Süddeutsche Zeitung

Jürgen Habermas und die Emirate:"Sehr enttäuscht"

Die Debatte über Jürgen Habermas reißt nicht ab. Hätte er den Preis der Vereinigten Arabischen Emirate annehmen müssen?

Von Moritz Baumstieger

Es waren nur wenige Zeilen, die der Suhrkamp-Verlag vor einer Woche aussandte. Doch sie heizen bis heute Diskussionen in Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten an - und beschäftigen insbesondere jene, die sich im kulturellen Austausch zwischen beiden Ländern bewegen. Jürgen Habermas ließ am 2. Mai über seinen Verlag mitteilen, dass er auf den ihm zugedachten "Sheikh Zayed Book Award" verzichte. Seine Begründung: "Die sehr enge Verbindung der Institution, die diese Preise in Abu Dhabi vergibt, mit dem dort bestehenden politischen System habe ich mir nicht hinreichend klargemacht."

Die alte Streitfrage, ob man im kulturellen Austausch mit Ländern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten die Chancen höher bewertet, die ein Dialog verspricht, oder das Risiko, Autokraten bei der Verschleierung der wahren Natur ihrer Herrschaft zu helfen - hat Habermas mit seinem dürren Sätzchen recht spät, aber letztlich eindeutig beantwortet: Selbst für das eindrucksvolle Preisgeld in Höhe von 225 000 Euro hat der Philosoph keine Lust, der absolutistischen Monarchie am Golf bei der Imagepflege zur Hand zu gehen.

Die Emirate bewegen sich auf dem Freiheits-Index der Organisation Freedom House mit 17 von 100 möglichen Punkten etwa auf dem Niveau von Iran und Swasiland. Ganz offen versuchen sie, mit Investitionen in Kultur, Sport und Tourismus, ihre absolutistische Herrschaftsstruktur im Inneren und ihre teils aggressive Außenpolitik zu übertünchen.

Die dahinterstehende Soft-Power-Strategie kann man auf der Website des Staates nachlesen. Und dass Preise nicht nur den Preisträger, sondern auch den Stifter aufwerten, wussten schon viele Machthaber zu nutzen. Einige erinnern nun daran, dass ausgerechnet der libysche Diktator Muammar Gaddafi bis 2010 einen Menschenrechtspreis in seinem Namen verleihen ließ.

Berechtigte Absage - oder "cancel culture"?

Andere Kommentatoren wie der Autor und Übersetzer Stefan Weidner interpretieren "die Causa Habermas" hingegen als "Lehrstück für die moralische Überheblichkeit des Westens": Sie zeige, dass es Araber und Muslime der westlichen Welt nie recht machen könnten. Mit "cancel culture" bestrafe der Westen nun ein Land, das mit Israel Frieden schließe und eine Tauwetterpolitik am Golf mittrage und dieser Öffnung nun mit dem Preis für den hochgeachteten deutschen Philosophen ein "kulturelles Sahnehäubchen" aufsetzen wolle.

Die Kritik am Preis der Scheichs trifft vor allem jenen Mann, der sich zwischen Habermas und dem Golf am aktivsten engagiert hat: Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Preises. Aus der Berichterstattung des Spiegels, die Habermas' Sinneswandel wohl maßgeblich mit beeinflusste, konnte man herauslesen, dass sich der 91-Jährige von Boos überreden ließ: Natürlich sei er misstrauisch gewesen, wird Habermas zitiert, seine Informationen habe er "maßgeblich" von dem Literaturmanager erhalten.

In der Antwort auf eine Anfrage der SZ will Boos dies nicht ganz so stehen lassen. Er habe Habermas geschrieben, dass die Auszeichnung die Beschäftigung mit seinem Werk im arabischen Raum fördern würde, so Boos. "Er hat sich über den Preis informiert und sich nach einigen Tagen Bedenkzeit entschieden, ihn anzunehmen".

Dem Verdacht, dass hier ein prominentes Mitglied des deutschen Literaturbetriebes den Scheichs am Golf Geistesgrößen als Trophäen verschafft - und dafür womöglich ebenfalls fürstlich vergütet wird - tritt Boos entgegen: Die Frankfurter Buchmesse sei seit vielen Jahren in arabischen Ländern aktiv, "mit dem Ziel, die Akteure beider Welten zu vernetzen und Wissenstransfer zu ermöglichen". Die demokratischen Werte könne der Westen seiner Meinung nach "besser vertreten, wenn wir Präsenz zeigen, als wenn wir die Distanz größer werden lassen" - und ebenjene Präsenz zeige er im wissenschaftlichen Beirat des Sheikh Zayed Book Award ehrenamtlich: "Lediglich die Reisekosten werden vom Ausrichter des Preises übernommen."

Wenigstens ein Deutscher wird nun geehrt: Goethe

Die Ausrichter seien "sehr enttäuscht" über die Absage, berichtet Boos nun. Den kulturellen Austausch zwischen beiden Ländern sieht er allerdings nicht beschädigt. Wie stark die durch Habermas' Absage gestiegene Aufmerksamkeit für die repressiven Verhältnisse in den Emiraten auf die Stimmung schlägt, wird sich jedoch in zwei Wochen zeigen. Am 23. Mai startet die Abu Dhabi International Book Fair, deren Aufbau die Frankfurter Buchmesse und Boos lange mit begleitet haben - bei der 30. Jubiläumsausgabe ist Deutschland Ehrengast.

Wegen der Corona-Pandemie ist eine hybride Veranstaltung geplant, mit Veranstaltungen im Netz und verkleinertem Präsenzbetrieb. Am reduzierten deutschen Stand wird Habermas schon deshalb Thema sein, weil dort Stefan Weidner auftreten wird, der die Rückgabe des Preises kritisch sieht. Navid Kermani wird hingegen nur virtuell vorbeischauen, sagt Fareed Majari der SZ, der Leiter des Goethe-Institutes vor Ort. Negative Nachwirkungen der abgesagten Auszeichnung befürchtet er nicht.

Im deutschen Pavillon werde übrigens eine kleine Ausstellung zu sehen sein, die das dortige Goethe-Institut auf Wunsch der Gastgeber entwickelt hat, sagt Majari. Sie ehrt eine deutsche Geistesgröße, die sich als eine der ersten für den Orient und dessen Literatur interessierte, einen Band namens "West-östlicher Divan" schrieb und sich nebenbei mit der Macht ganz gut zu arrangieren wusste. Titel der Ausstellung ist "Johann Wolfgang von Goethe - Personality of the Year". Dass auch dieser Schriftsteller seine Ehrung verweigert, steht zumindest nicht zu befürchten.

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