Jubiläum:Durchtriebene Beiläufigkeit

Peter Rosei

Weit herumgekommen - nicht nur in der Welt, sondern vor allem auch in der Weltliteratur: Peter Rosei.

(Foto: Skata/Imago)

Der österreichische Schriftsteller Peter Rosei wird siebzig Jahre alt.

Von Lothar Müller

Mehrmals hat der österreichische Schriftsteller Peter Rosei gegen die zunehmende Europa-Skepsis und die Neigung zur "Abschottung" in seinem Land angeschrieben. Eher seufzend bekannte er sich zur verblassten Utopie der "Zielbilder", aber störrisch antwortete er immer wieder auf die Parole "Europa hat keine Zukunft!" mit scharfem Widerspruch. Rosei, 1946 in Wien geboren, ist ein Kind der unmittelbaren Nachkriegszeit, und so könnte man meinen, es sei vor allem das Friedensversprechen einer europäischen Einigung, das ihn umtreibt. Ein anderes Motiv aber ist mindestens genauso stark: das Misstrauen gegen ein Österreich, das mit sich selbst allein wäre. Als - nicht nur im rechten politischen Spektrum - das "Europa der Regionen" gegen die Bürokraten in Brüssel ausgespielt wurde, setzte er dagegen sein Unbehagen an den "Landeskaisern à la Haider".

Aus solchen Interventionen spricht nicht nur der Staatsbürger, sondern zugleich der Autor Peter Rosei. Er hat H.C. Artmanns Auflockern und Durcheinanderwirbeln der Sprachschichten in sich aufgenommen. Er ist ein erfahrener Reisender, der, wie man etwa in dem Band "Persona" (1995) nachlesen kann, die Form des Reiseberichts ausschlägt zugunsten physiognomischer Landschaftsbilder, entworfen von Ich-Erzählern, die noch auf ihren Roman zu warten scheinen. Und vor allem: Er ist, schon als junger Mann, auch literarisch weit herumgekommen.

Venedig, das ist für österreichische Autoren ein vertrautes Terrain, aber was Peter Rosei damit in seinem von Michael Haneke verfilmten Roman "Wer war Edgar Allan" (1977) anstellte, ging über die Verwirrungen in Hofmannsthals "Andreas"-Fragment hinaus. Hier schrieb einer, der die Nouvelle Vague und den Nouveau Roman im Kopf hatte, nicht zuletzt dessen Spiele mit Genreliteratur und Kolportage. "Die schöne Fleischerin zog Kohn auf ihre Brüste nieder, sie küßten einander, der Kuß ihrer Lippen brannte." Da hat sich ein Readymade aus dem 19. Jahrhundert in Roseis Roman "Rebus" (1990) verirrt, einer Erkundung der modernen Großstadt, die ihren Rätseltitel zu Recht trägt. In der Welt aber, in der er gelandet ist, sind alle Figuren vollkommen durchdrungen von den prägenden Kräften der Gegenwart: der Bürokratie, dem Warenverkehr und der Geldzirkulation. Kohn, Angestellter in der Elektrofirma Keyman, trägt Nadelstreifenanzug und hat Werbebilder im Kopf.

Zum 70. Geburtstag von Peter Rosei hat der Residenz Verlag, in dem er groß wurde und zu dem er nach einem längeren Ausflug zu Klett-Cotta zurückkehrte, nicht nur den Roman "Wien Metropolis" (2005) neu herausgebracht, sondern den gesamten Zyklus "Wiener Dateien". Rosei hat darin - von "Das große Töten" über "Geld!" und "Madame Stern" bis zu "Die Globalisten" seinen Stil der durchtriebenen Beiläufigkeit vervollkommnet und zugleich die Romanform mehr und mehr verschlankt.

Und nicht von ungefähr stehen über dem Ganzen die "Dateien". Denn man könnte die Modernisierung der Figuren und Schauplätze - der Strizzis, kleinen Ganoven und Angestellten, der Liebespaare im Park, der Villen im Salzkammergut, der Kaffeehäuser und der teuren Hotels an der Ringstraße - auch als ein "Update" der Tradition begreifen, als ihre Einbettung in die Gegenwart. Prosaischer gesagt: als erzählerische Enzyklopädie Österreichs und vor allem Wiens im Zeitalter der Globalisierung. Der Ferntourismus öffnet die Schauplätze, lässt die Hochzeitsreisen an Strände in Australien führen, die weitläufigen Umlaufbahnen der Geldzirkulation haben die Biografien fest im Griff, die Härte des Kredits führt manchen in den Untergang, und die gewitzteren Figuren haben der Illusion abgeschworen, "man könne die marktwirtschaftlichen Mechanismen von den charakterlichen Eigenschaften der Mitspieler her verstehen".

Das gilt auch für den Erzähler. Er weiß, dass es aus seinem Österreich keinen Rückweg in das Europa der Regionen gibt. Aber er lässt die Herkunftswelt seiner Figuren nicht in dem Ausrufezeichen seines Romantitels "Geld!" (2011) verschwinden. In Essays, Romanen und gelegentlich auch Theaterstücken erkundet er sein Land und dessen Bewohner - und den Ort beider in der Welt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: