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Jubiläum:Faszination der fremden Körper

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Die französische Regisseurin Claire Denis, bekannt für Filme wie "Beau Travail", wird siebzig.

Von Philipp Stadelmaier

Letztens wurde Claire Denis darauf angesprochen, dass sie ja eine "weibliche Filmemacherin" sei. Sie antwortete, dass sie sich so nicht verstehe. Sie sei eine Frau - und dann jemand, der Filme mache. Außerdem sei sie immer schon ihren eigenen Weg gegangen, weiblich hin oder her.

Denis' Figuren kommen von überall her. Aus Frankreich und aus den USA ebenso wie von den Antillen, aus Afrika oder aus Osteuropa. Die Französin hat selbst viele Wurzeln, ist irgendwo zwischen den Welten groß geworden. 1948 in Paris geboren, verbringt sie ihre Jugend in Kamerun, Somalia, Burkina Faso, der Vater arbeitet im Kolonialdienst. Später kehrt sie nach Paris zurück, studiert erst Literatur und Wirtschaft, ihre wahre Heimat aber findet sie, als sie sich an der Pariser Filmhochschule einschreibt. Nach ihrem Diplom arbeitet sie lange als Regieassistentin, für Jim Jarmusch etwa oder Wim Wenders bei "Paris, Texas" und "Himmel über Berlin". 1988, mit vierzig Jahren, dreht sie ihren ersten Spielfilm: "Chocolat". Und erhält sofort eine Einladung in den Wettbewerb von Cannes.

"Chocolat" erzählt ein Stück von Denis' eigener Geschichte, von einer jungen Frau, die in Afrika aufgewachsen ist, gegen Ende der Kolonialzeit. Es ist auch die Erinnerung an eine Liebesgeschichte zwischen einem schwarzen Bediensteten und einer weißen Hausfrau. Man sieht hier schon, was Denis' Kino immer auszeichnen wird: ein intimes und körperliches Verhältnis zum Fremden, zum Körper des Anderen, oft ohne alle Worte.

In "Nénette und Boni", der 1996 den Goldenen Leoparden in Locarno gewinnt, betrachtet Vincent Gallo einfach nur ganz lange Valeria Bruni Tedeschi, während "God Only Knows" von den Beach Boys läuft. Und in Denis' letztem Film, "Eine schöne innere Sonne", tanzt Juliette Binoche zu "At Last" von Etta James, während sie ihrer großen Liebe näherkommt - oder zumindest dem, den sie dafür hält.

Denis' Meisterwerk aber ist "Beau Travail", einer der schönsten Filme der Neunzigerjahre. Es geht um Fremdenlegionäre in Ostafrika, aber mehr noch um das Meer, den Wind, Hitze und Steine. Einmal gleitet die Kamera über lange Schatten am Wüstenboden hoch zu den Soldaten, die mit nackten Oberkörpern in der Abendsonne stehen, die Hände in die Höhe gereckt. Es sind Körper wie Panzer, voll erotischer Spannung. Aber das bleibt unausgesprochen, wie so oft bei ihr, auf einer vorsprachlichen Ebene. Heute feiert Claire Denis ihren siebzigsten Geburtstag.

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Quelle:
SZ vom 21.04.2018
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