Süddeutsche Zeitung

Jonathan Littell:Ahoi Britney!

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"Absichtlich sensationalistisch und bewusst abstoßend": Jonathan Littells Geschichtsepos "Die Wohlgesinnten" floppt in der amerikanischen Literaturkritik.

Jörg Häntzschel

Das hätte sich Jonathan Littell wohl nicht träumen lassen, als er über seinem Holocaust-Roman "Les Bienveillantes" (Die Wohlgesinnten) saß: Dass man sein Buch in den USA einmal mit den Memoiren von Britney Spears in Verbindung bringen würde. Genau das geschah letzte Woche im Wall Street Journal, wo das durch gründliche PR-Massage vorbereitete Erscheinen der amerikanischen Übersetzung - Titel: "The Kindly Ones" - als Symptom für den Niedergang der amerikanischen Verlagskultur herhalten musste. "Es geht immer weniger darum, Autoren zu finden und zu pflegen, es geht darum, viel Wind zu machen." Kurz: Die Verlage übernähmen die Methoden der Hollywood-Studios, für die nichts wertvoller ist als geschickt erzeugter buzz, der den Film aus dem Einerlei seiner Konkurrenten hervorstechen lässt und ihm den kommerziellen Erfolg sichert.

Genau dazu eigne sich, so die Autorin Sara Nelson, ein Buch wie "The Kindly Ones" ebenso gut wie die noch ungeschriebenen Spears-Memoiren. "Sie sind beide fixiert auf das Sexuelle; und ihre Verleger hoffen und zählen auf den scheinbar unbegrenzten amerikanischen Appetit auf den Skandal."

In Frankreich, wo das Buch des Amerikaners und Wahlfranzosen Littell vor drei Jahren erschien, fiel das Echo ganz anders aus. "Les Bienveillantes" wurde mehrfach ausgezeichnet und als literarische Sensation gefeiert. Wenig später rissen sich die Verlage um die Übersetzungsrechte. Harper zahlte für die US-Rechte nicht weniger als eine Million Dollar. Ob sich die Investition gelohnt hat, ist zweifelhaft. Die New York Times widmete der Frage einen eigenen Artikel. Ein Buchhändler meint dort: "Habe ich wirklich genug Zeit und emotionale Ressourcen, um sie in ein 1000-seitiges Buch über den Holocaust zu investieren, das klingt wie ein Protokoll von Pasolinis ,120 Tagen von Sodom'?"

50 Jahre nach Adorno

Die amerikanische Kritik scheint dem Buch jedenfalls nicht zu helfen. Am heftigsten tobte Michiko Kakutani von der Times, die das Buch "absichtlich sensationalistisch und bewusst abstoßend" fand und Littell als "schlechten Imitator von Genet oder de Sade" abqualifizierte.

Die Schrecken des Holocausts darzustellen, gelinge auf diese Weise nicht. Sie schließt ihren Text mit einem kräftigen Hieb auf das französische Literatur-Establishment: "Dass ein solcher Roman zwei der wichtigsten französischen Literaturpreise gewinnt, ist nicht nur ein Beispiel für den gelegentlich perversen französischen Geschmack, sondern auch ein Anzeichen dafür, wie drastisch sich das Verhältnis der Literatur zum Holocaust gewandelt hat." 50 Jahre nach Adorno "haben wir einen Punkt erreicht, wo das Porträt eines psychopathischen Nazis von Le Monde als ,atemberaubender Triumph' gefeiert wird".

Zwei Wochen später legte nun die Times mit der gewohnten zweiten Rezension nach. David Gates kritisiert das Buch dort vor allem für seine konzeptuellen und literarischen Schwächen. Er nennt es süffisant ein "nicht allzu anspruchsvolles Geschichtsepos". Für Gates steht die Hauptfigur in der abgeschmackten Tradition von "kinky, stinky Nazis", die zwar von Literaten geliebt werden, aber nicht dazu taugen, Neues zum Verständnis des Holocausts beizutragen. Deshalb sei "The Kindly Ones" "weniger eine moralische Herausforderung als ein Ausdauertest."

Niemand aber hat sich in der amerikanischen Presse bislang gründlicher mit Littells Buch beschäftigt als Daniel Mendelssohn in der New York Review of Books. Als Einziger verteidigt er Littell gegen den Pornographie-Vorwurf: Sie sei notwendig, um "uns zu zeigen, wie Leben außerhalb der Moral aussieht, klingt, schmeckt und sich anfühlt". Die pornographischen Passagen dienten dazu, unsere Vorstellung von einem Roman über Nazis zu torpedieren. Damit begebe sich Littell in die Nachfolge von de Sade und Bataille. Allerdings stelle Littell dadurch die andere Seite seines Romans in Frage, die historische und dokumentarische, wo er dem Leser vorführt, wie schnell auch er sich an die monotone Wiederholung des Grauens gewöhnt.

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Quelle:
SZ vom 11.3.2009/irup
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