"JOYEUX NOÊL":Das Schicksal von Felix und Nestor

Verbrüderung, Kriegsweihnacht, Katerstimmung: Christian Carions "Merry Christmas". Schmierenoper oder Oscarfavorit?

Fritz Göttler

Alle fünf Meter soll einer aufgestellt werden, so die Anweisung des deutschen Oberkommandos. Macht insgesamt an die 100 000 Weihnachtsbäume für die Front. Und zwanzig Züge zum Transport, von Brüssel nach Lille, um das Grünzeug dorthin zu bringen. Ziemlich unternehmungslustig die Stimmung, und irgendwie ist diese Operation Weihnachten so gut gemeint und im Grunde so bescheuert wie alle Feelgood-PR-Aktionen. Es ist die erste Kriegsweihnacht, im Jahr 1914.

"JOYEUX NOÊL": Diane Kruger und Benno Fürmann in einer Szene aus "Merry Christmas". Sie spielen ein Sängerpaar, dass sich am Weihnachtsabend in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges trifft.

Diane Kruger und Benno Fürmann in einer Szene aus "Merry Christmas". Sie spielen ein Sängerpaar, dass sich am Weihnachtsabend in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges trifft.

(Foto: Foto: rtr)

Am Montag ist Alfred Anderson gestorben, in seinem Altenheim in Newtyle, Schottland, 109 Jahre war er alt - eine zeitliche Koinzidenz mit dem Start von "Merry Christmas" in Deutschland, die merkwürdig berührt. Er war der Letzte, der noch den "gespenstischen Klang der Stille" im Ohr hatte, als am 25. Dezember 1914 zum Weihnachtsfest die Waffen plötzlich schwiegen.

Schampus im Schützengraben

Als die Schotten und die Franzosen und die Deutschen aus ihren Schützengräben kletterten, sich Champagner in ihre Becher schütteten, einander Schokolade und Zigaretten anboten und gemeinsam sangen, begleitet von den Dudelsäcken, und dann sogar Fußball spielten, im Niemandsland zwischen Stacheldraht und Explosionstrichtern, und ihre Toten zusammenholten und beerdigten.

Christian Carion erzählt von diesen Fraternisierungsstunden in seinem Film "Merry Christmas", der zwei Bereiche zusammenbringt, denen das Kino sich immer nahe fühlte, die Oper und den Krieg.

Die Front hat Frauenbesuch an diesem Weihnachtsabend. Die dänische Starsopranistin Anna Sörensen ist gekommen, um vor dem deutschen Kronprinzen zu singen, und dann die Nacht mit ihrem Geliebten zu verbringen, dem Tenor Nikolaus Sprink, der an die Front verpflichtet wurde. Diane Kruger und Benno Fürmann leihen dem Paar ihre Gesichter, Natalie Dessay und Rolando Villazón ihre Stimmen.

Dass die Gesichter und die Stimmen am Ende keine Einheit ergeben, diese Irritation nutzt der Film, um von ganz anderen, von historischen Irritationen zu erzählen. Die Zeit ist aus den Fugen in dieser frühen Phase des Krieges, die Menschen sind noch gar nicht gewärtig, was auf sie zukommen wird, wie schnell und wie radikal sich alle vertrauten Konventionen und Vorstellungen verändern werden. "Es wird mehr als ein Abend sein", deutet Anna an, "unsere Minuten sind länger."

Es ist ein sauberer Krieg, noch, und das Pathos, das die Soldaten und Offiziere in ihrem Handeln prägt, ist ein Rest der alten Tradition, der Jahrhunderte der Kavallerie. Noch teilen sich die Linien einen gemeinsamen Kater, der bei den einen Felix, bei den anderen Nestor heißt.

Ein Frontkater für Franzosen und Deutsche

Aber in diesem Krieg wird die Schaufel wichtiger sein als der Degen. Die Materialschlachten stehen bevor, das Inferno aus Blut und Schlamm und Irrsinn, diese Mischung aus Lethargie und Fatalismus, wie man sie kennt aus den großen Kriegsfilmen von "Wege zum Ruhm", von Kubrick, bis "Mathilde - Eine große Liebe/Un long dimanche de fiançailles" von Jean-Pierre Jeunet.

Man sieht diese Pathologie des Krieges im deutschen Kronprinzen vorgebildet, ein verschrecktes, verzogenes Kind, angewidert, manchmal richtig indigniert über die scheußlichen Ereignisse. Er kauert in seinem Sessel beim Konzert, umklammert seinen Stock mit dem goldenen Knauf, dem einzigen handfesten Symbol seiner Macht, und ist froh, dass er am nächsten Morgen zurückkehren wird nach Berlin.

Ein Melodram, das sich als Melodram stark zurücknimmt. In Frankreich hat sich "Merry Christmas" als Kassenerfolg erwiesen, und er wird sich im kommenden Januar als französischer Beitrag für die Oscar-Konkurrenz bewerben. In Deutschland wird der Film als Schmierenoper kritisiert, die einem die Freude an dem "Stille Nacht"-Lied vermiesen kann. Carion hat den melodramatischen Stoff ganz zurückhaltend inszeniert, das macht "Merry Christmas" so sympathisch. Und verhindert, dass der Film auf eine simple Botschaft reduziert wird, zum faden Pazifismus-Traktat.

Die Veroperung der Front macht die Obszönität des Krieges auf bizarre Weise deutlich - und die Perversion aller Versuche, sie im Kino abbilden zu wollen. Selbst Diane Krugers schauspielerische Beschränktheit funktioniert perfekt - Anna bleibt eine Diva auch an der Front. Mit ihrem Geliebten begibt sie sich in französische Gefangenschaft, da können sie beisammen bleiben. Der Kronprinz schleicht sich davon wie ein feister Schulschwänzer. Und der Kater wird verhaftet wegen Spionagetätigkeit.

JOYEUX NOÊL, F/D/GB/B/Rumänien 2005 - Regie, Buch: Christian Carion. Kamera: Walther van den Ende. Musik: Philippe Rombi. Andréa Sedlackova. Mit: Diane Kruger, Benno Fürmann, Guillaume Canet, Daniel Brühl, Gary Lewis, Dany Boon, Lucas Belvaux, Bernard Le Coq, Michel Serrault, Suzanne Flon, Joachim Bissmeier. Senator, 115 Minuten.

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