Josephine Tey: "Alibi für einen König":Rehabilitiert Richard

Josephine Tey: "Alibi für einen König": Vom ungerechten Umgang mit Richard III. und dem Auffinden seiner Gebeine handelte zuletzt auch Stephen Frears' Film "The Lost King" von 2022 mit Sally Hawkins und Harry Lloyd als Richard III.

Vom ungerechten Umgang mit Richard III. und dem Auffinden seiner Gebeine handelte zuletzt auch Stephen Frears' Film "The Lost King" von 2022 mit Sally Hawkins und Harry Lloyd als Richard III.

(Foto: Pathé UK)

War Shakespeares berühmtester Tyrann in Wahrheit keiner? Josephine Teys Klassiker über einen legendären ungelösten Fall der britischen Geschichte gibt es endlich auf Deutsch.

Von Sigrid Löffler

Es ist der berühmteste Cold Case der englischen Geschichte: das Verschwinden der kleinen Prinzen im Tower von London. Der Fall wurde nie aufgeklärt, gleichwohl weiß jedes englische Schulkind, wer schuld ist am Tod der beiden Jungen. Kein anderer als ihr Onkel hat sie aus dem Weg räumen lassen, um sich selbst die Thronfolge zu sichern und König zu werden. Als "Richard der Dritte", Shakespeares ruchlosestes Tyrannenmonster, hinkt er, bucklig und missgestaltet, seit mehr als 400 Jahren über alle Bühnen und erfreut sich andauernder Popularität, der Weltliteratur unterhaltsamster Theater-Bösewicht.

Könnte es sein, dass Richards Image als kindermordender Superschurke auf Verleumdung beruht? Hat Shakespeare sich mit seinem schrillen Zerrbild womöglich für die Propaganda der Tudors einspannen lassen, die nach Richards Tod auf dem Schlachtfeld den Thron kaperten? Zweifel an deren offiziellem Narrativ über den letzten König aus dem Hause York gibt es seit Langem, schon im 18. Jahrhundert hat der Staatsmann Sir Horace Walpole den Rufmord an Richard kritisch untersucht. Doch die Debatte seither blieb weitgehend wirkungslos, weil auf akademische Zirkel beschränkt.

Bis eine schottische Autorin, die sich Josephine Tey nannte, aber eigentlich Elizabeth MacKintosh hieß, ein Jahr vor ihrem Tod 1952 die einzig triftige Form fand, um der Ehrenrettung Richards die Aufmerksamkeit eines breiten Publikums zu sichern. Sie legte ihre Wiederaufnahme des steinkalten Falles "Little Princes in the Tower" als Krimi an und war damit auf Anhieb so erfolgreich, dass die englische Autorenvereinigung "Crime Writers' Association" ihrem historischen Thriller "The Daughter of Time" mit Platz eins auf ihrer Liste der 100 besten Kriminalromane einen Klassiker-Status sicherte. Die Briten konnten ihrem intellektuellen Lieblingshobby, dem herrlich zweckfreien Streiten über abseitige Themen wie etwa die Identität Shakespeares, damit ein neues Debattenfeld hinzufügen - das Duell Ricardianer gegen Tudorianer.

Josephine Tey: "Alibi für einen König": Als das Skelett des Königs zufällig gefunden wurde, weckte das neue Sympathien der Briten für den offenbar schwer geplagten Richard III.

Als das Skelett des Königs zufällig gefunden wurde, weckte das neue Sympathien der Briten für den offenbar schwer geplagten Richard III.

(Foto: AFP Photo/Ho/University of Leicester)

Und dann geschah auch noch ein unwahrscheinlicher archäologischer Glücksfund: Unter einem Parkplatz der Stadt Leicester wurden 2012 Knochen gefunden, die sich eindeutig als das Skelett König Richards identifizieren ließen. Es war durch massive Schwertstreiche auf Kopf und Körper übel zugerichtet und zeigte Spuren sogenannter "Demütigungsverletzungen". Die Schädelbasis war zertrümmert, vermutlich durch einen Hellebarden-Schlag von hinten. Das wichtigste Beweisstück: Die Wirbelsäule war durch Skoliose S-förmig verkrümmt. Dies und die Spuren der schrecklichen Misshandlungen weckten bei den Briten Mitleid und eine neue Sympathie für den König, der hier vor einem halben Jahrtausend nach nur zwei turbulenten Regierungsjahren tapfer kämpfend gefallen war, mit 33 Jahren.

