Süddeutsche Zeitung

Jubiläum:Kampf um Gefühle

Axel Honneth, der große deutsche Philosoph und hochproduktive Weiterdenker der Kritischen Theorie, wird 70 Jahre alt.

Gastbeitrag von Wolfgang Knöbl

Als Axel Honneth vor knapp 30 Jahren an der Goethe-Universität Frankfurt seine von Jürgen Habermas betreute Habilitationsschrift einreichte, die wenige Jahre später unter dem Titel "Kampf um Anerkennung" publiziert werden sollte, war noch nicht abzusehen, welch großen Einfluss sie bekommen und welch große Karriere ihr Autor noch vor sich haben würde.

Zwar war Honneth zur damaligen Zeit längst kein Unbekannter mehr. Spätestens ab Mitte der Achtzigerjahre konnte man ihn als aufgehenden Stern im Umkreis der "Kritischen Theorie" bezeichnen, welcher es versteht, nicht nur die verschiedenen Traditionslinien der Frankfurter Schule auszuleuchten und zu kritisieren, sondern auch selbstbewusst und mit großem hermeneutischen Talent das philosophische und soziologische Terrain zu erkunden, das von den Altvorderen dieser Schule eher gemieden oder vernachlässigt worden war. Aber erst sein 1992 erschienenes "Kampf um Anerkennung" machte einer größeren und sehr schnell dann auch internationalen Fachöffentlichkeit klar, dass hier ein höchst eigenständiger Kopf dabei ist, der Kritischen Theorie neue Impulse zu verleihen.

Denn zum einen gewann Honneth Abstand von seinem Mentor Habermas dadurch, dass er seinem eigenen Theorieaufbau eine deutlich stärkere konflikttheoretische Note verlieh und gleichzeitig bemüht war, Habermas' allzu rationalistische Sichtweise auf das soziale Geschehen zu korrigieren. Honneth beschrieb unterschiedlicher Anerkennungsformen - von der solidarischen Zustimmung über die rechtliche Anerkennung bis hin zur emotionalen Zuwendung -, deren Verweigerung oder Verletzung zu deutlich verschiedenen sozialen Pathologien und darüber zu höchst unterschiedlich gelagerten Auseinandersetzungen führen. Damit verdeutlichte er, dass nicht zuletzt auch gefühlte Befindlichkeiten Auslöser für soziale Kämpfe sein können.

Zum anderen traf Honneth wie keiner der Kritischen Theoretiker vor ihm mit seiner Anerkennungsthematik den politischen Nerv der Zeit, weil spätestens nach dem Ende des Kalten Kriegs Auseinandersetzungen um verschiedene Identitäten die vormalige Dominanz der sozialen Frage abzulösen schienen.

Wie Honneth selbst im Rückblick einigermaßen verwundert feststellen musste, war die Nähe seines aus philosophisch-soziologischen Zusammenhängen entwickelten Anerkennungsbegriffs zu dem politisch gewendeten Konzept der "Identität" und demjenigen der "Differenz" in der Tat frappierend. So war es letztlich nicht überraschend, dass der "Kampf um Anerkennung" sehr schnell zum politisch allseits einsetzbaren Schlagwort eines "struggle for recognition" mutierte, das sich soziale und kulturelle Bewegungen weltweit auf ihre Fahnen schreiben konnten.

Gegen die politische Vereinnahmung konnte er sich nicht wirklich wehren

Gegen diese politische Vereinnahmung konnte sich Honneth nicht erfolgreich wehren. Es ist ihm, der 1996 auf den Lehrstuhl für Sozialphilosophie an der Frankfurter Universität berufen wurde, aber hoch anzurechnen, dass er ihr auch nicht Vorschub leistete. Immer wieder (und hier dann doch in Übereinstimmung mit Habermas) warnte er vor ökonomistischen wie vor kulturalistischen Versuchungen, eine ganz spezifische Form der Anerkennung präferieren und gewissermaßen als die entscheidende, die 'letztinstanzlich' wichtigere, auszeichnen zu wollen. Mit Blick auf moderne differenzierte Gesellschaften sei dies nicht mehr möglich, wie Honneth im Übrigen auch in den jüngeren systematischen Veröffentlichungen, wie in seinem 2011 erschienenen Werk "Das Recht der Freiheit" oder in seinem 2015 publizierten Buch "Die Idee des Sozialismus", nochmals sehr deutlich machte.

Von 2001 bis 2018 war Honneth auch der geschäftsführende Direktor des traditionsreichen Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Und selbst wenn es ihm nicht gelang, den schon bei Adorno und Horkheimer und damit ganz zu Beginn der Kritischen Theorie beobachtbaren Mangel an systematischer Beschäftigung mit konkreten politischen oder ökonomischen Institutionen zu beheben, so vermochte er es doch, mit einem aus der Anerkennungsproblematik abgeleiteten Forschungsprogramm die Verbindung zwischen der Philosophie und der Sozialphilosophie einerseits und der empirischen Sozialforschung andererseits aufrechtzuerhalten.

Die von ihm geförderten Analysen etwa zu den "Paradoxien des gegenwärtigen Kapitalismus" haben das darin schlummernde Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft, und man wird sehen, wohin die Reise des Instituts unter einer neuen Leitung, die man gerade sucht, gehen wird.

Axel Honneth, der nach seiner Emeritierung in Frankfurt jetzt hauptamtlich an der Columbia University in New York lehrt und forscht, ist dabei so produktiv wie eh und je, so dass man ihm auch in Erwartung vieler zukünftiger Arbeiten zu seinem heutigen 70. Geburtstag gratulieren darf.

Der Autor ist Direktor des Hamburger Instituts für Sozialforschung.

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Quelle:
SZ vom 18.07.2019
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