Mit dem Film "Hinter den Schlagzeilen" über das Investigativ-Ressort der Süddeutschen Zeitung eröffnet das Münchner Dokfest. Zu erleben ist unter anderem, wie die Ibiza-Affäre in Österreich enthüllt wird. Ein Gespräch mit dem Regisseur des Films Daniel Sager und Produzent Marc Bauder.
SZ: Es gibt auffallend viele Filme über Printjournalisten, vom Spielfilmklassiker "Die Unbestechlichen" mit Robert Redfort und Dustin Hoffman bis zur Doku "Kollektiv" über die Enthüllungen einer rumänischen Zeitung, der im vergangenen Jahr den Europäischen Filmpreis bekam. Was ist so interessant an der Zeitungsarbeit?
Marc Bauder: Investigativer Journalismus ist eine spannende Form der Erzählung. Man kann mit großer Unmittelbarkeit von der Suche nach Wahrheit erzählen, und das ist ein großes Bedürfnis, gerade jetzt.
Daniel Sager: Wahrheitsfindungsprozesse werden ja immer schwieriger und verändern sich durch die Digitalisierung. Stichwort: Fake News, Social Media, da ist ganz viel im Wandel. Umso wichtiger wird die Rolle des Journalismus als eine Instanz, die versucht einzuordnen, was stimmt und was nicht.
In Ihrem Film sind handwerkliche Prozesse zu sehen, die kaum jemand kennt. Dass es digitale Forensiker gibt zum Beispiel, die das Ibiza-Video untersucht haben und die Beteiligten - darunter den damaligen österreichischen Vizekanzler Heinz Christian Strache - am "Ohrabdruck" identifizieren konnten.
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Sager: Wir wollten nicht, dass im Film Journalisten darüber reden, wie sie arbeiten, wir wollten, dass man sieht, wie sie arbeiten. Deshalb die Erzählform des Direct Cinema, des möglichst unbeteiligten Beobachtens. Deshalb die ausführliche Betrachtung der einzelnen Schritte nach der Zuspielung des Videos, bis zu dem Punkt, wo die Texte darüber geschrieben werden, die letzten Wörter des Artikels.
Warum keine Interviews, kein Kommentar? Warum diese Form?
Sager: Nähe zu den Protagonisten aufzubauen, gelingt mit der Form des Direct Cinema am besten. Wir wollten journalistisches Handeln erlebbar machen. Dass es zum Beispiel verschiedene Positionen in den Redaktionen und verschiedene Rollen gibt, Journalisten und Chefredakteur, auch den juristischen Blick. Dass um Worte und Entscheidungen gerungen wird, dass das kein Selbstläufer ist, wie es Medienhäusern zum Teil unterstellt wird. Ich glaube, dass Direct Cinema die ehrlichste Form des Dokumentarfilms ist und man es dem Film auch anmerkt, dass wahrhaftige Momente zu sehen sind. Weil er - anders als ein Film wie Lovemobil - seine Ecken und Kanten hat sowohl im Schnitt als auch in der Kameraführung.
Die Form des Direct Cinema ist seit Lovemobil unter massiven Fälschungsverdacht geraten.
Sager: Der filmischen Darstellung in Lovemobil sieht man an, dass dort versucht wurde, Situationen zu re-inszenieren. Der Film hat eine sehr deutliche Spielfilm-Ästhetik, mit Bildern, in denen eine Person über mehrere Minuten etwas erzählt vor einem Hintergrund, der toll aussieht. Bei unserem Film haben wir es mit einer ganz anderen Erzählform zu tun, da würde ich den Begriff "Direct Cinema" überhaupt erst zulassen. Die Voraussetzung ist, dass Vertrauen geschaffen wird und man Zeit mitbringt. Natürlich gab es viele Tage, an denen wir bei der Süddeutschen Zeitung vor Ort waren, an denen nichts passierte. Aber Daniel Sager war da, bevor etwas passierte und danach. Und das ist, was Direct Cinema so aufwendig macht, dass man sehr viele Drehtage braucht, um dann in dem Moment dabei zu sein, wenn Dinge passieren. Dann wird im Eifer des Gefechts gar nicht darüber nachgedacht, dass eine Kamera dabei ist.
Bauder: Aber das Interessante am beobachtenden Dokumentarfilm ist ja gerade, dass man da ist, bevor etwas passiert. Man muss Zeit mitbringen.
Wie viel Zeit war das?
