Süddeutsche Zeitung

Fünf Favoriten der Woche:Grundsätzlicher Hinweis für mich

Martin Kippenberger in Essen, Schubert auf CD, DJ Hell in Kooperation mit Jonathan Meese, Douglas Adams mit einem Rat an sich selber und eine Doku über Kunstfälscher.

Von SZ-Autoren

Martin Kippenberger

Spätestens am Spiegelei kommt die Sache in Fahrt. Es bildet eine Art Tisch in einem Kreis aus bunten Gleisen, auf denen zwei Schleudersitze unter Regenschirmen fahren. Man würde jetzt nicht sofort an Bewerbung denken, aber an Kunst - Regenschirm! Spitzweg! - womöglich schon. Das Karussell mit Schleudersitzen ist eine Arbeit Martin Kippenbergers aus dem Jahr 1991 und verbindet auf schwerelose Weise viele Themen dieser Großinstallation. "The Happy End of Franz Kafka's ,Amerika'", entworfen 1994 und für Essen ergänzt durch Möbel aus der Villa Hügel, ist Kippenbergers größtes Werk: 50 Kombinationen von Tischen und Stühlen auf grünem Grund, dazu einzelne Stühle und Tische, alles zwischen zwei Tribünen, und überragt von vier Wachtürmen - für Gefängniswärter, Tennisschiedsrichter, Jäger oder Bademeister. Es ist ein Arrangement, das eine ebenso kompetitive wie spielerische Note anschlägt und das Publikum als Richter fest einplant. Hier sollen Begegnungen im großen Stil stattfinden oder haben schon stattgefunden, Menschen treffen auf Menschen. Man streift vorbei an einem vergrößerten Barbie-Tisch, einem Tisch aus Spanplatten, die einst den Rasen während eines Papstbesuchs geschützt haben, einem schrägen Pult, dass an einen Sketch von Karl Valentin erinnert, in dem dieser Tisch- und Stuhlbeine immer zu viel kürzt, bis er auf dem Boden sitzt. Und mit der Wehmut des aller realen Begegnungen entwöhnten Corona-Heimarbeiters begreift man, dass Kippenbergers Mobiliar ein Setting für massenhafte Open-Air-Bewerbungsgespräche ist. In Kafkas unvollendetem Roman "Amerika" trifft nämlich der junge Karl Roßmann aus Prag in Oklahoma auf ein Theater, das auf einem Plakat zum öffentlichen Vorsprechen einlädt: "Jeder ist willkommen! Wer Künstler werden will, melde sich!" Jedes Gespräch ist eine Chance, kann aber auch in einer Katastrophe enden, ein 50-faches Anbieten und Abschätzen, in dem allein die Sitzhöhe alles entscheiden kann. So wie der Arbeiter müsse sich auch der Künstler anbieten, so wie der eine werde auch der andere bewertet. Beide gehen aufs Ganze. Man muss eben Glück haben. Die Ausstellung läuft bis zum 16. Mai, aber Zeitfenster für Tickets lassen sich gerade nur bis zum 28. März buchen. Ins Dasein geworfen sind inzwischen nicht nur Arbeitnehmer und Künstler, sondern auch Museumsbesucher. Sonja Zekri

André Schuen

Die großen Tenöre und Baritone haben ihn gesungen, den frühromantischen Liederzyklus "Die schöne Müllerin" von Franz Schubert, und viele dieser Konzerte und Aufnahmen sind im Gedächtnis geblieben. Jetzt kommt wieder einer, der diese Erinnerungen hart angreift mit einer mehr als nur gelungenen Einspielung. Es ist der junge Bariton Andrè Schuen, ein gestandener Südtiroler, der inzwischen weltweit begeistert. Seine Stimme strahlt Kraft aus und erdige Sicherheit, und man würde ihn gleich in einer Wagner-Rolle verorten, hörte man nicht auch Zwischenfarben, Zurückgenommenes, bisweilen mehr angedachte als ausgesungene Empfindung. Dabei wackelt nichts, da gilt das klanglich Unverbrüchliche, schiere Intensität. Es ist ein robusterer Schubert als üblich, ein ins Unendliche sich weitender. Helmut Mauró

"Meese X Hell"

