"Jud Süß" bei den Nibelungen-Festspielen:Ringelpiez mit Schnappatmung
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Ein dümmliches Partygirl, eine württembergische Wildsau und der Geschmack von Boris Becker: In der Neu-Adapation von "Jud Süß" bei den Nibelungen-Festspielen wird Dieter Wedels Handschrift allzu deutlich.
Jürgen Berger
Ein zum Katholizismus konvertierter Stuttgarter Landesfürst, ein jüdischer Geldverleiher als Finanzminister und ein Ländle mit protestantischen Schwaben: Das konnte nicht gut gehen. 1738 henkten die Württemberger den Heidelberger Joseph Süß Oppenheimer. Tausende von Schaulustigen sollen sich eingefunden haben, als der Mann exekutiert wurde, der am Hof von Herzog Karl Alexander das Geld für dessen aufwendigen Lebenswandel besorgt hatte. Dass der jüdische Kaufmann sich etwas zuschulden hätte kommen lassen, konnte nicht nachgewiesen werden. Also kramten die Schwaben ein altes Gesetz aus und bezichtigten den Juden des sexuellen Umgangs mit Christenfrauen. Der Rest ist Literatur.
Wilhelm Hauff formte aus den historischen Ereignissen eine Novelle und der von den Nazis ermordete Prager Jude Paul Kornfeld das Drama zur Historie. Die bis heute nachwirkende Bearbeitung lieferte aber 1925 Lion Feuchtwanger mit seinem "Jud Süß". Dieser Roman steht auch wie ein großer Bruder hinter dem Wormser Anliegen, nach jahrelangen Versuchen mit den "Nibelungen" erneut ein von den Nazis zu Propagandazwecken missbrauchtes Sujet zu reanimieren.
Man konnte annehmen, die Festspielproduktion an der Westseite des Doms verstehe sich als Gegenthese zum Propagandafilm, den einst Goebbels in Auftrag gab: Veit Harlans "Jud Süß" von 1940. Da als Autor der israelische Dramatiker und Romancier Joshua Sobol genannt wurde, konnte man eine aktualisierte Adaption des "Jud Süß" erwarten.
Sobol selbst hatte im Interview gesagt, er nehme die historische Figur nur als Ausgangspunkt, um über die heutige Beziehung zwischen Juden und Deutschen zu schreiben. Sein Protagonist sei ein Machtmensch und "Ökonom der Zukunft". So hörte sich das noch vor drei Jahren an. Dann muss aber einiges passiert sein bis hin zur Uraufführung am Wochenende.
Diese wartet überraschend mit einer historisierenden Adaption und einem Barock-Bühnenbild (Jens Kilian) auf, hinter dem der wuchtige Wormser Dom wie ein antikes Relikt wirkt, so als habe Boris Becker sich vor einem historischen Monument eine Villa bauen lassen und schon bei der Architektenwahl schlechten Geschmack bewiesen. Die eigentliche Nachricht des Abends ist aber, dass als Autor zum historisch kontaminierten Historienspiel inzwischen auch Dieter Wedel genannt wird, und zwar noch vor Joshua Sobol.
Welche Teile der mehr als hundert Seiten umfassenden Dramatisierung vom einen, welche vom anderen stammen, lässt sich nicht ausmachen. Sicher ist nur, dass die Vorlage immer dann überzeugt, wenn sie das Verhältnis des schwäbischen Landesfürsten zum Finanzgenie Oppenheimer beleuchtet und Jürgen Tarrach zusammen mit Rufus Beck eine Männerfreundschaft der besonderen Art zelebriert:
Hier der barocke Karl Alexander, ein Riesenbaby, dem die Vorsehung ein Herzogtum zuspielt und das sich in Vergnügungen aalt, die ihm in solcher Position nun zustehen; da Oppenheimer, aus dem Rufus Beck einen zurückhaltenden, durch und durch guten Menschen macht.
Ist der jüdische Finanzjongleur bei Feuchtwanger ein Emporkömmling und Frauenverführer, der zunehmend Geschmack an arroganter Luxuriosität findet, sieht man in Worms vor allem die Mühe, eine historische Figur zu rehabilitieren, auch wenn das eher der Beruhigung aller jüdischen Gemeinden Deutschlands und weniger der Kunst dient.
Rufus Beck ist dennoch ein achtbarer Oppenheimer, der in brenzligen Situationen zum intelligenten Beobachter wird. Das gilt auch, wenn Dieter Wedel sich die Freiheit nimmt, den schon in der Vorlage ausgeprägten Hang zur historisierenden Verniedlichung auszuwalzen und die Party-Atmosphäre am Stuttgarter Hof als Ringelpiez mit Schnappatmung zu inszenieren. Da wedelt Anouschka Renzi dann nur mit Po und Hüfte, Dominique Voland tänzelt als dümmliches Partygirl, das von André Eisermann wie ein Rehkitz über die Bühne gejagt wird. André Eisermann gibt sich in solchen Szenen leider als württembergische Wildsau und Knallcharge.
Interessanter ist, wie selbstverständlich Wedel inzwischen sein Wormser Herzogtum im Griff hat und sich die Gewalttätigkeit jenes Herzogs nur als verspieltes Hasch-Mich mit kokett willigen Frauen vorstellen kann. Da war Feuchtwanger weiter, als er am Stuttgarter Hof eine weibliche Gegenfigur installierte und ein schwäbisches Mädchen aus gutem Hause, die Oppenheimer dem geilen Herzog zuführt, als intelligente, selbstbewusste junge Frau beschrieb.
Sibylle, bei Feuchtwanger die Tochter des Präsidenten des Württembergischen Kirchenrates, fällt nach der fürstlichen Vergewaltigung zuerst in Schockstarre und hat später für die Männerwelt nur noch bitteren Hohn übrig. In Worms fehlt dieser Epilog vollständig, was dazu führt, dass Natascha Paulik lediglich als neue Spielfigur im höfischen Treiben auftaucht und während des fürstlichen Akts der Gewalt dann unvermittelt sterben muss.
Das ist eine der Zuspitzungen im Wormser "Jud Süß", die man unter "künstlerische Freiheit" verbuchen könnte. So was sollte sich jede Adaption historischer Stoffe leisten dürfen - wäre da nicht das seltsame Gefühl, es handle sich um reißerische Zutaten, mit denen sich Wedel nebenbei als Autor, Regisseur und Produzent eines neuen "Tatort" bewirbt.