Jubiläum:Der Wegbereiter

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Er hat als Fernsehmacher und Produzent viel gewagt: Günter Rohrbach. (Foto: imago stock&people)

Günter Rohrbach wird neunzig Jahre alt. Er gab den ersten "Tatort" in Auftrag und schickte Wolfgang Petersen mit dem "Boot" um die Welt.

Von Anke Sterneborg

Sonore Stimme, kantige Züge, drahtige Gestalt. Günter Rohrbach ist so etwas wie die graue Eminenz des deutschen Kinos und Fernsehens. Einer, den man um Rat fragt, von dem man Unterstützung erwarten darf. Dabei neugierig und begeisterungsfähig, auch in seinen Achtzigern noch aufmüpfig und rebellisch wie ein Teenager. Einer, der sich streitbar einmischt, in großen Feuilleton-Artikeln über Veränderungsnotstände im deutschen Fernseh- und Kinogeschäft, einer, der gegen die deutsche Synchronisationswut wettert oder gegen den Kauf überteuerter Fußball-Lizenzen mit öffentlich rechtlichen Geldern. Der sich unter anderem von 2003 bis 2010 als Co-Präsident der Deutschen Filmakademie für das Kino eingesetzt hat.

Die Aufmüpfigkeit war von Anfang an eine entscheidende Triebkraft, zuerst gegen die provinzielle Enge der Kleinstadt Neunkirchen an der Saar, wo er vor neunzig Jahren geboren wurde. Dann gegen die akademische Lebensfremde im Studium der Germanistik, Philosophie, Psychologie und Theaterwissenschaften in Bonn, München und Paris, wo in studentischen Filmclubs die ersten Funken kinematografischer Begeisterung zündeten. Später gegen den Staub des Kulissenfernsehen und die Geht-nicht-Mentalität seiner Macher.

Wie die Filmemacher der Nouvelle Vague formulierte auch er seine ersten Gedanken zum Kino als Filmkritiker in Zeitungen, Magazinen und Radiosendungen. Von dort führte der Weg zum Fernsehen, zunächst als Assistent des WDR-Programmdirektors, dann als Mitglied des Planungsstabs in den Gründerjahren der dritten Programme, schließlich ab Mitte der Sechzigerjahre als Leiter der Abteilung Fernsehspiel in der ARD. Da eröffnete er jungen Filmemachern wie Rainer Werner Fassbinder, Klaus Lemke, Wim Wenders, Edgar Reitz, Margarete von Trotta und Volker Schlöndorff kreative Freiräume und kämpfte für kontroverse Stücke wie Wolfgang Petersens Schwulendrama "Die Konsequenz", Rosa von Praunheims "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" und Fassbinders proletarische Miniserie "Acht Stunden sind kein Tag". Mit dem damals umstrittenen Ankauf der amerikanischen Serie "Holocaust" holte er auch den offensive Umgang mit der verdrängten deutschen Geschichte ins Fernsehen.

"Kunst schien uns eine Sache des Theaters zu sein und in gewissem Sinne auch des Kinos, während wir Fernsehen eher journalistisch interpretiert haben, das heißt", sagt Rohrbach rückblickend. "Der primäre Impuls war eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Zeit, mit der Gegenwart, mit der Gesellschaft, und damals hatten wir ja auch noch die Illusion, wir könnten daran etwas ändern, wenn es nicht in Ordnung ist." Zum Beispiel 1970, mit der von Wolfgang Menge erdachten, bitterbösen Reality-TV-Satire "Das Millionenspiel", die Moral und Gewissen des Mediums auf eine harte Probe stellte und damit einen Skandal auslöste. Jahrzehnte vor modernen Reality-TV Sendungen wie Dschungelcamp, Bunker-TV und "Deutschland sucht den Superstar" wurde da ein Kandidat mit der Aussicht auf eine Million Mark wie ein Kaninchen bei der Treibjagd durchs Land gejagt. Drei Jahre später bewegte sich auch "Smog" - mit einer simulierten Fernsehsondersendung über eine Umweltkatastrophe - auf ähnlich schmalem Grat zwischen präziser Inszenierung und behaupteter Authentizität. Regie führte nach "Die Konsequenz" und diversen Tatorten - ja, die hat Rohrbach ebenfalls etabliert, als Gegenmodell zum ZDF-Kommissar - erneut Wolfgang Petersen.

Mit Petersen ging Rohrbach dann später noch viel weiter, als er 1979 die Geschäftsführung der Bavaria Studios übernahm. Mehr wagen, größer denken, deutsches Kino in Hollywood-Proportionen, im klaustrophobisch engen "Boot" unter Wasser und oben in den Lüften auf dem Rücken eines Drachens in der "Unendlichen Geschichte". Anecken, aber immer auch den Nerv des Publikums treffen, mit Genrefilmen wie Dominik Grafs "Die Katze", mit satirischen Komödien wie Helmut Dietls "Schtonk!", und vielen Loriot-Filmen.

Vollendet hat Rohrbach seine Entwicklung dann als freier Produzent. Mit Filmen wie "Aimée und Jaguar" und "Anonyma" (Regie: Max Färberböck) ging er weiter seinem Lebensthema nach, der deutschen Vergangenheitsbewältigung. Aber auch dem populären Zeitgeist blieb er verbunden, selbst jenseits des achtzigsten Geburtstags gab es immer wieder Stoffe, die er anpacken wollte - wie erst letztes Jahr "Das Pubertier".

© SZ vom 23.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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