Süddeutsche Zeitung

Juden in Deutschland:Migrationserfahrungen

Thomas de Maizière und Salomon Korn, Vorsteher der Jüdischen Gemeinde, sprechen über Antisemitismus.

Von Volker Breidecker

So besonnen hätte man sich manch eine hysterische Debatte dieser Tage gewünscht. Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Salomon Korn, der Vorsteher der konflikterprobten Jüdischen Gemeinde in der Migrantenmetropole Frankfurt, sprachen am Dienstagabend über das Thema "Juden in Europa und Deutschland - sicher?" Das Fragezeichen hätte man gerne weggelassen - gäbe es nicht Grund zur Sorge. Die Veranstaltung war vor einem Jahr geplant worden, nach den Terroranschlägen von Paris, die sich auch gegen einen jüdischen Supermarkt gerichtet hatten; und schon im Vorjahr hatten, während des Gaza-Kriegs, judenfeindliche Übergriffe und Ressentiments in Deutschland zugenommen.

Jetzt, ein Jahr danach, hat sich nach den Zahlen, die de Maizière hat, zumindest die Statistik wieder verbessert. Die drängenden Probleme haben sich freilich verlagert, einerseits auf die zunehmende, auf alle Deutschen - auch auf die hier lebenden Muslime - zielende Terrorgefahr, andererseits auf die Flüchtlinge aus Ländern mit vorwiegend muslimischer Bevölkerung, denn von ihnen sind viele von Hause und Schule aus vom Hass auf Israel und vom Glauben an eine "jüdische Weltverschwörung" geprägt. Aber es ist noch vertrackter: Die Ankunft von Fremden in Deutschland löst wiederum bedrohliche Reaktionen zunächst am rechten Rand der Gesellschaft aus, die auch schon wieder in die Mitte vordringen und diese zu radikalisieren drohen, was am Ende zu neuen Gefährdungen jüdischen Lebens in einem Land führen könnte, in das der Antisemitismus mitnichten erst importiert werden muss.

Ein Kunststück, da noch einen differenzierenden Überblick zu behalten und die vielen von Phantomängsten und Reizthemen um Muslime und Migranten, Geschlecht und Gewalt, Sex und Religion belasteten Probleme nüchtern auseinanderzudröseln, sie ihres Beziehungszaubers und aller Verknüpfungszwänge zu entkleiden, statt sie wie vielerorts zu einer einzigen trüben Suppe zu verrühren. Eben dieses Kunststück gelang Korn und de Maizière bei ihrem Podiumsgespräch vor großem Publikum.

Dieser Abend in Frankfurt zeigte: Offenbar könnten die Deutschen ebenso wie die Neuankömmlinge aus anderen Ländern und Kulturen noch manches von den Juden lernen. Denn unauslöschlich sind ihren Familiengedächtnissen die Erfahrungen von Verfolgung und Flucht, von Migration und Integration eingeschrieben. Lernen kann man auch von jener humanen wie ironischen Skepsis, die zwei ältere Damen nach dem Ende der Veranstaltung im Foyer an den Tag legten: "Und, fühlst du dich jetzt wieder wohler?" Frage wie Antwort gingen da in herzhaftem Lachen unter.

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Quelle:
SZ vom 21.01.2016
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