Jordi Savalls Beethoven-Sinfonien:Der Revolutionär

Jordi Savalls Beethoven-Sinfonien: Der spanische Musiker Jordi Savall.

Der spanische Musiker Jordi Savall.

(Foto: Katerina Sulova/AP)

Der spanische Ausnahmemusiker Jordi Savall krönt sein Lebenswerk mit einer überwältigenden Aufnahme der Beethoven-Sinfonien.

Von Reinhard J. Brembeck

Das weltbekannte Prunkstück des katalanischen Nationalmuseums in Barcelona ist ein 900 Jahre altes Jesus-Fresko, das einst die Apsis der romanischen Kirche Sant Climent in Taüll schmückte, gelegen in einem nach wie vor nur schwer erreichbaren Pyrenäental. Jesus wird als energischer Weltenherrscher gezeigt. Trotz der Stilisierung wirkt das schlanke Gesicht lebendig, die Augen hellwach, Haar und Bart sind modisch gestylt. Es ist das zeitlose Bild eines Machers, eines Revolutionärs und Erneuerers.

Das abseits der Metropole Barcelona noch immer recht ländliche Katalonien ist übersät mit romanischen Kirchen. Die schönste von ihnen thront knapp 200 Kilometer südöstlich von Taüll auf einem Hügel, es handelt sich um die 1000 Jahre alte Kirche Sant Vicenç im Schloss von Cardona, das Orson Welles einst als Kulisse für seinen Falstaff-Film aussuchte. Der schlank in die Höhe und damit in die Zukunft strebende, so klare wie schmucklose Bau erinnert an den Christus von Taüll, beide Werke sind strenge und lichte Visionen, sind Feste des Aufbruchs. In Sant Vicenç aber nimmt schon seit Jahren der Gambenspieler und Dirigent Jordi Savall seine Alben auf, meist Musik der Renaissance, des Barock und aus dem Mittelmeerraum.

Auch Jordi Savall ist ein Visionär, ein Denker und Revolutionär. Er wurde 1941 im nördlichen Katalonien geboren und in Barcelona und Basel ausgebildet. Savall ist eine der Lichtfiguren der historischen Aufführungspraxis und zudem der Größtmeister des Gambenspiels. Keiner bezaubert mit diesem widerborstigen Instrument wie er. Aber Savall eroberte sich auch die Chormusik nicht nur der spanischen Tradition, er musizierte immer wieder mit Musikmeistern der mediterranen Welt, er feierte Triumphe mit seiner Frau, der grandiosen, vor zehn Jahren gestorbenen Sängerin Montserrat Figueras. Nach und nach arbeitete er sich mit seinen Ensembles Hesperion und Le Concert des Nations im Repertoire zeitlich nach vorn, bis zu Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Haydn und jetzt zu den neun Sinfonien Ludwig van Beethovens. Deren Aufnahme krönt das Lebenswerk dieses nach wie vor intensiv konzertierenden 81-jährigen Musikers, der damit über die epochemachenden Beethoven-Einspielungen von Nikolaus Harnoncourt und John Eliot Gardiner hinausgeht.

Savall bringt die Sinfonien auf seinem eigenen Label heraus - zusammen mit opulenten Büchern

Die Beethoven-Sinfonien hat Savall auf zwei Alben herausgebracht bei seinem Plattenlabel Alia Vox, das er vor 20 Jahren gegründet hat. Zu einer Zeit, als die alteingesessenen Schallplattenfirmen zu schwächeln begannen und sich zunehmend abwandten vom Unbekannten und Neuen und Experimentellen, sich stattdessen auf den Mainstream konzentrierten. Savall aber ging erfolgreich den anderen Weg, oft präsentiert er seine Aufnahmeprojekte als opulente Bücher mit angehängter CD, die das kulturelle Umfeld einer fernen, fremden Musik in Text und Bildern erschließen. Auch die Beethoven-Alben sind solche umfassenden Kulturgeschichten.

Acht der Beethoven-Sinfonien hat Savall in der atmosphärisch halligen Akustik von Sant Vicenç in Cardona aufgenommen. Beethoven klingt bei dem sonst oft bis zum Meditativen hin nachdenklichen und die Kunst mit romantischer Inbrunst angehenden Savall mitreißend, elegant und wohltuend antiromantisch. Nichts wird hier verschleppt oder bagatellisiert, jede Phrase klingt verstanden. Savall vermittelt den Eindruck, als hätte ein sehr viel jüngerer Zwillingsbruder des Christus von Taüll diese Sinfonien geschrieben, ein durch und durch mediterraner Mensch und kein nach Wien emigrierter Norddeutscher. In diesen Aufnahmen findet sich nichts Psychologisches, keine Ich-Zelebrierung, kein bürgerliches Schürfen im Weltenabgrundsdunkel. Savall setzt konsequent auf Befreiung: Befreiung von der Tradition, Befreiung von Gesellschafts- wie Kunstnormen, Befreiung von allen Zweifeln, Rücksichten, Hinfälligkeiten.

Er präsentiert die Sinfonien mit einem Furor, der einem den Atem nimmt

Savall fächert den Klang in all seinem Reichtum auf, macht alle Stimmen hörbar, die er raffiniert und unaufdringlich auf Vorder-, Mittel- und Hintergrund verteilt. Das ergibt ein ungewohnt breites Spektrum des Klangs, das durch die markanten historischen Instrumente besonders farbig und schillernd wirkt. Immer ist die Pauke als Aufpeitscher präsent, sie bietet einen herben, dunklen, erdverliebten Klang, sie ist Garant des unbedingten Freiheitswillens dieser Sinfonien. Das ist die Musik eines zur Revolution entschlossenen Jünglings, der mit der Weisheit eines alten Philosophen zu Werke geht. Kein Wunder, dass man nach jeder Sinfonie bereit ist, einen Tyrannen zu ermorden.

Savall aber präsentiert die Sinfonien nicht als Folge von Einzelsätzen oder gar schönen Stellen, sondern als geschlossene Erzählungen, die Abgründe und Freuden, Verzweiflungen und Spekulationen in einem Furor zusammenschließen, der einem den Atem nimmt. Savall fasst darüber hinaus die neun Stücke als geschlossenen Zyklus auf, der die Grundthemen des Aufruhrs und der Humanität immer wieder neu durchspielt, immer wieder unter neuen Aspekten: mal tragisch und mal klassizistisch, mal naturverbunden und mal als Teufelstanz. Alles ist Drängen und Gleiten und Unbedingtheit. Nie macht sich Verzweiflung breit, nie dominieren die Abgründe, nie verklärt diese Musik die auch zu Beethovens Zeit alles andere als erfreuliche Welt. Savalls Beethoven ist voller Zuversicht, dass weder die Tyrannen noch die Katastrophen noch die Menschen selbst die Menschheit unterjochen können, sondern dass es eine humane Zukunft geben wird. Es ist die gleiche Zuversicht, die auch aus dem Gesicht des Jesus von Taüll leuchtet. Jetzt ist es nur noch an uns, den Menschen, diese Zukunft Wirklichkeit werden zu lassen. Und Savalls Beethoven macht einem dazu den nötigen Mut.

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