Es wurde denn auch Zeit, den jahrelang vergriffenen Krimiklassiker Josephine Teys von 1951 auf Deutsch neu herauszubringen. In "Alibi für einen König" ist es der Scotland-Yard-Inspektor Grant, der sich - jeder Zoll kein Historiker - zufällig für den Kriminalfall Richard zu interessieren beginnt. Er liegt mit gebrochenem Bein im Krankenhaus und langweilt sich, als ihm das Bildnis König Richards aus der Londoner National Portrait Gallery in die Hände fällt. Grant, der sich als Kriminalist viel auf sein Talent zugutehält, Gesichter lesen zu können, würde bei diesem sorgenvollen kränklichen Antlitz auf einen gewissenhaften Grübler tippen, einen Perfektionisten, der an große Verantwortung gewöhnt ist, einen Kandidaten für ein Magengeschwür, vielleicht einen Richter, keinesfalls aber auf den berüchtigten Wüterich und Mörder des eigenen Bruders und der eigenen Neffen.

Diese Diskrepanz zwischen Leumund und Antlitz ist Grants Trigger, um am gängigen Bild Richards zu zweifeln, wie es die Schulbücher und die Legenden der englischen Geschichtsfolklore bis heute überliefern. Wie passen hier Gesicht und historische Fakten zusammen? Und was sind überhaupt die historischen Fakten, und was sind interessengelenkte Umdeutungen im Nachhinein? Wie war die politische Konfliktlage in der chaotischen Schlussphase der Rosenkriege zwischen den Häusern Lancaster und York? Und welche Rolle spielten dabei die Tudors aus Wales mit ihrem fragwürdigen Thronanspruch?

Josephine Tey: "Alibi für einen König": Josephine Tey: Alibi für einen König. Aus dem Englischen von Maria Wolff. Oktopus/Kampa, Zürich 2022. 256 Seiten, 22 Euro.

Josephine Tey: Alibi für einen König. Aus dem Englischen von Maria Wolff. Oktopus/Kampa, Zürich 2022. 256 Seiten, 22 Euro.

(Foto: Oktopus/Kampa)

Mithilfe eines jungen Historikers und Archivforschers macht sich Grant daran, den Fall vom Bett aus mit detektivischen Methoden neu aufzurollen. Die beiden gehen strikt quellenkritisch vor, untersuchen alle zeitgenössischen Zeugnisse, primäre und sekundäre Quellen auf Widersprüche, Vorurteile und geheime Agenda. Selbst die Chronik des verehrten Humanisten und Staatsmannes Sir Thomas Morus wird nach Prüfung voller Verachtung verworfen: ein Gemisch aus bösartigen Gerüchten, Hintertreppen-Informationen, Dienstboten-Tratsch und Tudor-Parteipropaganda, womöglich auch noch abgeschrieben aus dem Bericht eines anderen Autors.

Nachdem sich die meisten Anschuldigungen gegen Richard als haltlos erwiesen haben, bleibt noch die zentrale Frage nach dem Schicksal der Prinzen im Tower, der Söhne von Richards verstorbenem Bruder König Edward IV. Dessen überraschender Tod war ja erst der Auslöser all der Thronfolge-Turbulenzen. Dem Wirrwarr strittiger Ansprüche rückt Grant mit professionellem Kriminalisten-Besteck zu Leibe: Wer hatte Motiv, Mittel und Gelegenheit, die Prinzen verschwinden zu lassen? Im Ausschlussverfahren gelingt ihm und seinem Partner eine überraschende Lösung des Falls.

Josephine Tey hat die verworrenen historischen Materialien spannend, transparent und mit Witz zur Rehabilitierung König Richards aufbereitet, mit den modernen Methoden ihres intelligenten und nüchternen Ermittlers. Der deutschen Ausgabe hätte man allerdings ein erläuterndes Nachwort samt Glossar und Stammbaum gewünscht. Nicht jeder Leser hat die Verwicklungen und Protagonisten der Rosenkriege im Detail parat, um Josephine Teys Parcours durch die englische Geschichte ganz genießen zu können.

Im Übrigen ist ohnehin klar, wer in diesem Fall historisch das Rennen gemacht hat. Gegen Shakespeares unsterblichen Schurken, das Buckelmonster Richard III., kann man einfach nicht gewinnen.

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