starnberger Sees. Es wurde 1971 von Heinz Hilmer und Christoph Sattler errichtet. Die Porträt-Fotografien des Philosophen von Barbara Klemm und Isolde Ohlbaum in seinem weißen Kubus sind Teil der öffentlichen Figur. In seinem Bilder-Essay "Die absolute Form und die Geschichte" spürt der Architekturkritiker Niklas Maak den Beziehungen zwischen dem "Haus Habermas" und der Theoriebildung seines Bewohners nach und kommt zu dem Ergebnis, dass der Bau sehr viel mehr Elemente von Bricolage, Eklektizismus und "Nachmoderne" enthält, als die Aura des White Cube verspricht. Und dass die Lebenswelt die reine Form nicht unberührt lässt: Sie "hat sich nach einem halben Jahrhundert Bewohnung mit Bücherstapeln und anderen Ablagerungen des Lebens und Denkens gefüllt." Wer ist schon Herr im eigenen Haus? Dass auch die Institution Habermas es nicht ist, schmälert ihre Bedeutung nicht.

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