Sager: Wir haben das Projekt ein Jahr vorbereitet, das war 2017. Ursprünglich war geplant, über ein Jahr hinweg zu drehen. Dann haben sich die Prozesse in die Länge gezogen. Am Ende haben wir über die Zeit von zwei Jahren gedreht und hatten dann nochmal grob ein Dreivierteljahr Postproduktion.
Das Ibiza-Video war ein Glücksfall auch für Ihren Film. Wussten Sie, dass es dieses Bildmaterial gibt, als Sie anfingen zu drehen?
Sager: Wir wussten, dass wir einen Film über investigativen Journalismus in der Süddeutschen Zeitung machen wollten. Wir wussten aber noch nicht, um welche Fälle es konkret gehen wird. Es kam dann zu dem tragischen Tod der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galicia, und uns war sofort klar, dass das Teil des Films sein muss. Vom Ibiza-Video wussten wir ein Jahr, bevor es veröffentlicht wurde. Auch grob, worum es darin geht, aber wir kannten die Details nicht, weil sie aus Quellenschutzgründen natürlich geheim gehalten wurden. Deshalb sprechen die beiden Hauptprotagonisten aus der Süddeutschen Zeitung in den ersten Szenen etwas verklausuliert. Wir haben versucht, diese Recherche einzubinden, auch wenn wir erstmal gar nicht wussten, ob das Material jemals veröffentlicht werden wird. Glücklicherweise kam es dann aber dazu.
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Im Zusammenhang mit Lovemobil wurde viel über die Finanzierung von Dokumentarfilmen gesprochen. Wie kann man sich als Filmemacher ein so langwieriges Projekt leisten?
Bauder: Solche Filme kann man eigentlich nicht machen, es sei denn, man geht an die Grenze zur Selbstausbeutung. Ich würde dieses Thema in Zusammenhang mit Lovemobil gern ins Zentrum der Debatte rücken: Alle wollen die schwierigen, spannenden Geschichten, die Neues aufdecken, möglichst geheime Sachen ans Tageslicht holen, aber kaum jemand will akzeptieren, dass das eine lange Drehzeit bedeutet und die Beteiligten davon leben müssen. Gar nicht davon zu reden, dass solche Filme auch im Schnitt entstehen. Versuchen Sie mal durchzukriegen, dass Sie nicht die klassischen acht oder zehn Wochen schneiden, sondern die doppelte Zeit! Da ist eine Lage entstanden, in der man Gefahr läuft, bestimmte Anforderungen irgendwann bedienen zu wollen.
Auch investigativen Journalismus muss man sich leisten wollen. Und auch dabei weiß man nicht, was am Ende dabei herauskommt.
Bauder: Mit dem Unterschied, dass wir als Filmproduzenten dem koproduzierendem Sender garantieren müssen, dass etwas herauskommt. Wenn ich Geld für den Film bekommen habe, kann ich nicht nach einem Jahr sagen: Oh, das wird aber nichts. Es hat eine gefährliche Unwucht bekommen, wie in Deutschland Dokumentarfilme finanziert, wahrgenommen und zum Teil hergestellt werden.
Es war für mich überraschend, wie spannend der Journalistenalltag in Ihrem Film aussieht.
Bauder: Es werden aber auch Recherchen gezeigt, die bis jetzt noch nicht zu einem publizistischen Erfolg geführt haben. Damit der Zuschauer sieht, dass nicht alles gleich gewinnbringende Erkenntnisse bringt. Investigativer Journalismus hat auch mit Frustration zu tun, mit Nachjustieren und nochmal neu Ansetzen. Man wacht nicht morgens auf und findet ein belastendes Video über einen Politiker im Briefkasten, es ist ein mühsames Zusammensetzen von Puzzleteilen.
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Die Medienlandschaft verändert sich gerade rasant, der Printjournalismus steht stark unter Druck. Wollten Sie das in Ihrem Film nicht thematisieren?
Sager: Wir hatten Material dazu, haben uns beim Schnittprozesses aber dagegen entschieden, es einzubauen. Das hätte den Rahmen des Films gesprengt.
Bauder: Vielleicht gibt der Film aber auch genau die passende Antwort auf die Einsparungen und Kürzungen in der Branche, weil er zeigt, was die Besonderheiten und die Relevanz des in die Tiefe arbeitenden, investigativen Journalismus sind. Und dass es sich am Ende auch auszahlt, wenn diese Räume geschaffen werden.
Der Film "Hinter den Schlagzeilen" ist vom 5. Mai, 20 Uhr, an bis zum Ende des Dokfests am 23. Mai hier abrufbar .