"Jud Süß - Film ohne Gewissen":Erfolgsgetrieben und naiv

Das deutsche Kino beginnt, den heikelsten Teil seiner Vergangenheit aufzuarbeiten: ein erster Blick auf "Jud Süß - Film ohne Gewissen" von Oskar Roehler.

Tobias Kniebe

"Stell dir vor, du bist auf dem Weg zum Weltruhm - und Joseph Goebbels ist dein Manager". Mit diesem Leitsatz spüren Oskar Roehler und Drehbuchautor Klaus Richter derzeit in Wien dem Leben des österreichischen Schauspielers Ferdinand Marian (1902-1946) nach - einem faszinierenden, zwielichtigen, aber fast vergessenen Star der Filmgeschichte.

"Jud Süß - Film ohne Gewissen": Szene aus "Jud Süß" mit Tobias Moretti als Marian (li.) und Moritz Bleibtreu als Goebbels.

Szene aus "Jud Süß" mit Tobias Moretti als Marian (li.) und Moritz Bleibtreu als Goebbels.

(Foto: Foto: Tom Trambow/Concorde Filmverleih)

Kein Wunder: Marians prägende Rolle war die des Juden Joseph Süß Oppenheimer. Aus dem Schicksal dieses Justizopfers des 18. Jahrhunderts machten Veit Harlan und die Nationalsozialisten das Propaganda-Machwerk "Jud Süß" - den "ersten wirklich antisemitischen Film" (Goebbels). Jannings, Gründgens, Dahlke - die Großen der Zeit hatten es 1939 abgelehnt, die infame Rolle zu spielen. Marian aber war nicht stark genug, dem persönlichen Drängen des Propagandaministers zu widerstehen - die Szene mit Tobias Moretti als Marian (links) und Moritz Bleibtreu als Goebbels (Foto: Tom Trambow, Concorde Filmverleih) lässt das prekäre Verhältnis ahnen. Zwischen den beiden ist Armin Rohde zu sehen, der den raumgreifenden Heinrich George verkörpern soll - auch der ein schauspielerischer Mittäter des Films, der später für seine Beteiligung büßen musste.

"Marian - erfolgsgetrieben und naiv - lässt sich auf ein Spiel ein, das viel zu groß für ihn ist und von dem er nicht ahnt, dass es ihm bald schon seine Lebensgrundlage nehmen wird", sagt der Regisseur Oskar Roehler. "Viel zu spät begreift er, in was er hineingeraten ist - nämlich in ein Vehikel des Holocaust, das sein Gesicht trägt. Jeder SS-Soldat, der später in Polen an Massenerschießungen von Juden beteiligt war, bekam den Film verordnet. 19 Millionen Deutsche sahen ihn sich freiwillig im Kino an und weitere 20 Millionen in ganz Europa."

Wenn das deutsche Kino nun beginnt, diesen heikelsten Teil der eigenen Vergangenheit aufzuarbeiten, rückt auch der originale "Jud Süß" neu ins Blickfeld. Der Film darf hierzulande bis heute nicht vertrieben werden, öffentliche Vorführungen sind nur mit begleitendem Kommentar und unter strengen Auflagen der Murnau-Stiftung erlaubt. So wissen wohl nur noch über 70-Jährige, worauf genau sich Roehler & Co. in dieser Filmbiographie beziehen.

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