Süddeutsche Zeitung

Jubiläumskonzert:Mit Bier und Beständigkeit

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Seit 50 Jahren gibt es die "Allotria Jazz Band", die in einer Kneipe in der Türkenstraße entstand und später international reüssierte

Von Oliver Hochkeppel, München

Es liegt in der Natur der Dinge, dass nur wenige Bands ihr 50-jähriges Bestehen feiern können. Die einen oder anderen Pop-Veteranen vielleicht, die auf einen Revival-Zug aufspringen. Dann die paar Unverwüstlichsten aus der klassischen Rock-Ära, mit den Rolling Stones vorneweg, die dieses Kunststück ja sogar in Originalbesetzung schafften. Im Jazz aber ist das fast schon ausgeschlossen: Sucht man da doch zumeist in ständig neuen Konstellationen das bislang Ungehörte. Improvisation ist eben nicht nur das musikalische, sondern oft auch das Besetzungsprinzip. Und doch steht ein solch seltenes Jubiläum nun im Gärtnerplatztheater an: Die Allotria Jazz Band, die dort sonst seit vielen Jahren das Neujahrskonzert begleitet, darf heuer etwas später und ganz auf sich konzentriert seine Langlebigkeit feiern.

Nach einem derart langen Haltbarkeitsdatum sah es im Herbst 1969 nicht aus, als der Schlagzeuger und Koch Hermann Kügler für seine frisch eröffnete Jazz-Kneipe Allotria in der Türkenstraße eine Hausband zusammensammelte, wie das damals bei den Clubs noch so üblich war. Man begann als Allotria Stompers und spielte dreimal die Woche im Allotria oder im Podium. Relativ schnell war so eine Stammformation gefunden, die dann auch gleich im März 1970 das Hauptkonzert bei der ersten Jazzwoche Burghausen spielte und noch im selben Jahr den Wettbewerb beim Jazzfestival Dinslaken gewann, seine erste LP einspielte und wenig später einen Plattenvertrag bei Ariola/Bellaphon bekam. Ein Label, das sonst für Schlager bekannt war, was auf das damalige Repertoire verweist: Dixieland, einmal original, dann über deutsche Schlager der Zwanzigerjahre gestülpt. Schaut man sich ein typisches Bandfoto aus dieser Zeit an, sieht man acht mehrheitlich bärtige junge Männer mit folkloristischen, an die Original Oberkrainer erinnernden Westen.

Optik wie Ausrichtung haben sich im Lauf der folgenden Jahre ebenso stark verändert wie die Besetzung. Aus der als Studentenhobby betriebenen Dixieland-Kneipencombo wurde eine professionelle Swing-Formation, in der renommierte Größen wie der Bassist Jürgen Hinz, der Trompeter Pit Müller oder der Schlagzeuger Charlie Antolini spielten. Das entscheidende Jahr für diese Evolution war wohl 1981: Da war man nach Konzertreisen durch Europa und den Nahen Osten erstmals in die USA eingeladen, zum weltgrößten Traditional-Jazzfestival in Sacramento. "Das amerikanische Publikum war kaum zu halten", erinnert sich Rainer Sander. "Unser Trad Jazz mit deutschem Akzent erregte Begeisterung und brachte uns im Handumdrehen weitere Einladungen ein. Wir machten mehr als 30 Konzert- und Festivaltourneen in den nächsten 20 Jahren. Viele wissen gar nicht, dass wir an der Westküste lange Jahre die erfolgreichste Jazzband überhaupt waren. Wir spielten da vor Sälen mit 5000 Leuten."

Bei diesen Auftritten kam es zu Begegnungen mit diversen amerikanischen Größen vor allem der goldenen Big-Band-Ära wie dem Trompeter Don Goldie, dem Klarinettisten Abe Most oder den Pianisten Johnny Guarnieri und Norma Teagarden. Umgekehrt stießen dann in Deutschland Peanut Hucko, Billy Butterfield, Ralph Sutton, Bud Freeman oder Scott Hamilton dazu. Diese intensiven Kontakte machten sich auch im Stil und Programm der Band bemerkbar, die Allotria Jazz Band wurde zu einer der besten Traditional Bands in Deutschland und Europa, die die Tradition durchaus modern auffasste. 1994 sortierte sich die Band noch einmal grundlegend neu, wandte sich endgültig vom Bierjazz ab und ernsthaft interpretiertem Swing zu.

Dabei ist es in der aktuellen siebenköpfigen Besetzung geblieben, in der nur noch einer aus der Ur-Band sitzt: der Klarinettist Rainer Sander, seit 1982 auch Bandleader, im Hauptberuf Gastroenterologe. Alle anderen leben ausschließlich von der Musik, der 1987 dazugestoßene Schlagzeuger Gregor Beck, Bassist Peter Cischek, der 1994 kam, Pianist Thilo Wagner, seit 1998 dabei, der 2007 rekrutierte Trompeter Andrey Lobanov und der 2012 eingegliederte Posaunist Mathias Götz. Und natürlich der seit 1988 hier wirkende britische Trompeter Colin T. Dawson, der - auch bei den Echoes of Swing, ein Aushängeschild für progressiven Oldtime Jazz - seit Langem der musikalische Leiter der Truppe ist und von dem fast alle Arrangements kommen.

Das gilt auch für das neue Album "All The Cats Join In", dem 18. der Band. Wie immer war es Dawsons Ehrgeiz, neben den auf speziellen Allotria-Sound getrimmten Standards wie "Singin' The Blues" Trouvaillen und Raritäten zu präsentieren. Wie etwa das mitreißende "Arcadia Shuffle" des Maßstäbe setzenden, heute aber fast vergessenen Trompeters Roy Eldridge. Oder der Titelsong: Auf den für einen Disney-Trickfilm geschriebenen Track des Benny-Goodman-Orchestras von 1946 stieß Dawson auf Youtube. Oder die wunderschöne, von Dawson gesungene Ballade "If I'm Lucky I'll Be The One", die er in der Plattensammlung seines verstorbenen Vaters entdeckte. Kurz nach der Veröffentlichung bekam Dawson einen Anruf aus New York: Die Enkelin der inzwischen 95-jährigen Komponistin bedankte sich in ihrem Namen für die Einspielung.

"Es ist nach wie vor eine Herausforderung, solche Orchestermusiken von einer Small Big Band mit nur vier Bläsern spielen zu lassen. Und ich bin schon stolz darauf, wie uns das gelingt", sagt Dawson. Wie gut, davon kann man sich jetzt im Gärtnerplatztheater überzeugen, wo die Jubilare unter dem Motto antreten: "The best is yet to come."

Allotria Jazz Band , Mittwoch, 15. Januar, 19.30 Uhr, Gärtnerplatztheater, Gärtnerplatz 3

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Quelle:
SZ vom 15.01.2020
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