Jubiläum:Gruß aus dem Weltall

Isa Genzken

Isa Genzken - starke Frau im Männerkosmos der zeitgenössischen Kunst.

(Foto: Uwe Epping)

Baumarkt-Kram für Ground Zero, Astronautenanzüge für Venedig: Die Ausnahmekünstlerin Isa Genzken wird 70 Jahre alt.

Von Catrin Lorch

Ende der Achtzigerjahre war Kunst noch etwas Abgehobenes, die Szene muss man sich rückblickend vorstellen wie ein Raumschiff: die Astronauten, meist weiß und männlich, alle mit ihren Entdeckungen beschäftigt und auf Erden - wenn sie mal kurz aufsetzen - eher bestaunt, denn verstanden. So war es auch 1987 mit "ABC" bei den Skulptur Projekten in Münster, einer Installation von Isa Genzken, die kaum vermittelbar war.

Fest angebaut an die Universitätsbibliothek erinnerte sie an sowjetische Avantgarde-Architektur, musste aber nach der Ausstellung sofort aus dem Stadtbild wieder verschwinden. Dass der Abbau teurer war als die Installation, hat Isa Genzken dann gefallen, die damals als eine der wenigen Künstlerinnen eingeladen war.

Die 1948 in Bad Oldesloe geborene Genzken sieht auf einem Foto aus dieser Zeit sehr jung aus und sehr entschlossen. In den Händen hält sie ein viele Meter breites "Ellipsoid", glatt geformt, mit industrieller Präzision lackiert und spitz zulaufend wie ein Speer. Die minimal gerundeten Kanten wirkten zudem wie die Schnittmenge gewaltiger Kreise.

Die damals mit Gerhard Richter verheiratete Bildhauerin dachte in gewaltigen Dimensionen. Konkret plante sie bald gewaltige Tulpen entlang von Autobahnen oder Ringe, die ganze Häuserblocks überspannt hätten, und erdachte sprungturmhohe Stahlrahmen für Verkehrsinseln. "Jeder Mensch braucht ein Fenster", war als Ausstellungstitel eine ihrer minimal-schlichten wie maßlosen Forderungen.

Als sie nach der Scheidung von Richter nach Berlin zog, waren Gips und Beton aber bald nur noch der Kitt, der ihre Entwürfe zusammen hielt. Als habe sie einen asiatischen Import-Shop geplündert, arrangierte sie zunächst Plastikspielzeug, Kunstblumen und Souvenirs zu Skulpturen, bald griff sie auch nach Rollstühlen, Schirmen, Plüschtieren, Puppen, Kinderwagen und Design-Klassikern. Auf solche fest verbackenen Klitterungen zwischen Ready-Made, Installation und Avantgarde-Skulptur schien eine ganze Generation von Bildhauern nur gewartet zu haben.

2013, als ihr das New Yorker Museum of Modern Art als einer der "wichtigsten Bildhauer der Gegenwart" eine umfassende Retrospektive einräumte, vertrat sie dann die Bundesrepublik Deutschland bei der Biennale von Venedig. Dort packte sie den Pavillon unter dem Titel "Oil" in ein Gerüst aus der orangefarbenen Folie, mit der in Südeuropa Baustellen abgesperrt werden. Eine Geste, die an Yves Klein erinnerte, der das Blau des Himmels für sein Werk reklamiert hatte. Isa Genzken war die Herrin aller Transformation, einer aus den Fugen geratenen Moderne, geschmiert und befeuert mit fossilem Brennstoff, ästhetisch dominiert von einer globalen Industrie des Kitsches.

Vor der Vernissage arbeite sie - die Kuratoren hatten die an einer bipolaren Störung leidende Isa Genzken in ihr Studio nach New York geschickt - noch rasch an einem Entwurf für Ground Zero. Aus Plastikgeschirr und Baumarkt-Kram geschichtet wirkt er um einiges zeitgemäßer als die biederen Neubauten.

Im Pavillon schwebten damals übrigens originale - aber ausgemusterte - Astronautenanzüge. Nie hat das Gebäude so zeitgenössisch ausgesehen; selten hat ein Bildhauer überhaupt so weit ausgeholt und vom unterirdischen Öl bis zum fernen Weltall die Dimensionen seines Schaffens austariert. Und wie nebenbei - vom Fossil bis zur Raumstation - seine Kunst in die Weltgeschichte gepflanzt.

Das deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt ist übrigens vom 70. Geburtstag der Ausnahmekünstlerin unterrichtet. Nicht ausgeschlossen, dass Alexander Gerst, derzeit als erster Deutscher Kommandant der Internationalen Raumstation, in der vergangenen Nacht der Jubilarin durch sein Fenster kurz nach Berlin gewinkt hat.

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