Beuys' Erzwiedergänger und der Einzige, der es als Performer mit ihm an Ausdauer aufnehmen kann, wir reden von Jonathan Meese, hat also jetzt mit DJ Hell im Studio gestanden und bei Buback eine Platte rausgebracht. Und zwar wirklich stunden- und tagelang manisch vorm Mikro gestanden habe Meese, wie DJ Hell neulich in der Galerie Knust in München bei der Eröffnung von Daniel Richter erzählte, der das Artwork beigesteuert hat (DAF trifft auf freundliche Volkspolizisten). Meese deklamiert "Dr. No is back" oder das Titelstück "Hab keine Angst, hab keine Angst, ich bin deine Angst"; "Das ist das Ende vom Lied", sagt Meeses Mutter, 91, am Ende von einem Lied, und dank DJ Hell klingt das so überraschend dunkel, warm und schön, dass selbst ein Satz wie "Kunst notwendigt alles" beinahe was zum Tanzen wird. Peter Richter

Douglas Adams' Nachlass

Schon Rilke warnte in "Briefe an einen jungen Dichter": "Niemand kann Ihnen raten und helfen, niemand." Helfen kann sich der Dichter nur selbst. So sah es auch der 2001 verstorbene Douglas Adams, Autor des Kultromans "Per Anhalter durch die Galaxis". Sein Nachlass - 60 Kisten mit Skizzen, Gedichten und Notizen, verwahrt von der Cambridge University - wird derzeit für ein per Crowdfunding finanziertes Buch gesichtet. Aufgetaucht ist neben einigen unheimlich akkuraten Vorhersagen neuer Technologien (Kindle, Spotify) ein schlicht "General Note to Myself" ("Grundsätzlicher Hinweis für mich") betitelter Zettel, in dem sich Adams selbst Mut zum Schreiben macht. Sein Trick: Nicht ewig an einem Absatz feilen. Viel schreiben und sich überraschen lassen. Angreifen. Denn, wenn man sich nicht zu sehr sorge, könne das Ganze sogar Spaß machen. Nicolas Freund

Kunst-Skandal als Dokumentation

Sie ist ja fast schon zum eigenen Genre geworden: die Peinliches-Fiasko-Doku. Der Film, der seinen Heldinnen und Helden nicht etwa ein visuelles Denkmal setzt, sondern den umfänglichen Prozess ihres Scheiterns begleitet, ihnen vielmehr ein Mahnmal der Schande errichtet. Anders als die Protagonisten weiß das Publikum, dass zum Schluss alles in die Hose gehen wird - das bewegende Moment ist demnach simpler Elendsvoyeurismus, getarnt als Sozialstudien-Interesse. Und ob es nun das hochstaplerische Musikfest Fyre Festival ist, eine Klima-Massenkonferenz im Berliner Olympiastadion oder auch nur die Renovierung von Gunter Gabriels Hausboot: Die Geschichten tragen Hybris und Naivität, die wir so gern bestraft sehen, von Anfang an in sich. "Made You Look: A True Story About Fake Art", ein 90-Minuten-Film des Kanadiers Barry Avrich, der nun auf Netflix zu sehen ist, passt nicht ganz ins Schema, denn er rekonstruiert seinen Fall nur im Rückblick. Dennoch trifft die Doku denselben Nerv: Sie lässt uns erleben, wie ein von unangemessenem, elitärem Ehrgeiz befeuertes Projekt zum Albtraum für seine Profiteure wird. Dass das Ganze in der Sphäre des Kunstmarkts spielt, des mit Abstand am leichtesten zu parodierenden Kultursprengels, macht die Lektion perfekt. 1994 stießen Einkäufer der weltbedeutenden New Yorker Knoedler-Galerie auf einen irren Schatz an unbekannten Gemälden abstrakter Expressionisten wie Rothko, Pollock, Motherwell. 60 Stücke wurden für 80 Millionen Dollar weiterverkauft - bis sich herausstellte, dass vermutlich alle vom chinesischen Gebrauchsmaler Pei-Shen Qian stammten. Der Film führt chronologisch durch den Skandal, zeigt neben einigen altklugen "Hätte man merken müssen"-Experten auch herrlich hybride Figuren wie die damalige Galeriechefin Ann Freedman, die auch 26 Jahre später offenbar noch immer nicht glauben will, dass sie im großen Stil betuppt wurde. Ja, eine solche Dosis Schadenfreude darf man sich gönnen, ab und zu. Weil "Made You Look" am Ende noch eine interessante Lehre bereithält, gewissermaßen die Umkehrung des berühmten Murphy-Gesetzes. Wenn wirklich gar nichts schiefgehen kann, erst dann ist in Wahrheit alles hinüber. Muss man sacken lassen. Joachim Hentschel

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