José Carreras zurück auf der Opernbühne:Respekt gebietende Noblesse

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Macht mit wenigen Gesten seine Figur plausibel: José Carreras bei seinem Auftritt in "El Juez". (Foto: Kupfer Media)

Acht Jahre lang hat er keine Oper gesungen. Nun kehrt der große José Carreras noch einmal auf die Bühne zurück. Bei der Welturaufführung der für ihn komponierten Oper "El Juez" beweist er, dass er noch immer über das Parlando des großen Sängers verfügt.

Von Harald Eggebrecht

Es ist nur eine Geschichte aus dem Reservoire faschistischer Gräueltaten im 20. Jahrhundert, aber eine der infamsten: In Francos Spanien entführte man zwischen 1939 und 1975 Tausende Kinder, steckte sie in Klöster und Waisenhäuser, um sie im Sinne des Regimes umzuerziehen. Ihre Namen wurden geändert, ihre ursprünglichen Eltern, Gegner der Franco-Herrschaft, wurden als Kriminelle, Atheisten und sogar Mörder geschmäht, oft ausgelöscht.

Das Ganze war ein systematischer Akt der Identitätszerstörung mit allen Folgen für Leib und Seele. Bis heute gibt es keine lückenlose Aufklärung, einschlägige Kreise in Kirche und Politik blockieren dies, wo und wie es nur geht. Solcherart Kindesraub aus pervers politischem Kalkül hat auch das argentinische Militärregime während seiner Herrschaft 1976 bis 1983 praktiziert. Die regimekritischen Mütter wurden meist umgebracht.

Dass José Carreras, selbst Sohn katalanischer Republikaner und Franco-Gegner, nach achtjähriger Opernabstinenz noch einmal wiederkehrt, um in einem Werk des umtriebigen österreichischen Arrangeurs, Film- und Musicalkomponisten Christian Kolonovits aufzutreten, liegt gewiss am Stoff, der die Geschichte der verlorenen Kinder aufgreift.

Das Libretto zu "El Juez" (Der Richter) schrieb Angelika Messner. Es geht um den Richter Federico Ribas, der auf Druck des Geheimpolizeichefs Morales dekretieren soll, dass die Archive geschlossen bleiben. Ribas ist selbst ein verlorenes Kind und wurde im Kloster aufgezogen.

Der Liedermacher Alberto García setzt mit seinen Liedern und der Suche nach seinem verlorenen Bruder eine Volksbewegung gegen das Schweigen von Politik und Kirche in Gang. Ribas unterschreibt den Erlass, ist aber hin- und hergerissen.

Längst weiß der Zuschauer Bescheid

Es kommt zur Konfrontation mit den Demonstranten, endlich durch die Journalistin Paula zur Begegnung von García und Ribas. Längst weiß der Zuschauer, dass die beiden Brüder sind, denn einst gab die Mutter vor dem Raub dem Kind einen Seidenschal mit, wovon auch Garcías aufrührerisches Lied handelt.

Während Ribas plötzlich die Zusammenhänge erkennt, braut sich vorm Kloster ein Sturm zusammen. Die Äbtissin, einst wegen der Kindesentführungen als "schwarze Elster" verschrien, sieht ihr vermeintlich so christliches Umerziehungswerk in Gefahr.

Morales hat inzwischen die kleine Tochter des Richters entführen und ins Elternhaus von García bringen lassen, um so alle gegeneinander auszuspielen. Doch Alberto ist kein Räuber, er gibt das Kind zurück, wird vom Geheimdienst angeschossen und erfährt sterbend, dass Ribas der gesuchte Bruder ist.

Carreras macht mit wenigen Gesten die Gestalt des zerrissenen Richters plausibel. Seine Bühnenpräsenz ist selbstverständlich, noch immer verfügt er auch über das Parlando und die Textdeutlichkeit des großen Sängers. Natürlich setzt er Stimmkraft wie Pianissimozauber sparsam, aber versiert und überzeugend ein. Carreras ist anrührend und von großer Vornehmheit.

Das übrige spanisch singende Ensemble hält ein gutes Niveau in dieser sonst nur bieder nacherzählenden Inszenierung von Emilio Sagi (Bühne: Daniel Bianco, Kostüme: Pepa Ojanguren) im Festspielhaus von Erl.

Die Musik von Kolonovits aber bietet ganz entgegen dem aufregenden, verstörenden Stoff nur passables Arrangier- und Instrumentationshandwerk. Auf der Basis einer weich konturierten Grundsentimentalität lassen sich mühelos Puccini- oder Strauss-Anleihen im Musicalton heraushören, aber nichts Originelles.

Ein brisanter Stoff wird zu bloßer Gebrauchsoper

Für die dramatischen Höhepunkte, etwa als die Äbtissin dem Richter den Seidenschal übergibt, an dem Ribas seine wahre Identität erkennt, oder die Begegnung der Brüder oder gar für das Finale fällt Kolonovits nichts ein, was der Wucht der Szenen entspräche. Weder Schärfen noch bezwingende Steigerungen, weder schockartiges Innehalten noch Phrasen, die nach knapp drei Stunden Musik im Ohr blieben.

Am besten gelingen die Massenszenen, am schwächsten geraten intime Ensembles. Das Orchester unter David Giménez schlug sich brav durch die Partitur, die einen brisanten Stoff nur in eine gefällige Gebrauchsoper verwandelt. Daran kann auch der wie alle andern mit Ovationen gefeierte Weltstar José Carreras nichts ändern.

© SZ vom 11.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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