Der Umschlag der Zeitschrift Sinn und Form ist ein Designklassiker wie in der Welt des Papiers sonst nur die Insel-Bücherei oder die Bibliothek Suhrkamp: Seit 70 Jahren erscheint sie in der Form, die Eduard Stichnotes Entwurf (hier im Bild) vorsah: klassizistische Schrift, farbige Bauchbinde auf hellem Grund. Klassisch beständig und vornehm-streng blieb seit dem ersten Heft vom Januar 1949 auch der Inhalt. Gegründet hatte die Zeitschrift der erste Kulturminister der DDR, Johannes R. Becher. Bald kam sie unter die Obhut der Berliner Akademie der Künste, die sie bis heute herausgibt.
Bechers Entscheidung, den Lyriker Peter Huchel zum Chefredakteur zu machen, erwies sich als genialer Griff. Der knorrige Huchel sicherte gegen viele Widerstände, unterstützt von Bertolt Brecht, eine Qualität, die es den regimetreueren Nachfolgern nach Huchels Absetzung im Jahr 1963 unmöglich machte, die Standards zu ermäßigen. Die Geschichte der ersten Jahre erzählt Matthias Weichelt, der augenblickliche Chefredakteur, in einer opulenten Bildbiografie Huchels (erschienen im Deutschen Kunstverlag).
Dass Sinn und Form den Bruch von 1989 überlebte (Peter Hacks hielt ihre Dissidenz für mitschuldig am Untergang der DDR), lag daran, dass die Zeitschrift sich nicht "neu erfand", wie es im hässlichen kapitalistischen Sprech heißt, sondern mit ihrer historischen Erfahrung wucherte. Sie arbeitete immer an der Tradition und blickte von dort aus neugierig, mit untrüglichem Urteil auf das Neue. Heute ist sie ein wichtiger Mittler zwischen Osteuropa und dem Westen. Das gewichtige Jubiläumsheft (Januar/Februar 2019, 11 Euro) enthält meisterhafte Gedichte von Kornelia Koepsell, Erzählungen von Georg Klein und Lutz Seiler, Essays von Sibylle Lewitscharoff, Adam Zagajewski und Daniel Kehlmann, Briefe des jungen Wolfgang Hilbig und Aufzeichnungen von Imre Kertész aus der Zeit, als er den "Roman eines Schicksallosen" entwarf. Und wo wurden die meisten Buchpreisträger der letzten Jahre als Debütanten vorgestellt? Genau, in Sinn und Form.