"Judas and the Black Messiah" im Kino:Wenn der Staat dich hasst

Lesezeit: 3 Min.

Daniel Kaluuya bekam für seinen Auftritt als Fred Hampton, dem Black-Panther-Chef von Chicago, in "Judas and the Black Messiah" einen Oscar. (Foto: Imago/Warner)

Die Vorgeschichte zu "Black Lives Matter": Der Thriller "Judas and the Black Messiah" erzählt von der Black-Panther-Revolution.

Von Andrian Kreye

Es gibt viele Gründe für die ungebrochene Anziehungskraft der Widerstands- und Protestbewegungen rund um das Schicksalsjahr 1968. Drogen, Musik, Gruppensex und natürlich der unschlagbare Style der Revolution. In Shaka Kings Film "Judas and the Black Messiah" über die Black Panther Party in Chicago ist es allerdings sehr viel idealistischer die Gewissheit, dass der Kampf damals noch für eine bessere Welt gekämpft wurde und nicht gegen Naturkatastrophen, Ungleichheit und einen Rassismus, der sich immer hartnäckiger im sozialen Erbgut der USA breitmacht. Und weil jede Geschichte über amerikanische Ungerechtigkeit immer auch eine Metageschichte für den Rest der Welt ist, funktioniert "Judas and the Black Messiah" ganz gut als Prequel zur Gegenwart der "Black Lives Matter"-Bewegung.

Gleichzeitige Stärke und Schwäche des Films ist sein Genre. "Judas" ist ein exzellenter Politthriller. Erzählt wird die wahre Geschichte des Autodiebs Bill O'Neal (Lakeith Stanfield), der gleich zu Beginn geschnappt wird. Der FBI-Agent Roy Mitchell (Jesse Plemons) macht ihm ein Angebot. Wenn er für "das Büro" die Black Panther Party unterwandert, ist er frei. Und so arbeitet sich O'Neal langsam an den Vorsitzenden der Chicago-Fraktion der Panthers, Fred Hampton (Daniel Kaluuya), heran. Das FBI gibt ihm sogar ein Auto, damit er als Fahrer für Hampton das Vertrauen der Gruppe gewinnen kann. Als der dann 1969 beginnt, seine Rainbow Coalition zusammenzutrommeln, ist O'Neal einer seiner engsten Mitstreiter.

Politiker verhindern den Klassenkampf, indem sie Rassenkonflikte anzetteln

Als begnadeter Redner und Diplomat rekrutiert Hampton dafür die ähnlich militante puertoricanische Emanzipationsbewegung Women of the Young Lords, die linke Hilfsorganisation für verarmte weiße Südstaatler Young Patriots, sowie eine martialische Streetgang. Gemeinsam sollen sie für Gerechtigkeit kämpfen, für Bildung, Ernährung, Gesundheit und Wohnraum. Da war der echte Hampton ein Visionär. Und eine Gefahr. Die Verlagerung des Klassenkampfes in die Polarisierung der Rassenkonflikte war immer schon ein Trumpf der Macht in Washington. So verteufelt FBI-Chef J. Edgar Hoover (Martin Sheen) Hampton dann auch als Staatsfeind.

King erzählt diese Geschichte von Kampf und Verrat mit einem Höchstmaß an Spannung. Von den Klischees der Guerilla-Romantik, auf die gerade die Black Panthers so oft reduziert werden, hält er sich als afroamerikanischer Regisseur fern. Sicher kann auch er der Versuchung nicht widerstehen, die Aura des Revolutions-Pop im immer coolen Ambiente des neonflackernden Chicago von 1968 zu inszenieren. Wobei sich bei Historiendramen aus dieser Zeit immer die Frage stellt, ob sich die Revoluzzer mit ihrem Stilbewusstsein nicht damals schon selbst als Pop-Ikonen in Szene setzten. Und ob die Retrokultur des 21. Jahrhunderts überhaupt noch Raum lässt, die Welt von damals ohne den Gestus des Stil-Fetischs nachzubilden.

Die eigentlichen Vorwürfe, die man dem Film machen kann, sind viel subtiler, und vor allem dem Genre geschuldet. Die beiden Hauptrollen werden von zwei Schauspielern gespielt, die beide rund zehn Jahre älter sind, als ihre historischen Vorlagen. O'Neal war 18, als er zur Marionette des FBI wurde. Hampton war 21, als er die Rainbow Coalition aufbaute. Zehn Jahre machen einen Unterschied, wenn man die Panthers authentisch als Bewegung junger Afroamerikaner und vor allem junger Eltern darstellen will. Auch wenn Daniel Kaluuya Fred Hamptons Kampfgeist und Charisma so überzeugend verkörpert, dass er zu Recht den Oscar als bester Nebendarsteller bekam. Was auf der Strecke bleibt, ist die Liebesgeschichte Hamptons mit der Lyrikerin und Aktivistin Akua Njeri. Dominique Fishback spielt sie, die schon in der HBO-Serie "The Deuce" mit einer Gratwanderung zwischen Verletzlichkeit und superheldinnenhafter Durchsetzungskraft glänzte, die sich auch in "Judas" fast ausschließlich in Blicken manifestiert.

In den letzten 50 Jahren hat sich erschreckend wenig geändert in Amerika

Letztlich bleiben Hampton und O'Neal aber vor allem Figuren, die die Spannung des Thrillers vorantreiben. Man ahnt, wie sehr der Verrat O'Neal innerlich zerreißt, dem die Bewegung und ihr Anführer immer sympathischer werden, obwohl er sie letztlich zerstören soll. Wenn ihm FBI-Agent Mitchell erklärt, er habe ja schon die Ku-Klux-Klan-Männer geschnappt, die vier Jahre zuvor Bürgerrechtsaktivisten in Mississippi ermordeten, und die Panthers seien nicht besser als der Klan mit ihrem Rassen-Separatismus, nagen die Zweifel in ihm gewaltig.

So steigt die Spannung, egal ob man das Ende aus den Geschichtsbüchern kennt oder nicht. Nicht zuletzt, weil einen die Wut auf ein Land, das seine Bürger mit einer solchen Konsequenz und Brutalität verfolgt, im Verlauf des Films doch selbst packt. Das ist der Punkt, an dem einem noch einmal klar wird, dass "Black Lives Matter" eine direkte Fortsetzung jener Zeit ist, weil sich in den letzten gut fünfzig Jahren gar nicht so viel verändert hat in Amerika. Und das macht diesen Film nicht nur spannend, sondern auch authentisch. Doch auch da bleibt eine Frage, die über den Film hinausgeht. Ist "Judas and the Black Messiah" eine so universelle Geschichte, weil sie exemplarisch für den unbedingten Unterdrückungswillen des Staates steht, der all jene, die sich ihm widersetzen, zerstört? Oder ist "Black Lives Matter" eine solche Metageschichte für die Welt geworden, weil Hollywood solche Geschichten immer schon mit einer so brillanten Allgemeingültigkeit erzählt hat?

Judas and the Black Messiah , USA 2021 - Regie: Shaka King. Buch: Will Berson, Shaka King. Kamera: Sean Bobbitt. Mit: Daniel Kaluuya, Lakeith Stanfield, Jesse Plemons, Dominique Fishback. 126 Minuten.

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