Jüdisches Museum:Auseinanderdividiert

Schibbolet Jüdisches Museum

Das experimentelle Videoessay "Traces" der Künstlerin und Anthropologin Fiamma Montezemolo ist im Jüdischen Museum zu sehen.

(Foto: Bryan A. Chilian)

"Sag Schibbolet!": Eine Ausstellung über Grenzen

Von Jürgen Moises

"Wie Du sprichst, wird gegen Dich verwendet!" Dieser Satz stammt nicht aus einer erweiterten Rechtebelehrung, welche die Polizei neuerdings bei einem Ermittlungsverfahren anzuwenden hat. Stattdessen kann man ihn an der Wand im Jüdischen Museum lesen, in einer neuen Ausstellung, die an diesem Dienstag um 19 Uhr dort eröffnet wird. "Sag Schibbolet! Von sichtbaren und unsichtbaren Grenzen" heißt sie und verhandelt nicht zuletzt im Zuge der Europa-Wahlen ein höchst aktuelles Thema.

Denn ob Europa eine Festung wird oder ob man trotz zunehmenden Drucks am seit 1997 vertraglich festgelegten Schengen-Abkommen festhält: Auch das ist eine Frage, die in der in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Hohenems entstandenen Ausstellung auftaucht. Arbeiten von zwölf internationalen Künstlern hat der Kurator Boaz Levin dafür ausgewählt und sie in thematische Sektionen eingeteilt, die über drei Stockwerke hinweg unter anderem von Europa, von "Sprache und Grenzen", "(Un-)Natürlichen" und "Biometrischen Grenzen", von privatem und öffentlichem Raum oder auch von "Kapital und Arbeit" erzählen.

Der Satz "Wie Du sprichst, wird gegen Dich verwendet!" greift dabei indirekt den Titel "Sag Schibbolet!" auf und lässt sich zudem auf mehrere Arbeiten der Ausstellung beziehen. "Schibbolet", das ist das hebräisch Wort für "Kornähre", früher auch für "Strömung" oder "Fluss" . Und es wurde, wie man im Alten Testament (Richter 12, 5-6) nachlesen kann, von einem Heerführer der Gileaditer als eine Art "Akzent-Test" verwendet, um an den Furten des Jordans ephraemitische Eindringlinge von den eigenen Männern zu unterscheiden. Wer "Sibbolet" statt "Schibbolet" sagte, entlarvte sich als Eindringling und wurde getötet. 42 000 Ephraemiten fanden laut der biblischen Erzählung durch diesen Akzent-Test den Tod. Von diesem biblisch-jüdischen Hintergrund hat sich das Wort später gelöst, und seit dem 19. Jahrhundert steht es allgemein für einen Brauch, ein Prinzip oder einen Glauben, durch den eine bestimmte Gruppe identifizierbar ist.

Dass sich nicht nur das Wort, sondern auch das angewendete Akzent-Test-Verfahren erhalten und in der Anwendung erweitert hat, zeigt Caroline Bergvall mit ihrer Sound- und Sprach-Installation "Say Parsley". Deren Titel bezieht sich auf das "Petersilien-Massaker" von 1937, bei dem zehntausende haitianische Kreolsprecher den Tod fanden. Sie verrieten sich an der Grenze der Dominikanischen Republik dadurch, dass sie das spanische "Perejil" nicht mit rollendem "r" aussprechen konnten. In der aktualisierten Fassung der 2001 entstandenen Arbeit lässt sie eine Sprecherin regionale Varietäten des Deutschen verlesen und spielt damit mit der Vorstellung, wie es wäre, wenn der eigene Dialekt über Leben und Tod entscheidet.

Dass wie man spricht in der Tat über das persönliche Schicksal entscheiden kann, macht Lawrence Abu Hamdan in "Conflicting Phonems" zum Thema. Hamdan, der zur Kunst- und Rechercheagentur "Forensic Architecure" gehört, dokumentiert mit Schautafeln Methoden der Sprachanalyse, die zur Bestimmung der Herkunft von Asylsuchenden eingesetzt werden. Und indem er die Komplexität der dahinter stehenden Zusammenhänge aufzeigt, stellt er diese kritisch in Frage. Eine "Ironie der Geschichte" greifen Ryan S. Jeffery und Quinn Slobodian in ihrer Video-Installation "The Walls of the WTO" auf. Darin geht es um Gemälde, die im Centre William Rappard in Genf hängen und die Würde der Arbeit und des Arbeiters thematisieren. Die Ironie: Das Gebäude war einst Heimat der Internationalen Arbeiterorganisation (IAO), heute ist sie Hauptsitz der Welthandelsorganisation (WTO). Das heißt, dass hier auf engem Raum historisches Arbeiter-Ethos und moderner Finanzkapitalismus kollidieren.

Die Grenze zwischen den USA und Mexiko macht Fiamma Montezemolo in ihrem Videoessay "Traces" zum Thema. Mikael Levin hat in den 90ern stillgelegte Grenzkontrollstellen in Europa dokumentiert. Noch weiter zurück in die Geschichte greift Arno Gisinger mit seiner Foto-Installation "Schuss/Gegenschuss", die aus vier Perspektiven einen 1935 aufgestellten Grenzstein auf der Mittelinsel im Alten Rhein bei Hohenems zeigt. Genau an dieser Stelle überquerten im Nationalsozialismus zahlreiche jüdische Flüchtlinge die Grenze zwischen Österreich und der Schweiz. Deren Fluchterfahrungen werden parallel dazu an Hörstationen lebendig. Zu hören sind Zitate aus historischen Berichten und Briefen, die man genauso auch symbolisch für heutige Flucht- und Grenzerfahrungen sehen kann.

Sag Schibbolet! Von sichtbaren und unsichtbaren Grenzen, bis 23. Februar, Jüdisches Museum, St.-Jakobs-Platz 16

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